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Magazin Mitbestimmung

: 'Wir fordern gesellschaftliche Verantwortung ein'

Ausgabe 10/2004

Der Börsengang der Postbank war spektakulär. Für zusätzliche Turbulenzen sorgte die Deutsche Bank, die als Konsortialführer plötzlich selbst Kaufinteresse signalisierte. Welcher Spielraum bleibt da für Arbeitnehmerpolitik? Ein Interview mit Aufsichtsratsmitglied Christel Zobeley.

Laut Gesetz sollen die externen Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat für gesamtwirtschaftliche Arbeitnehmerinteressen eintreten. Wie sehen Sie ihr Mandat - auch im Verbund mit den betrieblichen Repräsentanten?
Wir pflegen einen engen Schulterschluss zwischen den ehrenamtlichen und den hauptamtlichen Kollegen, wie wir das nennen. Als meinen Auftrag verstehe ich, die Sitzungen für die Arbeitnehmerbank vorzubereiten und, wo nötig, weiteren externen Sachverstand zu organisieren, damit alle Arbeitnehmervertreter optimal vorbereitet sind und ihr Kontrollmandat sach- und fachkundig ausüben können. Dazu gehören auch die Vorbesprechungen der Arbeitnehmerbank. Außerdem organisiere ich einmal im Jahr eine Klausurtagung mit einem Betriebswirt, wo wir uns intensiv mit dem Geschäftsbericht und dem Jahresabschluss befassen. Was das operative Geschäft betrifft, sind die Ehrenamtlichen fraglos die besseren Sachkenner.

Der Aufsichtsrat ist ein Gremium der Unternehmenskontrolle, kein verlängerter Arm des Betriebsrats.
Ganz genau. Gleichwohl nutzen wir den Aufsichtsrat als Forum, um unsere Interessen einzubringen - etwa wenn es um Ausgründungen oder um Neugründungen im Konzern Postbank geht. Wenn solche Entscheidungen anstehen, drängen wir darauf, dass auch die Auswirkungen auf die Beschäftigten erörtert und entsprechende Regelungen getroffen werden. Dafür kann hilfreich sein, wenn wir ein Vorstandsmitglied oder auch den Vorstandsvorsitzenden zur Arbeitnehmervorbesprechung einladen. Die Anteilseignerbank interessieren die Auswirkungen der Aufsichtsratsbeschlüsse für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meist nicht vorrangig, sie interessiert vor allem, wie das Unternehmen wirtschaftlich dasteht.

Das muss die Arbeitnehmervertreter auch interessieren.
Das tut es. Aber ein Wirtschaftsunternehmen hat auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Und die fordern wir ein.

Die Tatsache, dass der Vorstandsvorsitzende einer solchen Einladung zur Vorbesprechung folgt, ist vermutlich der besonderen Post-Unternehmenskultur geschuldet.
Sicher, das zeigt aber auch unseren Einfluss.

Kritiker der Mitbestimmung halten den betrieblichen Vertretern gerne vor, dass sie als Beschäftigte nicht unabhängig sind. Während man den Externen vorwirft, sie würden sachfremde, gerne auch ideologische oder politisch motivierte Aspekte in die Aufsichtsratsarbeit tragen. Spüren Sie eine Klimaveränderung?
Bislang nicht. Wenn beispielsweise die Geschäftsentwicklung erörtert wird, hört man unseren Argumenten aufmerksam zu.

Im Juni ging die Postbank an die Börse. Wie findet man als Arbeitnehmervertreter seine Position, wenn es um eine solche strategische Entscheidung geht? Immerhin lockte auch das Dach der Deutschen Bank.
Eine Fusion mit einer Großbank - egal ob Deutsche Bank oder Commerzbank - ist immer die schlechtere Alternative, weil das nach allen Erfahrungen immer mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergeht. Deshalb ist ver.di generell gegen die Fusion von Großbanken. Ehe 1999 die Postbank eine Posttochter wurde, gab es das Gerücht, dass der Bund an die Commerzbank verkauft. Das wäre damals schon die schlechtere Alternative gewesen. Mit der Post hingegen gibt es über die gemeinsame Vertriebsstrategie eine ganz enge Verbindung: Die Postfilialen wären ohne Postbankleistungen nicht lebensfähig, und für die Postbank ist es ein Wettbewerbsvorteil, dass sie auf den stationären Vertrieb der Post zurückgreifen kann. Außerdem hat die Postbank immer noch einen sehr hohen Anteil von Beamten, der einen kompletten Verkauf an ein Großinstitut schwierig gestalten würde. Im Aufsichtsrat haben sich deshalb auch die Arbeitnehmervertreter für den Börsengang ausgesprochen. Eigenständigkeit ist der beste Schutz für die vorhandenen Arbeitsplätze.

Arbeitsplätze wurden bereits kräftig abgebaut. Kommt man als Arbeitnehmervertreter nicht in Begründungsschwierigkeiten, wenn man zu einem Sanierungskurs keine Alternative sieht?
Die Postbank wurde in den letzten Jahren heftig umstrukturiert. Der Personalabbau war weit größer als bei den privaten Bankinstituten. Er war zu einem großen Teil den Rationalisierungsmaßnahmen im Gefolge neuer Technik geschuldet, aber auch der Marktentwicklung. Aber er erfolgte ohne betriebsbedingte Entlassungen. Wir haben für Maßnahmen gesorgt, die es ermöglicht haben, freiwillig oder vorzeitig zu gehen.

Sozialverträglicher Personalabbau - eine Antwort auf die Frage nach dem Wert von Mitbestimmung für Arbeitnehmer?
Wir werden frühzeitig informiert über Entwicklungen im Unternehmen und können uns von daher frühzeitig überlegen, wie wir damit umgehen wollen. Dass wir uns rechtzeitig ein Bild machen können, was abzuwenden und was hinzunehmen ist, ist ein großer Vorteil.

Warum ist Mitbestimmung auch im wohlverstandenen Unternehmensinteresse, worin besteht ihr Wert für die Anteilseignerseite?
Anteilseigner müssen daran interessiert sein, dass in dem Unternehmen auch die Mitarbeiter einen Stellenwert haben, weil sie nur dann motiviert arbeiten.

Unstrittig ist, dass Partizipation motiviert. Aber müssen die Vertreter der Beschäftigten auch im obersten Kontrollgremium sitzen?
Wer sonst kann rechtzeitig erkennen, wenn ein Unternehmen Probleme bekommt? Schließlich sind die Arbeitnehmer und ihre Vertreter die Experten. Die Mitarbeiter kriegen auch am anderen Ende, über die Kunden, mit, ob alles rund läuft oder wo Störungen auftreten. An dieser Schnittstelle hat die Postbank in den letzten Jahren keine negativen Schlagzeilen produziert - das hat viel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu tun.

Lähmt die Einbindung der Arbeitnehmerseite in den Aufsichtsrat mitunter die kompromisslose Verfolgung einer eindeutigen Interessenpolitik?
Die Erwartungshaltung der ver.di-Mitglieder an den Aufsichtsrat ist sehr hoch, oft zu hoch. Ihnen zu vermitteln, dass unsere Rechte dort auch Grenzen haben, ist manchmal schwierig.

Parallel zum Börsengang war ein Mitarbeiterprogramm aufgelegt. Gab es Diskussionen, wie sich Mitbestimmung und Aktionärsdemokratie ergänzen könnten?
ver.di hat sich in das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm nicht eingemischt. Wir wollten die Rechnung nicht in der nächsten Lohnrunde haben. Natürlich wollen alle die Vorteile mitnehmen, die das Unternehmen einräumt. Doch ist Zurückhaltung angesagt, denn beim Börsengang der Telekom und der Post, wo alle kräftig eingestiegen sind, haben unsere Mitglieder nicht die besten Erfahrungen gemacht.

Sie sitzen für ver.di im Aufsichtsrat, zugleich ist ver.di Tarifpartei bei der Postbank. Mal unterstellt, es wäre bei den diesjährigen Tarifverhandlungen zum Streik gekommen?
Persönlich habe ich damit kein Problem. Immerhin stehe ich seit 1986 in diesem Haus für "die Gewerkschaft" - und für die Beschlüsse, die wir gefasst haben. Dies gilt für alle strittigen Auseinandersetzungen - bis hin zum Streik, den wir als Gewerkschaft nicht grundsätzlich ausschließen können.

Das Gespräch führte Margarete Hasel.

Zur Person

Christel Zobeley, 58, wurde 2002 als Vertreterin von ver.di in den Aufsichtsrat der Postbank gewählt. Mit dem Unternehmen ist sie seit langem bestens vertraut: Seit 1986 ist sie zuständig für die Postbank - zunächst bei der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) und heute als "Bundesfachgruppenleiterin Postbank" beim ver.di-Bundesvorstand. Und sie hat Prinzipien: Zur Vermeidung von Interessenkollisionen will sie erst nach Ablauf ihres Aufsichtsratsmandats Postbankaktien erwerben.

Die Postbank

Geburtsstunde der Postbank als selbständiges Unternehmen war 1989 die Teilung des öffentlichen Monopols der Deutschen Bundespost in die drei Unternehmen Post, Telekom - und Postbank. Seit 1995 firmiert sie als Aktiengesellschaft, seit 1999 als 100-prozentige Tochter der Deutsche Post AG. Beim Börsengang im Juni dieses Jahres platzierte die Mutter 50 Prozent minus einer Aktie. Derzeit beschäftigt die Postbank knapp 10000 Mitarbeiter, 1989 waren es rund 24000 Mitarbeiter. Parallel weitete der Konzern seine Geschäftsfelder erheblich aus und ist heute mit 11,5 Millionen Privatkunden die größte Privatkundenbank Deutschlands. Mit rund 70 Prozent ist der Organisationsgrad für ein Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche ungewöhnlich hoch - auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat ist er 100 Prozent. Selbst die Vertreterin der Leitenden Angestellten ist ver.di-Mitglied. Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel, im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender der Post AG, ist der DGB-Vorsitzende Michael Sommer.

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