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Magazin Mitbestimmung

Wissensmanagement: Datenbank mit Nebenwirkungen

Ausgabe 04/2015

Unternehmensinterne soziale Netzwerke sollen die Kommunikationswege im Unternehmen effizienter machen und für mehr Produktivität sorgen. Betriebsräte von Allianz und Daimler befürchten Allzeitzuständigkeit und eine zunehmende Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit. Von  Jan-Martin Altgeld

Wenn Rolf Zimmermann über das soziale Netzwerk der Allianz spricht, bleibt eine gewisse Grundskepsis nicht verborgen. „Das gefiel uns anfänglich deswegen nicht gut, weil wir auf einige arbeitsphilosophische Fragen, die sich daraus ergeben, keine Antwort haben“, sagt Zimmermann. Der Vorsitzende des europäischen Konzernbetriebsrats hat gewichtige Bedenken: 

So könnte die Nutzung eines solchen „Facebook für die Arbeit“ definierte und bewährte Zuständigkeitsgrenzen der Mitarbeiter bröckeln lassen. „Aber auch ihrer Selbstausbeutung sind dadurch keine Grenzen mehr gesetzt“, sagt Zimmermann – und liefert gleich ein Beispiel: „Ein Mitarbeiter gibt über dieses Netzwerk Tipps hinein in Unternehmensbereiche, in denen Leute arbeiten, die viel mehr Geld verdienen als er selbst. Wie wirkt sich das nun auf sein Gehaltsniveau aus?“ Mit firmeninternen Social-Media-Systemen würden Mitarbeiter in einem schleichenden Prozess für alles und jedes zuständig. „Das heißt, sie machen sich selbst zuständig“, präzisiert Zimmermann. Eine Mitarbeiterhaltung, die immer mehr Unternehmen durchaus als Anforderung formulieren. 

VORSCHLAGSWESEN AUSGEHEBELT

Wie die Allianz gehen auch andere global agierende Unternehmen – zum Beispiel Bosch, VW oder IBM – dazu über, ihre firmeninterne Kommunikation über ein abgeschlossenes soziales Netzwerk abzuwickeln. Die am häufigsten verwendeten Plattformen sind Microsoft SharePoint, Connections von IBM sowie Jive vom kalifornischen Hersteller Jive Software. Bei allen Softwarelösungen können die Mitarbeiter – ähnlich wie etwa bei Facebook – eigene Profilseiten mit Porträtfotos anlegen. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind vielfältig: von der einfachen Message über Gruppendiskussionen bis hin zu Echtzeit-Video-Chats. In den meisten Softwares lassen sich zudem Dokumente hochladen und gemeinsam bearbeiten. Seit etwa zweieinhalb Jahren ist das sogenannte Allianz Social Network (ASN) in dem global agierenden Versicherungskonzern im Einsatz. Dass dieses digitale Werkzeug im Unternehmen längst nicht für alle Zwecke eingesetzt werden darf, für die es eingesetzt werden könnte, ist vor allem der Hartnäckigkeit des dortigen Betriebsrats zu verdanken. Nach längerer Auseinandersetzung mit der Unternehmensführung konnte vor gut zwei Jahren eine Konzern-Betriebsvereinbarung durchgesetzt werden, die den Einsatz des Social Network reguliert. Demnach darf das ASN weder zur Leistungs- noch zur Verhaltenskontrolle verwendet werden. Die Nutzung ist freiwillig, personenbezogene Auswertungen finden nicht statt. Außerdem gilt die Zeit als Arbeitszeit, die Allianz-Beschäftigte im Netzwerk aktiv sind, und muss entsprechend erfasst werden.

„Die Allianz in Deutschland hat die Nutzung ihres sozialen Netzwerks auf die Betriebsorganisation und die IT beschränkt“, erklärt Rolf Zimmermann. In diesen Bereichen aber kommt es sehr intensiv zum Einsatz, zum Beispiel für die Projektkoordination. Mitarbeiter organisieren sich in verschiedenen (virtuellen) Projektgruppen, können sich digital beraten und Umfragen starten. Beiträge anderer können kommentiert werden, auch eine „Like“-Funktion – bekannt aus Facebook – ist vorhanden. 

Dabei tendieren firmeninterne soziale Netzwerke dazu, das betriebliche Vorschlagswesen zu unterwandern, meint Zimmermann: „Unser Vorschlagssystem ist ein formatierter Prozess. Da kann man eine Idee einreichen, und wenn sie gut ist, bekommt der jeweilige Mitarbeiter Geld dafür. Wenn das allerdings über das ASN läuft, geschieht das außerhalb des herkömmlichen Prozesses, und es gibt auch kein Geld.“ 

Im Betriebsrat hatte das soziale Netzwerk anfangs 95 Prozent Gegner und fünf Prozent Freunde. Inzwischen ist das Meinungsbild fifty-fifty – ein Wandel, der ganz wesentlich mit der ausgehandelten Betriebsvereinbarung zusammenhängt. Auch unter den Allianz-Mitarbeitern gehen die Meinungen strikt auseinander: Viele halten das Netzwerk für reinen Zeitdiebstahl; einige können sich eine Arbeitswelt ohne dieses Hilfsmittel gar nicht mehr vorstellen. 

ACHTUNG SKILL-MANAGEMENT

Es sind die weitergehenden Anwendungen, die die Betriebsräte alarmieren. Denn in nahezu alle Softwarelösungen für firmeninterne soziale Netzwerke lassen sich Systeme für ein Wissens- und ein Skill-Management integrieren. Ein Wissensmanagement soll die Belegschaft detailliert und rasch über Fachfragen und Arbeitsprojekte informieren – egal ob sie bereits abgeschlossen sind oder noch „in progress“. 

Das Skill-Management wiederum soll Fähigkeiten und Tätigkeiten der Mitarbeiter abbilden, es könnte die oft zeitraubende Expertensuche im Unternehmen beschleunigen, wirbt die Arbeitgeberseite. 

In der Praxis könnte das Skill-Management künftig so aussehen: Alle vom Netzwerk erfassten Mitarbeiter werden mit einer stichpunktartigen Beschreibung ihrer Tätigkeiten aufgeführt – plus einem Punktesystem, das verraten soll, wie fachlich versiert sie darin sind. Das hat seine Tücken. Damit wird der gläserne Mitarbeiter Realität, Leistungsbewertung – individuell und vergleichend – ist damit ohne Weiteres möglich. Einen vermeintlichen Effizienzvergleich der Mitarbeiter gäbe es quasi auf Knopfdruck. 

Doch das hat die Mitbestimmung der Betriebsräte verhindert. Das Betriebsverfassungsgesetz sowie das Bundesdatenschutzgesetz sehen die Einbeziehung von Betriebsräten zwingend vor, wenn Systeme eingeführt werden sollen, die zur Leistungskontrolle und -beurteilung genutzt werden können. Somit konnte ausgeschlossen werden, dass das interne soziale Netzwerk der Allianz über ein solches Skill-Management verfügt. Ein Wissensmanagement gibt es aber sehr wohl. 

DAIMLER AG MIT 6000 TESTNUTZERN

Auch die Daimler AG setzt seit dem Jahr 2012 auf ein hausinternes soziales Netzwerk. Bislang wird die „Daimler Connect“ genannte Software von etwa 6000 Testnutzern verwendet – hauptsächlich Mitarbeiter im IT-Bereich sowie studentische Nachwuchskräfte. Wie bei der Allianz wurde auch beim Premiumhersteller Daimler frühzeitig der Betriebsrat in das Projekt eingebunden. 

Seine Bedenken hat der Betriebsrat angemeldet angesichts eines Systems für das Wissensmanagement, welches in das soziale Netzwerk integriert wurde. Damit soll gewährleistet werden, dass Wissensträger zu unterschiedlichsten Fachfragen schnellstens ausgemacht werden können. Bernd Öhrler, Mitglied im IT-Ausschuss des Daimler-Gesamtbetriebsrats, sieht darin eine mögliche Leistungsverdichtung: „Wenn nun jemand als Know-how-Träger zu einem Spezialthema identifiziert wurde, wird dieser Mitarbeiter womöglich mit zusätzlicher Arbeit belastet, sozusagen auf dem Seitenweg. Und dass er diese Leistung neben seinen eigentlichen Aufgaben dann auch noch zu erbringen hat, wird nirgendwo festgehalten.“ Selbst dann, wenn dieses Fachwissen gar keinen Bezug zu den originären Aufgaben des Mitarbeiters habe, müsse dieser fortan womöglich dennoch zusätzliche Auskünfte erteilen. Öhrler: „Das könnte ihn in seiner sonstigen Arbeit nach hinten werfen.“ 

In seinen Funktionen ähnelt Daimler Connect Facebook, erklärt Betriebsrat Öhrler. „Es enthält eine Me-Seite, wo man sich selber darstellen kann – 
angefangen beim Porträtbild, aufgehört bei Kompetenzen, Fähigkeiten, Interessenslage.“ Die betriebsratsinterne Diskussion über das Netzwerk sei „ein wenig altersgetrieben“ gewesen. „Während die Jüngeren die Aufregung darum nur wenig verstehen konnten, hat das die älteren Mitarbeiter schon sehr beschäftigt.“ 

Alarmiert hatte den Betriebsrat jedoch die Ankündigung der Unternehmensführung, ein vom internen sozialen Netzwerk Daimler Connect unabhängiges System für das Skill-Management einzuführen. Das Prinzip: Unterschiedliche Berufsbilder aus dem IT-Bereich sind mit jeweils vier Fähig-
keitsstufen versehen, vom Anfänger bis zum Experten. Mit dem direkten Vorgesetzten besprechen die jeweiligen Mitarbeiter, welchem Status sie zugeordnet werden. „Der Arbeitgeber hat uns dieses Skill-Management immer als ein Tool vorgestellt, in dem es ausschließlich darum geht, Mitarbeiter weiterzuentwickeln“, sagt Öhrler. „Wir befürchten aber, dass in Wahrheit ein anderes Ziel angestrebt wird: Man möchte möglichst frühzeitig Arbeitnehmer aus einem großen Topf heraussuchen können, wenn man zum Beispiel ein neues Projekt hochziehen will.“ 

Demnach könnte mit dem Skill-Management das gegensätzliche Ziel verfolgt werden: dass es für den Arbeitgeber irgendwann nicht mehr nötig sein wird, Mitarbeiter weiterzuqualifizieren. Schließlich kann er sich ja aus einem riesigen Pool die- oder denjenigen mit den gerade geforderten Fähigkeiten herauspicken. 

Ebenfalls unabhängig vom internen sozialen Netzwerk Daimler Connect ist eine Software namens Business Innovation. Dort können Mitarbeiter neue Geschäftsideen einstellen, gemeinsam kommentieren und gegebenenfalls weiterentwickeln – eine digitale Weiterentwicklung des herkömmlichen Verbesserungswesens. Dennoch bestehen Unterschiede zwischen beiden Formen: Im klassischen Vorschlagswesen findet eine Vergütung statt. Bei Business Innovation wird zusätzliche Denkleistung der Mitarbeiter nicht finanziell honoriert. 

Seit einiger Zeit hat Daimler zudem den Kurznachrichtendienst Twitter in dieses Programm eingebunden. Stellt ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin nun eine neue Idee in das System ein, kann er oder sie die anderen Teilnehmer der Community sofort informieren. Der Betriebsrat sieht solche Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. Immer mehr werde versucht, Privatleben und Dienstzeit zu vermischen, kritisiert Öhrler. „Für uns ist das die größte Kröte, die wir schlucken müssen. Denn wir wissen letztendlich: Möglicherweise werden in der Freizeit die Ideen erst einmal generiert und ausgearbeitet. Und wenn das Ganze dann auch noch per Twitter rausgeschickt wird, reagiert womöglich ein Mitarbeiter auch noch in seiner Freizeit darauf. Und das Ganze mit null Gegenertrag.“ 

Umso wichtiger sind mitbestimmte Regelungen. Für das Skill-Management-System wie auch für das vergleichsweise harmlose interne Kommunikationsnetzwerk Daimler Connect konnten Gesamtbetriebsvereinbarungen durchgesetzt werden. Diese legen unter anderem fest, dass die Nutzung von Connect eine freiwillige Angelegenheit bleiben muss. Bezüglich des Skill-Management-Systems wurde ebenfalls festgehalten, dass die Teilnahme freiwillig ist. „Ein Mitarbeiter muss immer selbst entscheiden können, welche Daten er herausgibt“, sagt Gerd Busse und unterstreicht damit die Prinzipien von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung. Busse hat sich für die Hans-Böckler-Stiftung mit Betriebsvereinbarungen zu Skill-Datenbanken befasst – dem Vorläufer heutiger Skill-Management-Systeme. Besonders aufpassen müssten Betriebsräte, wenn sogenannte Soft Skills von Mitarbeitern erhoben werden. Von objektiven Bewertungen könne dann keine Rede mehr sein, sagt Busse 

Wesentlich war für den Betriebsrat, dass die Auswertungsfunktionen des Skill-Managements strikt reguliert werden. „Es darf also nicht jeder lustig auswerten, wer wo welche Kompetenzen hat. Vielmehr muss es eine zentrale Reporting-Stelle geben, die nur unter festgelegten Rahmenbedingungen agieren kann“, betont Betriebsrat Öhrler.

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