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Das Thema Weiterbildung hat in Zeiten von Digitalisierung eine enorme Bedeutung bekommen. Somit wächst auch die Verantwortung für Betriebsräte, sich dabei einzubringen und die Mitarbeiter zu unterstützen. Welche Rolle können sie dabei spielen? Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: Betriebsräte sollen die Unternehmen fordern

Ausgabe 03/2019

Das Thema Weiterbildung hat in Zeiten von Digitalisierung eine enorme Bedeutung bekommen. Somit wächst auch die Verantwortung für Betriebsräte, sich dabei einzubringen und die Mitarbeiter zu unterstützen. Welche Rolle können sie dabei spielen? Von Gunnar Hinck

Monika Brandl war viele Jahre Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Deutschen Telekom und saß im Aufsichtsrat des Unternehmens. Sie kann auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit der betrieblichen Weiterbildung zurückblicken. Ihr Befund ist klar: „Face-to-Face-Unterricht geht immer weiter zurück. Die betriebliche Weiterbildung läuft fast nur noch über Software, also E-Learning.“ Die Zeit der klassischen Weiterbildungsseminare, in denen 20 Leute sitzen, ist zumindest bei der Telekom so gut wie vorbei. Selbst bei Weiterbildungsthemen, bei denen es um Soft Skills geht – also um Teamfähigkeit –, kommen bei der Telekom Computerprogramme zum Einsatz. „Da werden kurze Filme gezeigt, und die Leute müssen dann auswählen, welcher Lösungsweg der beste ist“, erzählt Monika Brandl, die sich inzwischen in der Nähe von Regensburg als Betriebsratsberaterin selbstständig gemacht hat. Dabei seien für Weiterbildungen etwa zu Konfliktlösungsstrategien klassische Seminare aber weiterhin unverzichtbar, sagt sie. Ein Motiv der Unternehmen, mehr auf IT-gestützte Kurse zu setzen – die Telekom bildet dabei keine Ausnahme –, ist das Einsparen von Kosten. 

„Ein Trend ist, dass Arbeitgeber für Weiterbildungsprogramme Zuschüsse zahlen, aber nur außerhalb der Arbeitszeit“, sorgt sich Monika Brandl. Betriebsräte wollen aber zu Recht einen Freizeitausgleich für die Beschäftigten, was oft schwer durchzusetzen ist. Wichtig ist für sie, dass Weiterbildungen durch Betriebsvereinbarungen geregelt sind: „Dazu gehören die Dauer und der Anspruch auf Weiterbildung, die Anrechnung auf die Arbeitszeit, die Wahl der Methoden, die Größe der Gruppen, aber auch die Möglichkeit, bei geschultem Personal bei Bedarf nachfragen zu können.“ 

Die Bedürfnisse sind unterschiedlich

Simone Hocke ist Wissenschaftlerin am Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen und hat in den vergangenen Jahren zum „Spurwechsel“, also dem Übergang in die Betriebsratsarbeit und dem Wiedereinstieg in die normale Arbeit im Betrieb, und zu den Entwicklungen in der betrieblichen Weiterbildung geforscht. Unabhängig von der Methode – klassisch im Seminar oder vor dem Rechner – sieht sie zwei Hauptfragen: „Welche Lernform ist für welche Themen geeignet? Und auf welches Problem genau ist die Weiterbildung eigentlich die Antwort? Auf Vorrat zu lernen funktioniert nicht.“ Sie spielt damit etwa auf die früher in vielen Unternehmen und Behörden üblichen Schulungen für neue Textverarbeitungsprogramme an, in die eine Abteilung kollektiv hineingesteckt wurde. Dabei sind die Bedürfnisse unterschiedlich: Es gibt diejenigen, die durch Learning by Doing lernen, und solche, die eine Betreuung oder Anleitung wünschen.

Die Rolle der Betriebsräte bei der Weiterbildung ist wichtiger geworden. Ein großer Schritt war die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes von 2001, die die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei der Weiterbildung stärkte. Thomas Klebe, Arbeitsrechtler und Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht, zieht eine gemischte Bilanz. „Die zusätzlichen Rechte haben ebenso wie tarifliche Regelungen leider nicht die Bedeutung bekommen, die wir uns gewünscht haben. Das hat unterschiedliche Gründe. Unter anderem liegt es daran, dass die Unternehmen kaum Weiterbildungsstrategien haben und wenig Zeit und Geld bereitstellen.“ 

Michaela Kuhnhenne, Referatsleiterin für Bildung in der Arbeitswelt bei der Hans-Böckler-Stiftung, teilt die Einschätzung: „Die Frage ist: Wo soll es hingehen? In welche Richtung will ein Unternehmen eigentlich qualifizieren? Das wird von der Geschäftsführung oft zu wenig geklärt, oder sie wissen es selbst nicht. Dann fehlen der Personalabteilung und dem Betriebsrat die Informationen darüber, was gerade ansteht. Sie können sich auf keine Strategie einstellen“, sagt Michaela Kuhnhenne.

Laut Thomas Klebe kann aber auch die Arbeitnehmerseite mehr tun: „Den Beschäftigten fehlt ein reales ‚Bedrohungsszenario‘: Gerade wenn ein Unternehmen ausgelastet ist und es Vollbeschäftigung gibt, wird die Notwendigkeit einer Weiterbildung nicht gesehen. Schließlich: Wenn man schon etwas älter und die Rente nicht mehr so weit weg ist, reißt man sich nicht unbedingt darum, zusätzlich etwas zu machen, gerade wenn es außerhalb der Arbeitszeit liegt.“

Für die Zukunft ist Thomas Klebe optimistisch: „Die Themen Digitalisierung und E-Mobilität werden der Weiterbildung einen Schub geben. Die Betriebsräte werden die Unternehmen da ganz anders fordern, und sie tun es auch bereits.“ Aus seiner Sicht sollten die Betriebsräte die Belegschaft mehr einbinden: „Die Betriebsräte müssen methodisch anders herangehen. Sie müssen die Beschäftigten beteiligen und mit ihnen im Austausch sein. Und sie müssen in allen Bereichen des Unternehmens verankert sein und die Vielfalt im Betrieb abbilden.“

Monika Brandl sieht es ähnlich: „Die Rolle der Betriebsräte liegt im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr darin, Arbeitnehmer zu unterstützen, zu beraten und zu ermuntern: Wie kann ich mich weiterbilden? Was passt zu mir? Was kann ich mir vorstellen für meine Arbeit in der Zukunft? Es geht darum, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten. Dabei hat Freiwilligkeit oberste Priorität, mit Zwang geht gar nichts.“ Was die Bedeutung der Rolle der Betriebsräte bei der Weiterbildung angeht, sieht auch Simone Hocke Nachholbedarf bei der Umsetzung in die Praxis: „Mit der Weiterbildung verhält es sich ein bisschen so wie mit dem Datenschutz: Alle Beteiligten halten Weiterbildung für wichtig, aber in der Praxis haben oftmals viele andere Aufgaben Vorrang. Die Einsicht ist vorhanden, aber es fehlen oft die Zeit und das Know-how. Wenn nötig, sollten Betriebsräte externe Experten oder sachkundige Arbeitnehmer heranziehen, die in dem Feld Kompetenzen haben.“ Michaela Kuhnhenne empfiehlt: „Wichtig ist, bei den Betriebsräten eine Sensibilität für den Bereich Weiterbildung zu entwickeln. Im Idealfall können Betriebsräte eine Mentoringfunktion für die Beschäftigten in Weiterbildungsfragen übernehmen.“

Laut der WSI-Betriebsrätebefragung von 2015 haben sich immerhin 70 Prozent der Betriebsräte mit Fort- und Weiterbildung „besonders befasst“ – das ist Platz fünf auf dem Ranking. Führend sind der Arbeitsschutz und Überstunden. Allerdings hinken die Betriebsvereinbarungen, die den Weiterbildungsanspruch in eine rechtlich verbindliche Form gießen, hinterher. Nach der Betriebsrätebefragung von 2017 sind in nur 38 Prozent der Betriebe mit einer Arbeitnehmervertretung Betriebsvereinbarungen zur Weiterbildung abgeschlossen worden. Die meisten Vereinbarungen gibt es zum Arbeitsschutz und zu Arbeitszeitkonten und zum Datenschutz.

Weiterbildung sollte laut Simone Hocke in der Praxis als ebenso wichtig wie das Kerngeschäft betrachtet werden: „Wenn man als Betriebsrat die Weiterbildung als wichtig erachtet, muss sie auf der Prioritätenliste hochgesetzt werden – auch wenn sie mit den kurzfristigen Themen konkurriert.“

Zertifikate für Betriebsräte

Inzwischen bieten Hochschulen Zertifikatsstudiengänge gezielt für Betriebs- und Personalräte an. An der Uni Bremen macht dies die Akademie für Weiterbildung. Der Studiengang will die betriebliche Interessenvertretung weiter professionalisieren und die Betriebsräte hinsichtlich ihrer Beratungskompetenz unterstützen. 

Simone Hocke sieht einen weiteren Vorteil der Zertifikate: „Es gibt mit der Betriebsratsarbeit keinen anderen Bereich, in dem ich als Beschäftigter abseits meiner Berufstätigkeit so viel lernen kann. Die Betriebsräte eignen sich zahlreiche informelle Kompetenzen an, ohne eine formale Anerkennung zu bekommen. Die soll mit den Zertifikatsstudiengängen angeboten werden.“ Die Studiengänge sind als Blockseminare angelegt, sodass sie in die normale Betriebsarbeit integriert werden können.

Thomas Klebe sieht Ausbaubedarf beim Betriebsverfassungsgesetz: „Die Umbrüche in den Betrieben sind radikal. Deshalb brauchen wir auch deutliche Verbesserungen, um die Beschäftigten bei der Transformation mitzunehmen. Nötig ist beim Betriebsverfassungsgesetz, dass die Betriebsräte ein generelles Initiativrecht bei der Weiterbildung erhalten und nicht nur bei Anpassungsqualifizierungen. Zudem halte ich einen individuellen Weiterbildungsanspruch der Beschäftigten für erforderlich – jedenfalls wenn die bisherige Qualifikation durch betriebliche Maßnahmen entwertet wird.“

  • Monika Brandl (Foto: Mina Gerngross)
  • Trainigszentrum für E-Mobility bei Volkswagen in Zwickau (Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild)

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