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Betriebsrat, Ingenieur und Altstipendiat – Uwe Bretthauer im Göttinger Werk von Satorius: „Für mich der ideale Job“ Magazin Mitbestimmung

Altstipendiat: Der Gewissenhafte

Ausgabe 04/2012

Seit 22 Jahren bestimmt der Ingenieur und Altstipendiat Uwe Bretthauer als Betriebs- und Aufsichtsrat die Geschicke des Göttinger Techno­logiekonzerns Sartorius mit.

Von Stefan Scheytt, Journalist bei Tübingen/Foto: Cira Moro 

Am Tag vor den Aufsichtsratswahlen bei der Sartorius AG Mitte März steht der Konzernbetriebsratsvorsitzende Uwe Bretthauer in der Schlange in der Kantine, und für einige Momente steht er dabei vor seinem eigenen Porträtfoto auf dem Wahlaushang für den nächsten Tag. Auf dem Foto und in der Schlange erscheint Uwe Bretthauer zunächst als eher unauffällige Person, ein kleiner, schlanker Mann mit Brille, grauen Haaren und grauer Strickjacke; doch bei Sartorius ist er so bekannt wie ein bunter Hund – ins Aufsichtsgremium würde er auch ohne Aushang unbesehen wieder gewählt. Denn beim Göttinger Technologiekonzern – knapp 5000 Mitarbeiter, 730 Millionen Euro Umsatz –, der Filter, Wäge- und Messgeräte für Labore und Industrieanwendungen herstellt, gehört Bretthauer seit 24 Jahren dazu, davon 22 Jahre in herausgehobener Position als Betriebs- und 18 Jahre als Aufsichtsrat.

Lernt man den 53-Jährigen kennen, dauert es nicht lange, bis man einen Mann erlebt, der nach Antworten auf die ganz großen Fragen sucht – nach dem Sinn, der Gerechtigkeit, der Zukunft der Menschheit, dem Glück … Uwe Bretthauers Nachdenklichkeit hat sicher auch mit seinem vor wenigen Jahren verstorbenen, schwerstbehinderten Sohn zu tun, den er gemeinsam mit seiner Frau 20 Jahre lang zu Hause pflegte – eine „oft an die Grenzen gehende, aber auch beglückende Erfahrung“, die er in einem Buch mit dem Titel „Anders leben“ für sich verarbeitete.

Durchaus positiv gemeint, könnte man Uwe Bretthauer einen Prinzipienreiter nennen. Als er erzählt, wie er vor mehr als 30 Jahren als Kriegsdienstverweigerer die damals übliche Gerichtsverhandlung über sich ergehen lassen musste, sagt er spaßhaft: „Ich habe ein staatlich geprüftes Gewissen.“ Dieses Gewissen stellt Fragen, die für ihn gerade als Gewerkschafter, Betriebs- und Aufsichtsrat ans Eingemachte gehen: Wie viel Wachstum verträgt der Planet? Und soll er sich über Wachstum bei Sartorius freuen, das mit Maschinen erzielt wird, die fragwürdige Produkte etwa in der Pharma- oder Lebensmittelbranche herstellen? „In der Rüstungsindustrie würde ich nicht arbeiten“, sagt Bretthauer, gleich einräumend, dass man auch unterhalb dieser Schwelle trefflich streiten kann.

Genauso über Produkte „made in China“ und anderswo, die er als Ingenieur und normaler Konsument zwar schätzt, „von denen man aber weiß, dass sie nicht unter dem Siegel ‚Gute Arbeit‘ enstanden sind“. „Keiner ist mehr unschuldig, wir leben alle mit unseren Widersprüchen“, sagt Bretthauer, der versucht, sie wenigstens so klein wie möglich zu halten: Er kauft viel im Bioladen („aber mir ist klar, dass sich das nicht jeder leisten kann“), er fährt eisern bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zur Arbeit und zurück und kommt auch schon mal auf zwei Rädern zur Aufsichtsratssitzung.

Uwe Bretthauers Karriere schien zunächst ganz anders zu verlaufen: Als Sohn eines Schlossers und einer kaufmännischen Angestellten macht der Göttinger eine Lehre als Elektromechaniker bei Bosch, wird mit 16 Jugendvertreter und mit 17 IG-Metall-Mitglied; nach einigen Jahren als Facharbeiter findet er, technikbegeistert wie er ist, dass da noch mehr kommen muss, holt mit 24 das Abitur nach und studiert mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung in Kassel Elektrotechnik; damit gehört Bretthauer zur Minderheit der Stipendiaten, die sich der Naturwissenschaft verschreiben, und führt diesen Weg anschließend konsequent fort: Mit 30 beginnt er in der Entwicklungsabteilung von Sartorius, wo er Jahre zuvor vor den Toren Flugblätter seiner Gewerkschaft verteilt hat, und wird schon zwei Jahre später in den Betriebsrat gewählt. „Für mich war das der ideale Job, um meinen erlernten Beruf und das Soziale zu verbinden. Ich wollte immer beides, weil es zusammengehört“, sagt Bretthauer.

Derzeit laufen die Geschäfte bei dem Familienunternehmen sehr gut, doch in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Uwe Bretthauer fünfmal Sozialpläne aushandeln müssen, und die „größte Herausforderung“ liegt kaum drei Jahre zurück, als während der Hochzeit der Krise durch die Qualifizierung von Mitarbeitern während der Kurzarbeitsphase 130 Entlassungen verhindert werden konnten.

So gewiss und prinzipienfest Uwe Bretthauer in vielen Dingen ist, so sehr hat der Altstipendiat in den Jahren als Betriebsratschef und Aufsichtsrat den Kompromiss akzeptieren gelernt. „Ich war selber mal ein junger Wilder, rabiat und geradeheraus, und meine jungen wilden Kollegen im Betriebsrat meinen manchmal, ich wollte schon nicht mehr so richtig“, sagt lächelnd Uwe Bretthauer, der bei seinen Kollegen als „ruhig“ und „sachlich“ gilt. Er habe gelernt, Geduld zu haben, sein diplomatisches Gespür zu verfeinern für den angemessenen Ton und den richtigen Zeitpunkt: „Es gibt immer nur die bestmögliche Entscheidung, nie die ideale Lösung, man muss immer Kompromisse machen.“ Damit fährt er offensichtlich sehr gut: Mitte März wurde Uwe Bretthauer mit 65 Prozent Zustimmung und den meisten Stimmen zum fünften Mal in Folge als Aufsichtsrat der Sartorius AG bestätigt.

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