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Magazin Mitbestimmung

Gastbeitrag: Bildung radikal aufwerten!

Ausgabe 03/2019

Wir erleben aktuell einen grundlegenden Wandel, der das Potenzial hat, ganze Branchen und Industrien in rasantem Tempo zu verändern. Von Irene Schulz, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

Wir erleben aktuell einen grundlegenden Wandel, der das Potenzial hat, ganze Branchen und Industrien in rasantem Tempo zu verändern. Getrieben wird dieser Wandel durch große Entwicklungen unserer Zeit – die Globalisierung, die Klimakrise, die Digitalisierung und den demografischen Wandel. Diese Herausforderungen wirken nicht in jeder Branche und Region gleichzeitig und in gleichem Umfang. Im Ergebnis aber werden sie nahezu jeden Betrieb, jede Beschäftigte und jeden Beschäftigten treffen. 

Diese Umbrüche der Arbeitsgesellschaft verändern auch bestehende Kompromisse zwischen Kapital und Arbeit und verlangen deren Neuverhandlung. Es sind Fragen nach sozialer und demokratischer Gestaltung technologischen Fortschritts, nach Verteilungsgerechtigkeit und dem Verhältnis von Staat und Markt. In einer Welt der sekundenschnellen, individualisierten Wissensbeschaffung und digitalen Zerstreuung schafft politische Bildung die nötigen Räume für Meinungsbildung, für Debatten und Beteiligung. Deshalb brauchen wir gerade heute, in Zeiten starken Wandels in Gesellschaft, Politik und Betrieb, einen Diskurs, der die Rolle von (Weiter-)Bildung offensiv diskutiert und radikal aufwertet.

In den Unternehmen wird Bildung hauptsächlich als betriebsbezogene Weiterbildung, Kompetenzerhalt oder Effektivitätssteigerung der Beschäftigten definiert. Wenn es um Weiterbildungsansprüche der Beschäftigten und um politische Bildung geht, ist die Verhinderungsenergie vieler Arbeitgeber groß. Dahinter liegt ein alter Konflikt: Wer entscheidet über die Verfügbarkeit von Zeit und über den Personenkreis der von Bildung Begünstigten? Wie weit soll die Mitbestimmung und die Beteiligung der Arbeitnehmer gehen? Die aktuellen Auseinandersetzungen um Bildungszeitgesetze in Bayern und Sachsen, die Freistellungsansprüche für alle Beschäftigten ermöglichen, stehen für diesen Konflikt.Wir als IG Metall wissen, dass sich Tätigkeitsprofile in hohem Tempo über alle Qualifikationen hinweg verändern. Frühzeitige Qualifizierung und Weiterbildung werden entscheidende Erfolgsfaktoren sein. Eine enge berufliche Qualifizierung hieße jedoch, den Weg bestenfalls nur zur Hälfte zu gehen. Denn nüchtern betrachtet ist festzustellen: Viele lehnen die sich abzeichnenden Umwälzungen ab oder fühlen sich in Anbetracht der Wucht der Veränderungen buchstäblich überfordert. Politische Bildung schafft Zeitkorridore für gesellschaftliche Bestandsaufnahmen und Räume für Verortung und Gemeinsinn. Sie stärkt die Kompetenzen des Analysierens, des Denkens in Zusammenhängen (auch über den eigenen Tellerrand hinaus), des Mitredens und Mitgestaltens. Das sind beste Voraussetzungen, sich aktiv und kritisch in Veränderungsprozesse einzubringen. 

Wir brauchen eine bildungspolitische Debatte um Demokratisierung und soziale Innovation in einer Transformation, die sozial, ökologisch und demokratisch sein muss. Das setzt Bildungszeitgesetze und deren offensive Bewerbung in allen Bundesländern voraus. Das erfordert einen integrativen Weiterbildungsansatz, der sozialen und technologischen Fortschritt vorantreibt. 

  • Irene Schulz, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall (Foto: Alexander Paul Englert)

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