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Magazin Mitbestimmung

Von MARGARETE HASEL: Denkanstöße für die Arbeit der Zukunft

Ausgabe 07/2017

Stiftung Mit einer großen Tagung zeigt die Expertenkommission „Arbeit der Zukunft“ Wege in eine digitale soziale Marktwirtschaft auf, in der Arbeitnehmerinteressen fest verankert sind. Und sie macht klar: Wandel ist kein Schicksal, das einem technikgetriebenen Automatismus folgt.

Von MARGARETE HASEL

„Arbeit hat Zukunft, Erwerbsarbeit wird auch künftig die zentrale Wohlstandsquelle bleiben“, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann bei der Vorstellung des Abschlussberichtes der Kommission „Arbeit der Zukunft“. Die von der Hans-Böckler-Stiftung initiierte Expertengruppe hat Hoffmann gemeinsam mit der Kasseler Industriesoziologin Kerstin Jürgens geleitet. Beim Kongress Ende Juni mit mehr als 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern präsentierte sich Hoffmann als Vorsitzender einer Organisation, die selbstbewusst ihren Anspruch auf Mitgestaltung dieser Zukunft anmeldet. Auch der Ort der Präsentation versprach Zukunft: die Räume einer ehemaligen Brauerei in Berlin-Neukölln, die als trendige Event-Location weiterleben.

Über zwei Jahre hatte die 32-köpfige Kommission, die sich aus Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen, Betriebsräten, Gewerkschaftern, der Politik und aus Unternehmensleitungen zusammensetzte, die Zukunft vermessen. Hatte auf ihrer „Bildungsreise“ (Jürgens) Gutachten in Auftrag gegeben, Experten angehört, gestritten, sich zusammengerauft. Und sich auf „54 Denkanstöße als Handlungsempfehlungen verständigt“, wie Kerstin Jürgens nicht ohne Stolz unterstrich.

Denn bei allen Unterschieden teilte die Expertenrunde von Anfang an auch eine Reihe von elementaren Grundüberzeugungen. Eine dieser Gemeinsamkeiten brachte schon der Name der Kommission zum Ausdruck: Wer die „Arbeit der Zukunft“ gestalten will, hat die  bange Frage nach der „Zukunft der Arbeit“ positiv beantwortet. Daran änderten auch Horrorszenarien nichts, mit denen etwa Michael Osborne und Carl Benedict Frey, Ökonomen aus Oxford, vor wenigen Jahren die Öffentlichkeit aufgeschreckt hatten. Ihrer – methodisch umstrittenen – Schätzung nach könnten in den USA knapp 50 Prozent aller Arbeitsplätze dem durch die Digitalisierung ausgelösten Rationalisierungsschub zum Opfer fallen.

Wandel ist kein Schicksal

Gleichwohl haben sich da keine blauäugigen Fortschrittoptimisten über der Glaskugel eine Wünsch-dir-was-Liste zusammengestellt. „Bewusst wurde nicht auf die Risiken hin orientiert, aber die realen Risiken gleichwohl in den Blick genommen“, umschreibt Reiner Hoffmann das Selbstverständnis. Man habe sich keine Illusionen gemacht über die gewaltige Veränderungskraft, das hohe Tempo und die individuellen Zumutungen in der Arbeits- und Lebenswelt, die die Digitalisierung mit sich bringt. Auch mit Sorge habe man den Mismatch auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, wenn Arbeit unabhängiger von Ort und Zeit werde und Berufsbilder und Arbeitsplätze sich ändern. „Aber“, da sind sich die beiden Vorsitzenden mit allen Mitgliedern der Kommission einig: „Wandel ist kein Schicksal, das einem technikgetriebenen Automatismus folgt, sondern basiert auf demokratischen Richtungsentscheidungen.“ Und ist demzufolge beeinflussbar.

Just darauf zielen die 54 Denkanstöße – als Diskussions-, vor allem aber als Handlungsempfehlung. Da ist nicht alles neu, aber neu in der Zusammenschau. Wie der technologische Wandel in Beziehung gesetzt wird zu „weiteren Megatrends auf den typisch deutschen Baustellen“, so Kerstin Jürgens. Als da wären: der demografische Wandel, die veränderten Lebensentwürfe von Frauen und Männern, neue Ansprüche an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Zuwanderung.

Bekannte, bewährte Instrumente werden weiterentwickelt: Transfergesellschaften übernehmen neue Aufgaben, Arbeitszeitverkürzung soll verstärkt der Qualifizierung dienen, psychische Gefährdungsbeurteilungen sollen konsequenter eingesetzt werden. Die Arbeitszeitdebatte wird mit dem Vorschlag einer „begründungsfreien Auszeit“ bereichert. Handfest und konkret die Idee eines Startguthabens ins Erwachsenenleben.

Mancher Vorschlag dürfte gewerkschaftsintern für Diskussionsstoff sorgen, so die Anregung, über eine Abkehr von proportionalen Lohnzuwächsen nachzudenken zugunsten der Niedriglöhne. Auch zentrale Parameter hat die Kommission hinterfragt: Wie kann unser bislang stark industriefixierter Produktivitätsbegriff mit seinen quantifizierenden Messmethoden so geändert werden, dass auch der Wert der zunehmend für die Gesellschaft bedeutsamen sozialen Dienstleistungen adäquat berücksichtigt wird? Mutig Neuland betritt die Kommission, indem sie sich in Zeiten der digitalen Transformation an eine Neudefinition des Arbeitsnehmerbegriffs macht, die Schutzrechte auch für Plattformarbeiter beinhaltet.

Dass in die erste Dialogrunde mit der Gesellschaft auch die Politik – in Person der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer – und die Sozialpartner – in Person des BDA-Präsidenten Ingo Kramer – einbezogen waren, folgte fraglos bester deutscher Problemlösungstradition. Beide teilten die Gewissheit, dass die Arbeit nicht ausgeht und dass über die Qualität der Arbeit neu nachgedacht werden muss. Doch ließ sich Arbeitgeberpräsident Kramer von der Empfehlung der Kommission nach Stärkung der Tarifbindung wenig beeindrucken – denn in tarifgebundenen Unternehmen, auch das hatte sich die Kommission angeschaut, laufe der technologische Wandel einigermaßen geordnet. Mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, darauf wollen Ingo Kramer und der Arbeitgeberverband sich nach wie vor nicht einlassen. Was deutlich machte, dass die Gestalt der Zukunft mitunter auch in den Machtfragen und Blockaden der Gegenwart wurzelt.

Aufmacherfoto: Mina Gerngross

 

WEITERE INFORMATIONEN

Website der Kommission Arbeit der Zukunft: arbeit-der-zukunft.de

Download des Abschlussberichts der Kommission

Dokumentation der Veranstaltung

Alle Videos der Veranstaltung

„Sabbatical für alle“ und andere Revolutionen (Bericht im Handelsblatt)

Recht auf Homeoffice und Auszeiten (Bericht im Tagesspiegel)

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