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Heute bestellt, morgen geliefert Böckler Impuls

Arbeitswelt: Heute bestellt, morgen geliefert

Ausgabe 07/2023

Durch den Onlinehandel sind Logistikjobs entstanden, die Merkmale eines „digitalen Taylorismus“ aufweisen: engmaschige Arbeitsteilung und Kontrolle. Doch Beschäftigte organisieren sich.

Einkaufen am Bildschirm ist spätestens seit Corona zur Normalität geworden. Online- und Versandhändler machen nicht nur dem stationären Einzelhandel mit seinen über drei Millionen Beschäftigten Konkurrenz. Sie haben Geschäftsmodelle etabliert, die sich grundlegend vom traditionellen Handel unterscheiden und beschäftigen inzwischen mehr als 220 000 Menschen. Aber wie ist es um Arbeitsbedingungen und Mitsprachemöglichkeiten entlang der neuen digitalen Wertschöpfungsketten bestellt? Dem ist ein Forschungsteam von der Universität Köln mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung nachgegangen. Dazu haben die Forschenden unter anderem zahlreiche Interviews mit Führungskräften und Vertretungen der Beschäftigten geführt. Betrachtet wurden große Player wie Amazon, Start-ups und etablierte Offline-Unternehmen wie Rewe, die in den Onlinehandel eingestiegen sind.

Typisch für den Onlinehandel ist seine „polarisierte Struktur“ hinsichtlich der Qualifikation. Hier sind 37 Prozent der Beschäftigten Ungelernte, während es im traditionellen Handel lediglich 18 Prozent sind. Hohe Qualifikationen, als Spezialistin oder Spezialist, Expertin oder Experte, machen im Onlinehandel 22 Prozent aus, im stationären Handel dagegen nur 10 Prozent.

Räumlich verteilt sich der Onlinehandel weniger gleichmäßig übers Land als andere Handelsunternehmen. Die Firmenzentralen befinden sich in der Regel in den großen Städten wie Berlin, Hamburg, München und Köln. Dort sind auch IT-Entwicklung und kleinere Zwischenlager. Dabei spielen sowohl Marktnähe als auch die Verfügbarkeit von Fachkräften eine Rolle. Die großen Logistikzentren sind aus Kostengründen dagegen im Hinterland angesiedelt. 

Essen aus dem Netz

Nicht nur Bücher und Technik werden online bestellt. Corona hat auch dem Onlinehandel mit Lebensmitteln zum Durchbruch verholfen. Fast vier Milliarden Euro wurden damit 2021 umgesetzt, mehr als doppelt so viel wie zwei Jahre zuvor. Das entspricht 2,6 Prozent des Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel. 

Geschlossene Restaurants und Kontaktbeschränkungen haben offenbar viele Menschen dazu gebracht, zum ersten Mal zum Tablet oder Smartphone zu greifen, wenn der Hunger kam. Sei es das Berliner Start-up Gorillas oder der niederländische Lieferdienst Picnic in Nordrhein-Westfalen – zumindest in den Metropolen sind die Fahrzeuge solcher Dienste inzwischen fester Bestandteil des Stadtbilds. Positiv zu beurteilen: Es sind zahlreiche Jobs für Geringqualifizierte entstanden. Problematisch: Die Arbeitsbedingungen – geringe Entlohnung, Anstrengung, Stress – sind von guter Arbeit bislang meist weit entfernt.

Wiedemann u. a.: Entwicklung des deutschen Lebensmitteleinzelhandels in Zeiten der Corona-Pandemie, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 280, März 2023

Auf den Beschäftigten der Branche lastet oft ein großer wirtschaftlicher Druck. Viele Unternehmen haben viel investiert, um sich eine gute Marktposition zu erobern, aber noch vergleichsweise geringe Einnahmen. Das Management drängt daher auf ein hohes Arbeitspensum. Die „Geschäftsführung als kontrollierende Instanz“ tritt dabei „hinter den Markt“ zurück: Kundenzufriedenheit ist das höchste Gebot. 

Um die gewünschte Arbeitseffizienz zu erreichen, werden in den großen Logistikzentren Automatisierung und technische Überwachung eingesetzt. Es herrscht „digitaler Taylorismus“: Die Arbeitsprozesse werden in kleinteilige Aktionen zerlegt, die von digitalen Endgeräten vorgegeben und kontrolliert werden. Wie viele Produkte Beschäftigte pro Stunde aus dem Regal genommen und ob sie sie in die richtigen Kartons gepackt haben, kann jederzeit technisch aufgezeichnet werden und wird oft auch von den Führungskräften kontrolliert. 

Unter einem ähnlichen technischen Kontrollregime erfolgt die Auslieferung. Beschäftigte sind häufig Geringqualifizierte, Migrantinnen und Migranten oder Studierende – und leicht austauschbar. Für das Management zählt weniger die Vorbildung der Beschäftigten als deren „Motivation“. 

Doch obwohl die eng getakteten Arbeitsabläufe wenig Raum für sozialen Austausch bei der Arbeit bieten, organisieren Beschäftigte sich. Zumindest in den großen Warenlagern werden „zunehmend Gewerkschaft und Betriebsrat aktiv“. Hier sehen die Forschenden wichtige Ansatzpunkte, um Netzwerke entlang der Wertschöpfungskette im Onlinehandel zu knüpfen – etwa mit dem Ziel, stabilere Beschäftigung und Qualifizierung zu ermöglichen.

Martina Fuchs, Peter Dannenberg, Tim Riedler, Cathrin Wiedemann: Onlinehandel – Arbeitskontrolle und Mitbestimmung in Großstadtregionen, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 279, März 2023

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