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Sabine Pfeiffer lernte Werkzeugmacherin, studierte Soziologie und verbindet heute als Professorin beide Welten: Praxis und Wissenschaft. Magazin Mitbestimmung

Altstipendiatin: Die praktische Soziologin

Ausgabe 05/2022

Sabine Pfeiffer lernte Werkzeugmacherin, studierte Soziologie und verbindet heute als Professorin beide Welten: Praxis und Wissenschaft. Von Fabienne Melzer

Ein Professor, der sie auflaufen ließ, weil sie ihn in einer Vorlesung auf einen Fehler hingewiesen hatte? Das konnte Sabine Pfeiffer nicht auf sich beruhen lassen. Sie ging zur Fachschaft in der Gewissheit, dass sie mit ihrer Hilfe schon Recht bekommen würde. Schließlich hatte sie als Jugendvertreterin in einem Metallbetrieb jahrelang erfolgreich gegen Vorgesetztenwillkür gekämpft. „Ich fragte nach Gesetzen und Paragrafen, aber ich bekam nur viel Verständnis und die Antwort, dass man da nichts machen kann.“

Heute arbeitet sie selbst als Professorin für Arbeitssoziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Ihr Büro liegt in einem Gebäude der ehemaligen AEG-Fabrik, und dort erinnert sie sich noch lebhaft an ihre erste Begegnung mit studentischer Interessenvertretung. „Da habe ich wirklich verstanden, wie wichtig Mitbestimmungsrechte sind“, sagt die 56-Jährige. Auf dem ehemaligen AEG-Gelände schloss sich für sie ein Kreis, als sie 2018 als Professorin nach Nürnberg zurückkam. Noch heute ist sie mit Menschen befreundet, die dort damals Auszubildende vertreten haben.

Die jungen Menschen aus der Gewerkschaft lernte sie Anfang der 1980er Jahre in der Friedensbewegung kennen. Sie selbst besuchte das Gymnasium. Doch als Tochter einer Verkäuferin und eines Vertriebsmitarbeiters hatte sie keine Idee, was ein ­Studium bringt. In der elften Klasse verkündete sie: „Schluss mit Schule. Ich will Werkzeugmacherin werden.“

Nicht nur ihre Eltern waren entsetzt, auch ihre politischen Freunde rieten ihr ab, überzeugt, dass sie doch alle Bildungswege ausnutzen müsse. Doch sie ließ sich nicht beirren. Dabei sprach vieles gegen sie: Eine Frau bewirbt sich in einem Metallberuf in einer Zeit hoher Jugendarbeitslosigkeit? 1983 bekam sie einen Ausbildungsplatz.

Sie gab ihren Beruf als Werkzeugmacherin nicht bewusst auf. Ihren Weg zur Professur beschreibt sie vielmehr als eine Aneinanderreihung von Zufällen. Manches an ihrem Beruf vermisst sie in der Wissenschaft. „Im Werkzeugbau gibt es nichts zu deuteln“, sagt Sabine Pfeiffer. „Entweder du hast es richtig oder falsch gemacht.“ In der Soziologie sei das leider nicht so, daher benutzten Soziologen häufig das Wort „sozusagen“. Der gelernten Werkzeugmacherin kommt es allerdings nicht einmal über die Lippen. Als Bruch hat sie ihr Studium nicht empfunden. Als Arbeitssoziologin besucht sie noch immer Betriebe. „Wenn ich in eine Fertigungshalle komme, wenn ich Metall rieche, geht mir immer noch das Herz auf.“ Allerdings nahm sie ein paar Umwege, um Studium und Beruf zu verbinden.

Anfang der 1990er Jahre beschloss sie, sich um ihre Bildung zu kümmern. Sie holte neben der Arbeit das Fachabitur nach, begann ein Studium der Produktionstechnik und bewarb sich um ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. Mit Erfolg. „Ohne das Stipendium hätte ich kaum den Mut gehabt, zu studieren“, sagt sie heute.

Das Studium der Produktionstechnik empfand sie als zu praxisfern. Dann doch lieber gleich etwas Theoretisches studieren. Sie wechselte zur Soziologie ohne eine Idee, was sie damit einmal machen könnte – bis ihr ein Buch des Soziologen Fritz Böhle in die Hände fiel. Darin beschrieb er, wie die Menschen an den Maschinen durch den Wechsel vom Handrad zum Bildschirm das Gefühl für ihre Arbeit verloren hatten. „In dem Buch habe ich mich wiedererkannt, wie ich an der Maschine stehe, wie ich sie höre und körperlich spüre“, sagt Sabine Pfeiffer. „Bis dahin hätte ich nicht gedacht, dass die Soziologie die Arbeitswelt so genau beschreiben kann.“ Die Soziologin möchte den arbeitenden Menschen eine Stimme geben. „Mit meiner Forschung verändere ich nicht die Welt. Aber wenn ich die Arbeit eines Betriebsrats nur an einer Stelle leichter mache, freue ich mich.“

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