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Streikende Mitarbeiter der Post und von DHL bei einer Kundgebung 2015 in der ver.di-Zentrale in Berlin. Magazin Mitbestimmung

Logistik: Aus zwei wird wieder eins

Ausgabe 04/2019

Der Versuch der Deutschen Post, ein Tochterunternehmen mit schlechteren Tarifbedingungen zu betreiben, ist gescheitert. DHL Delivery gibt es nicht mehr. Von Gunnar Hinck

Die Analyse von Stephan Teuscher ist nüchtern, aber eindeutig: „Die Ziele, die sich der Vorstand der Post mit der Gründung der Delivery GmbHs vorgenommen hat, hat er nicht erreicht.“ Teuscher, ein „alter Hase“, der die Post noch aus Behördenzeiten kennt, muss es wissen. Er sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG und ist im ver.di-Fachbereich Postdienste zuständig für die Tarifpolitik.

Unter dem Druck der Gewerkschaft hat die Post ein umstrittenes Experiment begraben. Die Beschäftigten der regionalen DHL-Delivery-Tochtergesellschaften sind seit dem 1. Juli unter das Tarifdach zurückgekehrt – damit ist die Zeit der zwei Tarifklassen beendet. 2015 hatte die Post ihre befristet Beschäftigten in die neu gegründeten Regionalgesellschaften ausgelagert. Sie standen vor der Wahl, entweder nicht entfristet zu werden oder in eine Tochtergesellschaft zu wechseln. Über 30 000 Post-Beschäftigte streikten damals für einen neuen Tarifvertrag und gegen Outsourcing.

Das Motiv der Post und des Vorstandschefs Frank Appel, eines ehemaligen McKinsey-Beraters, war natürlich Kostensenkung: Die Post-Mitarbeiter werden nach dem Haustarifvertrag bezahlt, für die Delivery-Gesellschaften galt jeweils der regionale Flächentarifvertag in der Logistik. Rund 13 000 Mitarbeiter in der Paketzustellung waren bei den „Deliverys“ zum Schluss beschäftigt – mit im Schnitt 20 Prozent weniger Verdienst. 

Produktivitätsverluste bei der Post 

„Der Grund für die Post, dem Vertrag zuzustimmen, waren wohl die Produktivitätsverluste durch das Betreiben von zwei parallelen Netzen, der Deutschen Post AG und der DHL Delivery“, sagt Stephan Teuscher. Die Betriebsabläufe von Post und der jeweiligen Regionalgesellschaft mussten klar voneinander getrennt sein, auch wenn beide Gesellschaften die gleichen Gebäude nutzten. DHL Delivery hatte eigene Räume, eine eigene Fahrzeugflotte, eigene Dienst- und Vertretungspläne. Die Reibungsverluste haben vermutlich die Kostensenkungsszenarien des Post-Vorstands aufgefressen.

Ursprünglich hatte die Post vor, einen sogenannten Gemeinschaftsbetrieb zu bilden, um die Probleme zu beheben: Post AG und die „Deliverys“ wären im Betriebsalltag zusammengelegt worden, rechtlich aber weiterhin selbstständig geblieben. Das Zweiklassen-Tarifsystem wäre nicht angetastet worden – dies hätte für ver.di das Überschreiten einer roten Linie bedeutet. Für Teuscher wäre dieses Szenario aber auch aus Sicht der Post nachteilig gewesen: „Das hätte bedeutet, dass die Mitarbeiter unter einem Dach mit mehreren Tarifverträgen gearbeitet hätten.“ Die regionalen Flächentarifverträge der Logistik laufen zudem nicht synchron. „Das hätte für die Post weiterhin das ständige Risiko regelmäßiger Arbeitskämpfe bedeutet“, sagt Teuscher. Jetzt hat die Post Tariffrieden und Planungssicherheit.

Für ver.di ist die Einigung ein großer Erfolg. Ihre Argumente, 2015 vergeblich angeführt, haben sich nun doch durchgesetzt. Es ist gelungen, in einem DAX-Unternehmen den Trend zu Tochterunternehmen mit schlechteren Tarifbedingungen umzukehren. Nicht nur das, die Tochtergesellschaften selbst sind tarifpolitisch Geschichte. „Jetzt gibt es wieder eine Belegschaft. Der Irrweg zweier Gesellschaften ist damit beendet. Darüber sind wir sehr froh. Künftig gilt wieder: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag!“, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis nach der Einigung.

Viele Angleichungen, weniger Unterschiede 

Alle Delivery-Mitarbeiter bekommen seit Juli mehr Geld, in Ostdeutschland liegt das Plus wegen des schlechten Logistik-Tarifs sogar bei bis zu 316 Euro im Monat. Dazu kommt die Tariferhöhung von 2,1 Prozent ab Oktober, die für alle gilt. Die Wochenarbeitszeit beträgt für alle Mitarbeiter 38,5 Stunden. Auch viel kritisierte Praktiken einiger Delivery-Gesellschaften, wie das Arbeiten nach Bedarf und unbezahlte Überstunden, gehören der Vergangenheit an, da bei der Arbeitszeitgestaltung künftig die Betriebsvereinbarungen der Post AG gelten. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2022 untersagt – diesen Schutz gab es bei Delivery nicht. „Außerdem bekommen die ehemaligen Delivery-Mitarbeiter die Möglichkeit, ab 55 Jahren in Altersteilzeit zu gehen – so, wie die angestammten Post-Mitarbeiter. Dies ist gerade mit Blick auf die hohen körperlichen Belastungen in der Paketzustellung eine wichtige Regelung“, sagt Stephan Teuscher.

Kleinere Kröten mussten ver.di und die Delivery-Beschäftigten allerdings schlucken: Angestammte Post-Beschäftigte steigen alle zwei Jahre auf der sogenannten Erfahrungsstufe automatisch auf, das bedeutet jeweils 75 Euro mehr. Bei neu Eingestellten und ehemaligen Delivery-Mitarbeitern kann es bis zu vier Jahre dauern. Für Stephan Teuscher akzeptabel: „Da haben wir einen tarifpolitischen Preis bezahlt, den wir aber für angemessen und vertretbar halten. Erfahrungsstufen sind in den Flächentarifverträgen der Branche nicht üblich. Das bedeutet eine klare Verbesserung für die Kolleginnen und Kollegen von Delivery, vor allem durch eine bessere Entgeltperspektive für die Zukunft.“

Um das Gesicht zu wahren, bestand die Post bei den Verhandlungen auf Zugeständnissen. Wären die Tarifbedingungen nach der Einigung zwischen Postlern, ehemaligen Delivery-Mitarbeitern und neu Eingestellten identisch gewesen, hätte die Post indirekt eingestanden, dass das Delivery-Experiment komplett gescheitert ist. Auch beim Weihnachtsgeld mussten leichte Abstriche gemacht werden. Erst ab 2021 gibt es für die übernommenen Delivery- und die neu eingestellten Mitarbeiter ein volles 13. Gehalt. „Aber jeder Delivery-Beschäftigte bekommt ab sofort ein weitaus besseres Monatsgehalt als vorher. Keiner verdient weniger. Das war uns wichtig. Das ist eher ein psychologisches Problem, dass es zunächst kein Weihnachtsgeld gibt“, sagt Walter Kloß, der Mitglied der Verhandlungskommission auf ver.di-Seite war und Betriebsratsvorsitzender der Post-Niederlassung Hannover ist. In seiner Region bekommen die Übernommenen pro Monat rund 260 Euro mehr. „Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden“, sagt Kloß. 

Fremdvergabe nicht mehr wirtschaftlich

Der Arbeitsmarkt hat laut Teuscher beim Vorstand zu einem Meinungsschwenk bei Ausgliederungen geführt. Früher Allheilmittel, überwiegen jetzt offenbar die Nachteile. „Die Post bildet wieder eigene Kraftfahrer aus und vergrößert ihren eigenen Lkw-Fuhrpark, weil der Arbeits- und der Transportmarkt derzeit eng sind. Die Fremdvergabe beim Transport ist betriebswirtschaftlich nicht mehr lukrativ. Da hat ganz einfach die Marktlage zu einem Umdenken bei der Post geführt“, sagt Stephan Teuscher.

Der leer gefegte Arbeitsmarkt in manchen Regionen hat beim Tarifabschluss zu einer Klausel geführt, die für ver.di nicht zu verhindern war. Neu Eingestellte ab 1. Juli können in bestimmten Regionen bei den Erfahrungsstufen höher eingruppiert werden als ehemalige Delivery-Mitarbeiter. „Die Post bekommt in Ballungsräumen kaum noch Leute. Durch die sofortige Einstufung in Stufe 1 bei Neueinstellungen will sie die Arbeit attraktiver machen. So kann es passieren, dass Altbeschäftigte weniger verdienen, wenn sie noch nicht lang genug dabei waren und auf Stufe 0 sind. Das finde ich ungerecht. Aber das war nicht wegzuverhandeln“, sagt Walter Kloß. 

Post gründete aus

2015 gründete die Deutsche Post AG 49 DHL-Delivery-Regionalgesellschaften. Mit der Konsequenz, dass für deren Mitarbeiter nicht mehr der Haustarif der Post galt, sondern die Entlohnung nach den überschaubaren Regionaltarifen der Speditions- und Logistikbranche erfolgte. Vorausgegangen waren dieser Entscheidung lange Streiks der Postangestellten. Ende März einigten sich ver.di und die Deutsche Post AG bei den Tarifverhandlungen auf ein Ende der zwei Gesellschaften: Seit dem 1. Juli 2019 existiert nun wieder ausschließlich eine Belegschaft der Deutschen Post AG.

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