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Magazin Mitbestimmung

: Das große Loch

Ausgabe 01+02/2010

ARBEITSVERWALTUNG Rund 18 Milliarden Euro fehlen der Bundesagentur für Arbeit im neuen Haushaltsjahr. Überall wird nach Geld gesucht. Die Beiträge und die Steuerzuschüsse werden steigen. Von Daniel Seemann

DANIEL SEEMANN ist Journalist in Hamburg/Foto: ddp

Das Jahr 2010 ist das gefühlte Jahr eins nach der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Bundesagentur für Arbeit, die größte Behörde, die es in unserem Land überhaupt gibt, muss einen dicken Batzen der Krise bezahlen. Was aber wird aus der Arbeitslosenversicherung, wenn die Regeln zur Kurzarbeit auslaufen, die Konjunktur nicht schnell genug anzieht und immer mehr Menschen arbeitslos werden? Schon im vergangenen Jahr hat die Bundesagentur ihr Finanzpolster aus den zurückliegenden Aufschwungjahren, rund 17 Milliarden Euro, weitgehend aufgezehrt, um das Defizit im eigenen Haushalt auszugleichen.

Damit erbringen die Beitragszahler eine Art Sonderopfer, das Fragen nach der solidarischen Finanzierung der Krisenlasten aufwirft. Denn warum wird eine Maßnahme wie das verlängerte Kurzarbeitergeld, das die allgemeine Wirtschaftslage stabilisieren soll, nicht von allen Bürgern und aus Steuermitteln finanziert so wie die Konjunkturpakete der Bundesregierung und die Abwrackprämie auch?

Die Agentur kalkuliert in diesem Jahr mit einem Minus von rund 18 Milliarden Euro. Ausgaben von rund 54 Milliarden werden Einnahmen von rund 36 Milliarden gegenüberstehen.

Annelie Buntenbach ist Vorsitzende des BA-Verwaltungsrates und damit Chefin der Selbstverwaltung, die aus je sieben ehrenamtlichen Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der öffentlichen Körperschaften zusammengesetzt ist, und zugleich Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das Gremium, dem sie vorsitzt, soll die Arbeit des hauptamtlichen Vorstands überwachen. Wie schätzt sie die finanzielle Lage ein?

Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung von CDU und FDP ist immerhin festgelegt worden, dass das Defizit der Bundesagentur in diesem Jahr durch einen gigantischen einmaligen Zuschuss aus Steuermitteln ausgeglichen wird, zusätzlich zu dem Geld, das der Bund ohnehin zuschießt. Nur knapp zwei Milliarden wird die Bundesagentur selbst berappen können. Damit sind die eigenen Rücklagen der Behörde auch vollständig aufgebraucht. Der einmalige Bundeszuschuss sei ein Erfolg für die Gewerkschaften im Schulterschluss mit den Arbeitgebern, erklärt Buntenbach. Doch die Zusage geht ihr nicht weit genug: "Die Bundesregierung muss auch über das Jahr 2010 hinaus mit Steuermitteln dafür geradestehen, dass bei der Bundesagentur kein Schuldenberg aufläuft", erklärt sie. Wenn nicht, drohten Einschnitte bei der aktiven Arbeitsförderung und auch beim Arbeitslosengeld.

DIE REGIERUNG SOLL ZAHLEN, NICHT NEHMEN_ Dabei war bis vor Kurzem alles klar geregelt. Bis zum Jahr 2006 gab es eine Defizithaftung durch den Bund. Er haftete für Ausgaben, die die Arbeitslosenversicherung über die Summe der eingenommenen Beiträge hinaus belasteten. Sie sei "ohne Not" abgeschafft worden, sagt Buntenbach. Damit nicht genug: Ein Jahr zuvor wurde die Bundesagentur verpflichtet, dem Bundesfinanzminister jährlich die halben Kosten für die Arbeitsförderung und Verwaltung beim Arbeitslosengeld II zu ersetzen. Dieser sogenannte "Eingliederungsbeitrag" beläuft sich in diesem Jahr auf fünf Milliarden Euro.

Doch ist die Existenzsicherung nicht eine allgemeine Staatsaufgabe und somit aus Steuermitteln zu finanzieren? Die Belastung der Beitragszahler mit diesen Kosten gilt vielen als systemfremd und verfassungswidrig.

Der Verwaltungsrat der BA ist ebenfalls dieser Ansicht und hat daher eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht veranlasst. Buntenbach erklärt: "Der Eingliederungsbeitrag ist eine Umverteilung aus der Tasche der Aldi-Verkäuferin zum Ministerialdirigenten." Die Forderungen der Arbeitnehmer im BA-Verwaltungsrat und der Gewerkschaften als Ganzes gehen noch weiter. Sie wollen die Einführung eines Überbrückungsgeldes im Anschluss an das Arbeitslosengeld für ein Jahr, je zur Hälfte finanziert aus Beitrags- und aus Steuermitteln. Arbeitnehmer, die lange gearbeitet haben und durch die Krise erkennbar unverschuldet arbeitslos geworden sind, könnten so von Hartz IV verschont bleiben.

Dazu soll auch eine Fristverlängerung der Anwartschaft für das Arbeitslosengeld auf drei Jahre beitragen. Denn viele Arbeitnehmer sind momentan durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr in der Lage, die Vorgaben für den Bezug des Arbeitslosengeldes (ein Zeitraum von zwölf Monaten durchgehender Erwerbstätigkeit innerhalb der letzten zwei Jahre vor Meldung der Arbeitslosigkeit) zu erfüllen. So könnte man versuchen, viele der arbeitslos gewordenen Menschen aufzufangen. Denn mittelfristig ist keine Entlastung des Arbeitsmarktes in Sicht. "Es kann nicht sein, dass die Opfer der Finanzmarktkrise nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Bedürftigkeit abgeschoben werden", meint Buntenbach.

DIE NÜRNBERGER VERWALTEN DIE KURZARBEIT_ Die Zentrale der BA in Nürnberg ist ein riesiger Kasten aus Glas und Beton, endlose Gänge, mit mausgrauem Teppich ausgelegt, kein Bild schmückt die kargen Wände. Eine eigenständige Bewegung von Besuchern ist unerwünscht. Im 16. Stock der BA-Zentrale hat Eberhard Einsiedler, der Vorsitzende des BA-Hauptpersonalrates, sein Büro. Noch ziemlich spät am Abend hockt er hier. Der BA wächst die Arbeit zunehmend über den Kopf. Allein 2000 zusätzliche Stellen sind geschaffen worden, um den Mehraufwand zu bewältigen, den die hohe Kurzarbeit zurzeit fordert, so der Personalrat. Aber er sagt auch: "Wenn die Arbeitslosenzahlen weiter gravierend steigen, werden wir 2010 ein Problem bekommen." Denn dann wird der jetzt schon unausgewogene Verteilungsschlüssel zwischen wenigen Arbeitsvermittlern und einer großen Anzahl Erwerbsloser noch zunehmen.

Die Kurzarbeit hat sich bei der Stabilisierung des Arbeitsmarktes bewährt. So konnten dadurch nach neuesten BA-Informationen im letzten Jahr 300 000 Arbeitsplätze gesichert werden. Im Durchschnitt des Jahres 2009 waren 3,423 Millionen Menschen arbeitslos und damit 155 000 mehr als im Vorjahr. Jedoch stieg die Zahl der Arbeitslosen nicht so stark wie zunächst befürchtet. Eingesetzt wurde die Kurzarbeit vor allen Dingen im verarbeitenden Gewerbe, das vor der Krise am meisten in die Globalisierung und die Exportwirtschaft eingebunden war und daher besonders hart von der Krise getroffen wurde.

Doch Kurzarbeit kann keine langfristige Lösung für die hohe Belastung des Arbeitsmarktes durch die Krise sein. Sie kann langfristig keinen wirtschaftlichen Aufschwung ersetzen.
Das für 2010 erwartete Konjunkturplus würde zwar helfen, Kurzarbeit abzubauen, aber nicht, Arbeitsplätze zu schaffen, wenn die vorhandenen makroökonomischen Probleme im Finanzsektor nicht gelöst werden und die Nachfrage nicht kräftig ansteigt. Dann ist zu befürchten, dass viele derjenigen, die sich jetzt in Kurzarbeit befinden, entlassen werden, was den Druck auf die Ausgaben der BA weiter verstärken würde.

DIE Bundesagentur braucht mehr geld_ Wer mit dem Zug von Nürnberg nach Berlin reist, über Jena und Leipzig, sieht immer noch Fabriken mit "Aufbau Ost"-Schriftzügen und verfallene Dörfer, auch jetzt noch, 20 Jahre nach der Wende. In der Hauptstadt beobachtet Wilhelm Adamy, Leiter des Bereichs Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand und Sprecher der Arbeitnehmergruppe im BA-Verwaltungsrat, die aktuelle Entwicklung. "Finanziell gesehen steht die Arbeitslosenversicherung ab 2011 mit dem Rücken an der Wand", stellt er klar. "Kein anderes soziales Sicherungssystem wird auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite so massiv von der Krise getroffen wie die Arbeitslosenversicherung."

Die BA braucht mehr Geld. Vielleicht wäre etwas über die Höhe des Beitragssatzes zu erreichen? Denn dass der Beitrag im Jahr 2011 auf drei Prozent steigen wird, ist bereits im Koalitionsvertrag geregelt worden. Von Gewerkschaftsseite war bereits lange vor der Krise vor einer Beitragssenkung gewarnt worden. Die Beitragssteigerung allein werde nicht ausreichen, wenn der Arbeitsmarkt wie zurzeit weiterhin von der Wirtschaftskrise betroffen sei, erklärt Adamy. Kein Wunder, dass in Koalitionskreisen laut darüber nachgedacht wird, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf bis zu 4,5 Prozent zu erhöhen. Aber können alle Arbeitnehmer überhaupt ihren Teil der Sozialabgaben zahlen und Erhöhungen verkraften? Auch die, die wenig verdienen? Hier stellt sich die Frage der Verteilungsgerechtigkeit ganz neu.

NEUKÖLLN - EIN SOZIALES KRISENGEBIET_ Das Jobcenter in Berlin-Neukölln ist ein ziemlich abweisender Zweckbau, in dieser Hinsicht ein würdiger Vertreter der Nürnberger Zentrale. Die Gegend hier ist aus den Medien für die hohen Arbeitslosenzahlen bekannt. Rund um die U-Bahnstation fallen die vielen Kneipen auf, die für einen Freitagnachmittag schon gut besucht sind, dazwischen Döner-Buden, Billig-Supermärkte und Schnäppchenläden. Auf einem Schild steht: "Montag bis Freitag, 15.00 bis 18.00 Uhr, Hartz-IV-Bier: 0,3 Liter nur 1 Euro!"

Besucher des Jobcenters werden von Sicherheitsleuten abgefangen und nach kurzer Überprüfung zum Aufzug begleitet. Diese Vorsichtsmaßnahmen sind nicht unbegründet. Schon einmal haben Unbekannten Brandsätze in zwei Berliner Jobcenter geworfen. Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden.

Gut, dass die Neuköllner Arbeitsverwaltung in diesen Tagen in ein neues, schöneres Gebäude umzieht. Konrad Tack, der Geschäftsführer, genießt zum letzten Mal den vertrauten Blick über die Dächer der Stadt. Er macht einen abgearbeiteten Eindruck.

Nüchtern nennt Tack erschreckende Zahlen: Von den rund 300 000 Einwohnern des Bezirks Neukölln ist jeder Vierte Hartz-IV-Empfänger. Allein von den unter 25-Jährigen, die in diesem Stadtteil leben, ist die Hälfte arbeitslos, jeder Dritte hat keinen Berufsabschluss. Im Jahr 2009 ist die Arbeitslosenzahl dort noch einmal um fünf Prozent gestiegen, mehrheitlich aufgrund von befristeten Arbeitsverhältnissen, die im Zuge der Wirtschaftskrise nicht mehr verlängert wurden. Tack erzählt die Geschichte einer Hartz-IV-Empfängerin, die eine zweijährige Umschulung zur Tischlerin aus BA-Mitteln finanziert bekam. Nach einem halben Jahr steht sie wieder vor der Tür des Jobcenters. Warum? Weil sie bei ihrem letzten Teilzeitjob weniger verdient, als sie vorher als Hartz-IV-Empfängerin vom Staat erhalten hat. Wäre das mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn anders?
Jobs kann man auf diese Weise nicht herzaubern - immerhin aber würden durch höhere Löhne auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung steigen. Im Büro von Eberhard Einsiedler in der Nürnberger Zentrale der Bundesagentur hängt ein christliches Gedicht. Es heißt "Spuren im Sand".

Darin fragt ein Wanderer, der im Sand dahinschreitet, seinen Gott, warum er stets zwei, an den schwierigsten Stellen aber stets nur eine Fußspur erblickt, wenn er auf den Weg zurücksieht. Er beklagt, von Gott verlassen worden zu sein. Die Antwort ist: "Ich werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen." Was würde man in Hamburg, Nürnberg oder Berlin-Neukölln einem Hartz-IV-Empfänger antworten, der sich beschwerte, er fühle sich von der Arbeitsagentur im Stich gelassen?

Grafik zu den Ausgaben und Einnahmen der Bundesagentur für Arbeit nach dem Haushaltsplan 2010 zum Download (pdf)

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