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Magazin Mitbestimmung

: Aufsichtsräte aufgepasst!

Ausgabe 01+02/2012

MITBESTIMMUNG Die Gesetze und Empfehlungen zur Aufsichtsratsarbeit enthalten konkrete Anhaltspunkte dafür, wie Arbeitnehmervertreter die Energiewende fördern können. Von Dietmar Hexel

DIETMAR HEXEL ist Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB

Die Chancen, die mit der Energiewende verbunden sind, sind riesengroß. Deutschland und Europa können damit gleichzeitig schrittweise ihre Abhängigkeit von Energieimporten abbauen und mehr ökonomische Freiheit durch Energieautarkie erreichen. Für die Gewerkschaften ist allerdings klar: Bei der Entstehung von neuen Arbeitsplätzen im Bereich regenerativer Energien muss deren Qualität stimmen. Grün ist nicht automatisch gut. Eine reine Fokussierung auf den Umweltnutzen greift dann deutlich zu kurz, wenn die sozialen, arbeitsrechtlichen und tariflichen Standards vernachlässigt werden. Die von den Gewerkschaften erreichten guten Arbeitsbedingungen in der konventionellen Energiewirtschaft sind hier der Maßstab.

Natürlich wird dieser gewaltige Transformationsprozess der Wirtschaft nicht nur Gewinner hervorbringen. Verantwortungsbewusste Politik muss den Betroffenen deshalb neue Perspektiven aufzeigen. Hier sind breit angelegte Weiterbildungsangebote und Umschulungsmaßnhamen sinnvoll – auch um die Talente der Beschäftigten zu nutzen, die bislang in der traditionellen Energieversorgung gearbeitet haben. Der Energieumstieg ist eine gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe. Er hat viele Akteure und braucht viele Initiativen. Die Arbeitnehmer mit ihrem Können und ihrem Ideenreichtum sind besonders wichtige Akteure. Denn Unternehmen werden sich künftig verstärkt mit Energiethemen auseinandersetzen. Die rasante Energiepreisentwicklung, knapper werdende Ressourcen und ein verschärfter globaler Wettbewerb erfordern wirkungsvolle Maßnahmen der Kostensenkung und Zukunftssicherung. Noch stärker den Fokus auf den Faktor Energie zu legen, vermindert auch den Druck auf die Arbeitskosten. Diese Zusammenhänge muss der Aufsichtsrat im Blick haben.

KONTROLLE DES VORSTANDES_ Eine wesentliche Aufgabe des Aufsichtsrates ist die Kontrolle des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung des Unternehmens. Dies legt § 111 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) fest. Es geht insbesondere darum, die Ordnungsmäßigkeit, Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung des Vorstandes zu prüfen. Damit können und müssen auch energiepolitische Entscheidungen des Vorstandes auf die Tagesordnung des Aufsichtsrates kommen. Vernachlässigt der Vorstand dieses Thema, so sind die Aufsichtsräte gefordert. Beispielsweise ist der Neuabschluss eines Stromliefervertrages oder die Investition in eine effiziente Fertigungsanlage ein Thema – oder die Frage, ob künftig ein Teil der Energie nicht selber erzeugt, mindestens besser genutzt oder auch mit anderen Unternehmen gemeinsam produziert oder eingekauft werden kann.

Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK), über dessen Anwendung als sogenanntes „soft law“ („comply or explain“) börsennotierte Unternehmen berichten müssen, fordert in Ziffer 3.2, dass sich der Vorstand mit dem Aufsichtsrat über die Unternehmensstrategie abstimmen soll. Daraus kann man ableiten, dass er sich auch regelmäßig über das Energiesystem des Unternehmens und seine Kosten im Aufsichtsrat auf den aktuellen Stand bringen lassen soll. Vor allem in energieintensiven Industrien wie der Stahlindustrie, wo die Energiekosten einen hohen Anteil der Produktionskosten ausmachen, ist die Befassung mit energiepolitischen Themen schon immer unverzichtbarer Bestandteil der Unternehmensstrategie gewesen.

RISIKOMANAGEMENTSYSTEM_ Weiterhin stellt sich die Frage nach einem angemessenen Risikomanagement, das auch energiepolitische Fragestellungen erfasst. Der Hintergrund dafür ist § 91 Abs. 2 AktG: „Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“ Der Gesetzgeber gibt keine konkreten Hinweise, wie diese Forderung praktisch umgesetzt werden soll – in der Gesetzesbegründung wird jedoch ausgeführt, was unter Entwicklungen, die den Fortbestand gefährden, zu verstehen ist. Insbesondere geht es hier um risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften.

Zumindest für die energieintensiven Industrien – aber auch über diese hinaus – kann angenommen werden, dass die proaktive Beobachtung energiepolitischer Entwicklungen, die Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels sowie die forcierte Diskussion und Umsetzung energieeffizienzsteigernder Maßnahmen eine derart herausgehobene Bedeutung für den Fortbestand eines Unternehmens hat. Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft wiederum hat darauf zu achten, dass der Vorstand seiner Verpflichtung zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems nachkommt. Dabei sollte auch beurteilt werden, ob das vorhandene System der Situation des Unternehmens gegenüber angemessen ist und ob energie- und klimapolitische Fragestellungen aufgegriffen worden sind.

BERATUNG DES VORSTANDES_ Neben der Kontrollfunktion hat sich in den letzten Jahren die Beratung des Vorstands als weitere Aufgabe des Aufsichtsrats etabliert. Diese Aufgabe ist als Resultat von Gesetzesreformen und erweiterter Rechtsprechung entstanden. Gestärkt wird diese Entwicklung durch den DCGK, der in Ziffer 5.1.1 die Beratung des Vorstandes auf eine Stufe mit der Kontrolle stellt, indem er ausführt: „Aufgabe des Aufsichtsrats ist es, den Vorstand bei der Leitung des Unternehmens regelmäßig zu beraten und zu überwachen. Er ist in Entscheidungen von grundlegender Bedeutung für das Unternehmen einzubinden.“ Diese Pflicht zur Beratung des Vorstandes umfasst fundierte Nachfragen, Anregungen und Kritik. Der Vorstand wird dann den wichtigen energiepolitischen Themen eine angemessene Bedeutung in seiner Entscheidungsfindung einräumen und gleichzeitig dafür sorgen, dass mögliche Risiken frühzeitig erkannt und proaktiv ausgeschlossen werden können.

Daneben kann die Beratungsfunktion auch die Initiative neuer Projekte umfassen, die sich beispielsweise mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz im Unternehmen befassen. In diesem Kontext sollten Aufsichtsratsmitglieder immer auch darauf hinarbeiten, dass die Mitarbeiter des Unternehmens bei anstehenden Projekten so umfassend wie möglich miteinbezogen werden. So wäre beispielsweise auch eine Beteiligung der Mitarbeiter an einer Fotovoltaikanlage auf dem Dach des Unternehmens eine erwägenswerte Möglichkeit, die Mitarbeiter am Energieumstieg teilhaben zu lassen – und das Bewusstsein und die Verantwortung für die Energiewende zu stärken. Alternativ könnten Unternehmen auch ihre Dachflächen den Mitarbeitern zum eigenen Betrieb von Fotovoltaikanlagen zur Verfügung stellen. Besonders genossenschaftliche Lösungen bieten sich hier an.

Unverzichtbar ist es, im Unternehmen zu entscheiden, ob und wie ein Energiemanagement installiert wird. In vielen Unternehmen hat dies bereits zu erheblichen Kosteneinsparungen, zu einem Umdenken und zu Verhaltensänderungen geführt. Gleichzeitig ist es erforderlich, im Betrieb selbst Energiebeauftragte zu haben, auszubilden und zu fördern. Der Aufsichtsrat sollte dies anregen, und die Betriebsräte können dazu Betriebsvereinbarungen abschließen. Das DGB-Bildungswerk stellt dafür das geeignete Qualifizierungsprogramm zur Verfügung. Des Weiteren ist im Aufsichtsrat zu diskutieren und festzulegen, welche laufenden Kennziffern für Ressourcenverbrauch (Material) und Energie aufgestellt und auch im Jahresabschluss berichtet werden können. Dazu gehören auch das Thema Emissionshandel und die Kosten für CO2-Emissionen.

Gerade wenn es um konkrete Investitionsvorhaben zur Energie- und Ressourceneffizienz im Unternehmen geht, können die betrieblichen Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat einen wertvollen Input leisten. Als Experten für die tatsächliche Arbeitsorganisation vor Ort können sie Entscheidungsprozesse um wichtige Hinweise aus der betrieblichen Praxis ergänzen. Dies gewährleistet, dass sich Investitionen durch hohe Praxistauglichkeit in vollem Umfang auszahlen.

DIE GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE FÖRDERN_ Neben den primär auf das Unternehmen gerichteten Aufgaben des Aufsichtsrates rücken auch die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge von Energiethemen in den Mittelpunkt des Interesses. Das Unternehmensinteresse ist der Verhaltensmaßstab für die Aufgabenerfüllung aller Aufsichtsratsmitglieder. Wenngleich dieses leider nicht wörtlich im Aktiengesetz definiert ist, kann das Interesse der Eigentümer zumindest in einer Aktiengesellschaft nicht einfach mit dem Unternehmensinteresse gleichgesetzt werden. Es muss auch Arbeitnehmerinteressen beinhalten.

Dementsprechend verdeutlicht auch die 2009 auf Antrag des DGB erfolgte Novelle des DCGK die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat, „im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse)“. Dieses Unternehmensinteresse wiederum wird in Ziffer 4.1.1 beschrieben als „Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen im Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung.“ Insofern ist es geboten, dass die Vertreter der Arbeitnehmer im mitbestimmten Aufsichtsrat auch die relevanten umwelt- und energiepolitischen Forderungen wichtiger Stakeholder – wie Gewerkschaften, Nachbarn, Kunden, Mitarbeiter in der Zulieferkette – in die Arbeit im Aufsichtsrat einfließen lassen und zum Gegenstand von Debatten machen.

STRATEGISCHE VORTEILE ERARBEITEN_ Dieses Agendasetting im Aufsichtsratsgremium kann bei der Beratung der Unternehmensstrategie entscheidende Impulse setzen – vor allem dann, wenn es darum geht, das Unternehmen als glaubwürdigen Teil der Gesellschaft darzustellen, der seiner sozialen und ökologischen Verantwortung angemessen Rechnung trägt. Denn die Kunden, die eigenen Beschäftigten sowie das politische Umfeld werden zunehmend fragen: Was ist der Beitrag des Unternehmens zur dringend nötigen Energiewende? Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen enthalten die Aufforderung, dass Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit generell so ausüben sollen, dass sie einen Beitrag zu einem allgemeinen Ziel der nachhaltigen Entwicklung leisten. So sollen sie beispielsweise ständig um die Verbesserung der Umweltergebnisse bemüht sein – unter anderem, indem sie Strategien zur Emissionsminderung sowie zur effizienten Nutzung von Ressourcen entwickeln.

Hier sollten die Aufsichtsräte ansetzen und eine „nachhaltige Unternehmensführung im Kerngeschäft, die in der Geschäftsstrategie des Unternehmens verankert ist“, einfordern, wie es das CSR-Forum der Bundesregierung treffend formuliert. Die Umsetzung der Energiewende geht jedes Unternehmen an. Die Arbeitnehmervertreter können als Teil des Aufsichtsratsgremiums die betriebliche Umsetzung der Energiewende fördern. Davon profitiert das Unternehmen mit seinen Beschäftigten. Denn verantwortungsvolle und glaubwürdige Unternehmen können sich strategische Vorteile erarbeiten, die den wirtschaftlichen Erfolg langfristig sichern helfen.

Mehr Informationen

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: EMPFEHLUNGSBERICHT DES NATIONALEN CSR-FORUMS AN DIE BUNDESREGIERUNG. Bonn 2010

DGB-Bundesvorstand: ENERGIEUMSTIEG – POSITIONEN DES DGB ZUR ENERGIEPOLITIK. Berlin 2011

Matthias Müller: PRAKTISCHE HINWEISE ZUM SOGENANNTEN RISIKOMANAGEMENT. Arbeitshilfe der Hans-Böckler-Stiftung für Aufsichtsräte Nr. 13, 2009

Roland Köstler/Ulrich Zachert/Matthias Müller: AUFSICHTSRATSPRAXIS. Frankfurt am Main, Bund-Verlag 2009

OECD: OECD-LEITSÄTZE FÜR MULTINATIONALE UNTERNEHMEN. Paris 2011

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