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Erdbeerernte in Andalusien Magazin Mitbestimmung

Erntehelfer: Bittere Früchte

Ausgabe 04/2021

In der Landwirtschaft in Südspanien machen Afrikaner die Drecksarbeit. Sie sind rechtlos, manche werden per GPS überwacht. Die Regierung reagiert mit verstärkten Kontrollen. Von Reiner Wandler

Mir war nicht klar, was mich in Europa erwartet“, sagt Moussa. Der 25-Jährige fristet sein Dasein ohne Aufenthaltsgenehmigung als bezahlter Tagelöhner auf den Erdbeerfeldern im südspanischen Palos de la Frontera. Moussa, der von der Elfenbein­küste nach Spanien kam, wohnt in einer Slumsiedlung aus Brettern und Plastikfolie. Strom gibt es ebenso wenig wie Wasser. „Wir müssen immer über die Felder zu einer Bewässerungsleitung. Das reicht zum Waschen“, sagt er, „Trinkwasser ist es nicht.“

Die Siedlung ist eine von 50 in der Provinz Huelva. Um die 5000 Menschen leben wie Moussa in diesen Elendsbehausungen. Ob Erdbeeren in Huelva, Oliven im südspanischen Jaén oder Steinobst in Katalonien, Moussa zieht, wie viele, dorthin, wo gerade Saison ist. Knapp drei Jahre geht das nun schon so. Moussa kam 2018 in einem kleinen, völlig überfüllten Boot aus Libyen zunächst nach Süditalien. Von dort schlug er sich nach Spanien durch.

  • Informelle Siedlung in Palos de la Frontera
    In dieser informellen Siedlung in Palos de la Frontera leben viele Erntehelfer. Moussa, ein junger Mann von der Elfenbeinküste, ist einer davon.
40 Euro am Tag, unversichert

Derzeit reißt Moussa Folienzelte ein. Es ist Saisonende für Erdbeeren. Alles wird umgepflügt, neu bepflanzt und aufgebaut, damit ab dem kommenden Winter wieder die begehrten roten Früchte für den nord- und mitteleuropäischen Markt angebaut werden können. 40 Euro verdient Moussa am Tag. Das sind 8,54 Euro unter Tarif. Überstunden-, Sonn- oder Feiertagszuschläge bekommt er natürlich nicht. Sozialversicherung? Ein Fremdwort.

Auch die 80 000 bis 100 000 ausländischen Saisonarbeiter in Spanien, die über Papiere und Verträge verfügen, leben meist unter derart schlechten Bedingungen. Die einheimischen Landarbeiter gehen lieber nach Frankreich zur Ernte, als zu Hause zu bleiben. Allein für die Erdbeer­ernte kommen jedes Frühjahr um die 12 000 Frauen aus Marokko.

Soumia war, bevor sie vor zwei Jahren, nach der Trennung von ihrem Mann, in Spanien blieb, 14 Jahre lang eine von ihnen. „Ich war immer wieder auf der gleichen Erdbeerplantage in Cataya, bei Huelva“, berichtet sie. Untergebracht waren die Saisonarbeiterinnen in Containern. „Die waren kaum besser als eine Slumhütte. Viele waren mit Plastikfolie abgedeckt, damit es nicht hineinregnete“, erinnert sich die 35-jährige Mutter zweier Töchter, die bis heute – ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung – auf den Erdbeer-, Himbeer- und Heidelbeerplantagen rund um Huelva ihr Geld verdient.

Die Arbeit ist hart. Die Früchte müssen gebückt gepflückt werden. „Wir werden ständig aufgefordert, schneller zu arbeiten“, sagt Soumia. Gröbste Beleidigungen aller Art durch die Vorarbeiter seien an der Tagesordnung. Vor zwei Jahren zeigten mehrere marokkanische Frauen sexuelle Übergriffe an.

„Die ausländischen Erntehelfer stehen ganz unten auf der sozialen Leiter der Landarbeiter“, erklärt José Antonio Brazo von der kleinen andalusischen Landarbeitergewerkschaft SOC/SAT. Er berät die Afrikaner und klärt sie über die Möglichkeiten auf, zum Beispiel Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen.

Die großen Gewerkschaften des Landes kümmern sich so gut wie nicht um die Immigranten auf den Feldern. Seit dem vergangenen Jahr schickt das Arbeitsministerium der Linkskoali­tion unter dem Sozialisten Pedro Sánchez immerhin verstärkt Inspektoren auf die Plantagen überall im Land. Bei jeder zweiten Kontrolle wurden Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt. Insgesamt wurden Bußgelder von 17 Millionen Euro verhängt.

Ein Arbeitstag entspricht 6,5 Stunden. „Viele Erntehelfer arbeiten mindestens eine Stunde länger, unbezahlt“, sagt Antonio Brazo. Sonn- und Feiertagszuschläge werden nicht beglichen.

  • Soumia, Mutter zweier Töchter aus Marokko
    Soumia ist Mutter zweier Töchter, sie stammt aus Marokko. Gröbste Beleidigungen durch die Vorarbeiter sind Alltag für sie.
Immigranten als Reservearmee

„Zwar ist Akkordarbeit bei der Ernte nicht erlaubt, aber immer mehr Plantagen setzten GPS-Tracker ein, um die Arbeiterinnen zu kontrollieren“, berichtet Brazo und zeigt Fotos von Armbändern oder Schlüsselanhängern mit einem Chip. „Hinter der bunten Werbung verbirgt sich das Leiden“, sagt Brazo. Er spricht von „bitteren Früchten“. „Die Tagelöhner ohne Papiere dienen als Puffer in Spitzenzeiten“, sagt Gemma Casals von der Gruppe „Früchte und soziale Rechte“.

  • Junger Mann aus Ghana in seiner Hütte in Lucena del Puerto
    Ein junger Mann aus Ghana in seiner Hütte in Lucena del Puerto. Ein Moskitonetz und eine Lampe sorgen für ein Minimum an Komfort.
Niedrige Löhne, billiges Obst

Es gibt Plätze, wo sich die Tagelöhner morgens aufstellen. „Die Plantagenbesitzer fahren dort vorbei, wenn sie dringend mehr Arbeiter brauchen, als sie unter Vertrag haben“, erklärt Casals. Ohne die irregulär in Spanien lebenden Immigranten wäre das System der billigen Preise für Obst und Gemüse gar nicht möglich, ist sich die Aktivistin aus dem nordostspanischen Lleida sicher.

Es war hier auf den Steinobstplantagen, wo im vergangenen Frühsommer ein Covid-Infektionsherd in die Schlagzeilen geriet. Das war nur der Anfang: 12,4 Prozent der Infektionen am Arbeitsplatz und 31 Prozent der Angesteckten waren laut spanischem Landwirtschaftsministerium von Juni 2020 bis 25. April 2021 im Agrarsektor zu verzeichnen.

Moussa erinnert sich noch an den harten Lockdown im Frühjahr 2020. „Damals kam die Katastrophenschutzeinheit der spanischen Armee in unsere Slumsiedlung“, sagt er. Doch sie brachte weder Wasser noch Hygieneartikel oder Masken. Sie forderte die Menschen nur auf, die Elendssiedlung auf keinen Fall zu verlassen.


 

Philip Alston, UN-Sonder­berichterstatter zu extremer Armut und Menschenrechten, besuchte kurz vor der Pandemie eine Elendssiedlung in Lepe, ebenfalls in der Provinz Huelva. Er sprach von „struktureller Armut“ und beklagte, dass Menschen wie Moussa „wie Tiere“ leben. „Ihre Bedingungen konkurrieren mit den schlechtesten, die ich je auf der Welt gesehen habe“, erklärte er.

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