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Magazin Mitbestimmung

: 'Die Krise ist ein schlechter Ratgeber'

Ausgabe 01+02/2009

INTERVIEW Aufsichtsrats-Experte Manuel René Theisen über die Folgen der Finanzmarktkrise, gute Aufsichtsratsarbeit und die Vollkasko-Mentalität der Manager

Das Gespräch führten HENDRIK ANKENBRAND, Journalist in Hamburg, und KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung.



Herr Theisen, vor etwa einem Jahr erklärten Sie, die Debatte um gute Unternehmensführung verlagere sich weg von der Sphäre staatlicher Regulierung hin zum Markt. Würden Sie den Satz heute wiederholen?
Nein - auch die Wissenschaft muss ihre Erkenntnisse revidieren. Die Lage ist jetzt eine völlig andere. Viele Leute haben zu spät kapiert, wie stark wir am Finanzmarkt hängen. Staatliche Regulierung war in der Vergangenheit nicht besonders beliebt. Jetzt erscheint sie nicht mehr abwegig.

Sie formulieren sehr zart. Man könnte auch sagen: Der beherzte Eingriff des Staates erscheint für viele als letzter Ausweg.
Im vergangenen Jahr haben wir erlebt, dass zur Not auch innerhalb von drei Tagen Gesetze verabschiedet werden können. So etwas war davor völlig undenkbar. Der Staat wird als Vertrauensinstitution gestärkt. Doch sehe ich einiges von dem, was so schnell beschlossen wurde, auch mit großer Sorge.

Warum?
Ich fürchte, dass das Pendel, das vorher zu sehr in Richtung eines hektischen Marktes ausgeschlagen ist, nun in die andere Richtung ausschlägt und sich die Politik in unangemessener Weise einmischt.

Auch Politik hat ihre Konjunkturen. Was ist daran schlimm?
Wenn der Staat in eine Bank einsteigt und Anteile übernimmt, wird den anderen Shareholdern - anders als sonst bei einer Kapitalerhöhung üblich - verwehrt, dass diese ebenfalls ihr Kapital aufstocken, um den prozentualen Anteil zu halten. Ihr Anteil wird verwässert - das ist ein massiver Eingriff in Aktionärsrechte.

Ist das das Hauptproblem in einer Zeit, wo wir eine massive Finanzkrise erleben, für die wir alle bezahlen müssen?
Forderungen nach mehr staatlichem Engagement sind derzeit sehr populär. Aber sie haben stets ein Janusgesicht.

Wäre es falsch, die Krise als Chance zu sehen, weil sie Schwachstellen offenbart, die man nicht klar gesehen hat?
Ich glaube, dass die Krise stets ein schlechter Ratgeber ist. Sie ist der Ausnahmefall und zwingt zum schnellen Handeln. Wie sollen dabei gute Gesetze für den Normalzustand herauskommen?

Man kann die Leute, die uns das eingebrockt haben, aber auch nicht weitermachen lassen wie früher. Welche Konsequenzen ziehen Sie für die Arbeit der Aufsichtsräte in Deutschland?
Mir ist eine Professionalisierung der Aufsichtsräte wichtig - da nehme ich niemanden aus: Kapitaleigner, Arbeitnehmervertreter und auch Vertreter der öffentlichen Hand, wenn diese Anteile besitzt. In der Vergangenheit hat man Aufsichtsratsmandate wie Auszeichnungen vergeben. Das gilt nicht nur für die großen Namen, sondern auch für die Kommunen und die lokale Politprominenz, deren Eitelkeiten da bedient wurden. Politische Rücksichtnahmen muss man von der Speisekarte streichen.

An wen denken Sie?
Ich frage mich, warum die öffentliche Hand in den Landesbanken keine unabhängigen Experten in die Gremien entsendet, sondern Politiker. Ein politisches Amt und die Arbeit in einem Aufsichtsrat vertragen sind nicht. Auch die Gewerkschaften könnten mehr Finanzfachleute ihres Vertrauens entsenden.

Und die Kapitaleigner?
Ich sagte ja, dass ich niemanden ausnehme.

Anteile am Kapital begründen normalerweise Stimmrechte - was bedeutet das für das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen Veto-Rechte einräumt?
Dazu habe ich eine ganz dezidierte Meinung: Das VW-Gesetz wird fallen, denn Sonderrechte aus politischen Rücksichtnahmen sind out. Die jetzige Situation ist ja abenteuerlich. Wir haben nunmehr ein verabschiedetes Gesetz, und gleichzeitig liegt seit November 2008 eine Warnung aus Brüssel vor, dieses Gesetz in der jetzt geltenden Fassung in Kraft zu setzen. Daher ist es keine Spekulation mehr, dass es mit Sicherheit zu einem zweiten Verfahren gegen dieses Sondergesetz vor dem Europäischen Gerichtshof kommen wird.

Was macht Sie so sicher, dass das VW-Gesetz nicht mehr zeitgemäß ist?
Deutschland war lange Zeit eine sehr geschützte Wirtschaft und hat viel erreicht. Der Kapitalmarkt spielte für viele Unternehmen keine Rolle. Aber kein Modell hält ewig. Wer heute global mitspielen will, der muss sich auf darauf einlassen, dass er global beobachtet wird. Nationale Alleingänge und regionale Sondergesetze für einzelne Unternehmen haben da wenig Zukunft.

Heißt das, dass nur Anteile Stimmrechte begründen können? Damit wäre ja auch die Mitbestimmung in Frage gestellt.
Die Mitbestimmung von 1976 ist eine politische Entscheidung gewesen. Sie muss modernisiert werden. Was die Europäische Aktiengesellschaft angeht, sind wir da auf einem guten Weg, denn verhandelte Mitbestimmung bietet flexiblere Lösungen. Damit wird man mehr von der Idee der Mitbestimmung retten als durch starres Festhalten an Überkommenem.

Deutsche Töchter amerikanischer Konzerne leben ganz gut mit der Mitbestimmung. Warum sollte man nicht auch die 76er-Regelung international kommunizieren können?
Dieses "Zusammenleben" gründet ganz überwiegend auf der Tatsache, dass diese Tochtergesellschaften als GmbH geführt werden, wie die Adam Opel GmbH. Solche Gesellschaften müssen unmittelbare Weisungen der Mutter an die Geschäftsführung dulden, auch wenn ein mitbestimmter Aufsichtsrat besteht.

Sie haben die Bilanzierung nach IFRS stets als Rechnungslegungs-Imperialismus beklagt und für mehr Eigenständigkeit votiert. Jetzt beklagen Sie nationale Besonderheiten. Kann denn beides richtig sein?
Es sind immer zwei Paar Schuhe, etwas kritisch zu würdigen und sich Alternativen auszudenken. Die Europäer müssen mehr Selbstbewusstsein entwickeln. Denn wir haben uns in vielen Gebieten auf einen bloßen Imitationswettbewerb mit den USA eingelassen und wundern uns nun, dass eigene, deutsche Gesetze keine Berücksichtigung finden. Das begann mit der Rechnungslegung, es gilt auch für den Corporate-Governance-Kodex. Wir haben uns nicht einmal die Mühe gemacht, den Begriff zu übersetzen. Wir importieren ja nicht nur einen schicken Anglizismus, sondern Inhalte.

Beim Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hat man manchmal den Eindruck, er wäre lieber Amerikaner.
Herr Ackermann wollte für die Deutsche Bank AG eine "Board-ähnliche Lösung"; er hat "Directors" statt weiterer Vorstandsmitglieder ernannt. Das lässt in der Tat nur einen Schluss zu: Er wollte CEO statt Vorstandsvorsitzender werden. Und dies sicher nicht nur wegen des Gehalts.

Ein Einzellfall?
Nein, eher ein Mosaikstein, der sich mit anderen zu einem klaren Bild fügt. Es gibt einen Trend zur "Verboardisierung" des deutschen Modells. Ich denke besonders an das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), das erstmals für Abschlüsse des Jahres 2010 gelten soll. Aktiengesellschaften und anderen großen Kapitalgesellschaften mit Aufsichtsrat steht es dann frei, ob sie einen eigenen Prüfungsausschuss nach amerikanischem Vorbild, ein sogenanntes Audit Committee, bilden oder nicht. Wir haben die alte Form der Unternehmensführung schon zu weit ruiniert, um noch zurückzurudern. Dabei haben wir doch - noch - ein System, das sich länger bewährt hat als viele andere.

Wen genau machen Sie dafür verantwortlich?
Mehrere Verantwortliche, aufseiten des Gesetzgebers und auch in der Praxis, haben eigene Wege oder auch nur Anstöße dazu zu wenig unterstützt.

Findet Europa nun wieder mehr Anerkennung?
Es sieht derzeit so aus. Eine Zeit lang hatten wir ja überhaupt keine Chance, bei den Amerikanern Gehör zu finden. Jetzt, wo die Amerikaner selbst Schwierigkeiten haben, kann man eine gewisse Öffnung für andere Ideen beobachten - etwa die Zulassung der IFR-Standards an der US-Börse. Das ist noch keine Parität, aber eine gewisse Beachtung. Dennoch - wir haben den Wechsel von gesetzlichen Regeln zu freiwilligen Vereinbarungen in Europa weitgehend übernommen.

Einer der Gründe für die aktuelle Krise?
Die Selbstverpflichtungen sind nicht bei uns erfunden worden. Niemand in Kontinentaleuropa ist wirklich überzeugt, dass private Selbstverpflichtungen bessere Lösungen bringen als Gesetze.

Eckard von Leesen hat im Oktober 2008 in Ihrer Zeitschrift "Der Aufsichtsrat" mutige ordnungspolitische Entscheidungen gefordert. Er verweist auf Siemens, das nach außen eine gute Figur machte, aber von innen faul war.
Das ist ein sehr kritischer Insider-Blick. Er spiegelt Herrn von Leesens Erfahrungen wider - von seiner Zeit als Lehrling im Stammhaus bis heute als enttäuschter Aktionär. Ich habe keinen Grund gesehen, so etwas nicht abzudrucken. Sein Blick ist in vielen Punkten nicht unberechtigt. Doch der Ruf nach Ordnungspolitik stößt an Grenzen. Ich glaube nicht, dass wir da viel machen können. Es muss sich im Detail wie im Großen einiges ändern - aber vieles davon ist nicht Sache des Gesetzgebers. Vieles muss jetzt im Unternehmen und auf der Managementebene gelöst werden. Anstand kann man nicht durch Gesetz verordnen.

Man kann aber unanständige Dinge verbieten und dafür sorgen, dass Manager haften, wenn sie fahrlässig Schäden anrichten.
Die Haftungsregeln sind in Deutschland sehr scharf. Diese sind bisher nur zu selten geltend gemacht worden. Jetzt gibt es erste Prozesse - wie bei Siemens oder bei der IKB. In vielen Fällen wurde bisher zu viel Rücksicht auf die Beteiligten genommen. Es ist nicht im Interesse des Unternehmens, dass die Organe, also der Aufsichtsrat und der Vorstand, auf eine Haftungsinanspruchnahme verzichten.

Die Manager und Aufsichtsräte sind mit sogenannten D & O-Versicherungen geschützt, wobei das D & O für Directors and Officers steht. Was ist das anderes als eine Vollkasko-Versicherung?
Für Manager gibt es keine Vollkasko-Versicherung. Die Versicherungen sind viel zu gescheit, um so etwas anzubieten. Aber einige Vorstände haben eine Vollkasko-Mentalität.

Der Coporate-Governance-Kodex sieht einen angemessenen Eigenanteil bei den Versicherungen vor.
Ja, eine der wenig geliebten Kodex-Vorschriften.

Und eine vage dazu. Es soll in DAX-Aufsichtsräten immer noch Versicherungen ohne Selbstbeteiligung geben.
Wenn Leute hier erfolgreich versuchen, die Kodex-Regel zu umgehen, trifft die Versicherungsbranche eine Mitschuld. Sie hat Produkte angeboten, die ohne Selbstbehalt billiger sind als mit. Mit versicherungsmathematischen Regeln kann man das nicht erklären.

Man könnte ins Gesetz schreiben, dass Manager bei Fahrlässigkeit mindestens mit einem Jahresgehalt haften?
Davon halte ich nichts. Wir werden keine besseren Manager bekommen, weil wir ihnen drohen, im Zweifel das Häuschen ihrer Oma zu pfänden. Den Arbeitnehmervertretern gibt so etwas eine gewisse Satisfaktion, die ich ihnen gönne. Aber auch so wird sich die Vollkasko-Mentalität als fatal erweisen.

Warum?
Zum einen sind die Versicherungen gedeckelt - mit Summen von 50 oder 200 Millionen Euro. Zum anderen gibt es umfassende Ausschlussregelungen. Fahrlässige Verletzungen der Sorgfaltspflicht sind gar nicht versicherbar. Und selbst da, wo Versicherungen greifen, gibt es hinterher Klagen, um die Versicherungsnehmer in Regress zu nehmen. Bei Untreue haben die Versicherungen zudem gute Chancen, das Privatvermögen anzugreifen. Auch bei Siemens ist nicht ausgeschlossen, dass Privatvermögen angegriffen wird, wenn die Deckung der Versicherung nicht ausreicht.

Die Tatsache, dass der Selbstbehalt unbeliebt ist, kann man auch so deuten, dass er Wirkung zeigt. Warum vertreten Sie so dezidiert die Meinung, dass Sanktionen nicht greifen?
Sanktionen setzen am monetären Schaden des Managers an. Aber die Gemengelage ist viel komplizierter. Es geht um eine Mischung aus Eitelkeit, Gier, echtem Versagen, Druck, Zwang, falsch verstandener Solidarität … Der Vorschlag ist zu einfach gedacht - wie auch die Vorschläge, die Managervergütung zu kappen oder zu begrenzen.

Haben Sie einen besseren Vorschlag, um die Anreizsysteme etwas umzubauen?
Nein, ich weiß keinen besseren Vorschlag. Geld oder Gefängnis sind die Alternativen - aber ich halte von solchen Drohungen nichts. Strafe reizt zum Widerspruch und dazu, auszuprobieren, ob sie wirklich kommt. Und mit Optionsrechten Anreize für eine überdurchschnittliche Leistung zu geben hat auch nicht funktioniert. Wir brauchen einfach bessere Ideen und Systeme!

Die Gegenthese, dass ohne Sanktionen die Qualität der Aufsichtsratsarbeit steigt, ist aber erst recht falsch.
Die Gegenthese gilt nicht immer - das ist völlig klar. Ich bin auch nicht für Verwässerungen irgendwelcher Art. Aber ich verspreche mir von organisatorischen Änderungen - vielleicht sogar durch eigene Einsicht - mehr als von einem Gesetz.

Wie steht es um die Mitverantwortung deutscher Aufsichtsräte - die Arbeitnehmervertreter eingeschlossen - an der aktuellen Wirtschaftskrise?
Das Thema ist brisant, denn es gibt im Aufsichtsrat eine gemeinsame Verantwortung aller Mitglieder für das Unternehmen. Aber man kann die Frage pauschal nicht beantworten. Wenn mir ein Rat zusteht, dann möchte ich alle auffordern, jedes Mandat noch einmal abzuklopfen und die personelle Besetzung zu überdenken. Mit welcher Kompetenz, mit welcher Verantwortung, mit welchem eigenem Beitrag sitzt jemand da?

Das war doch hoffentlich schon vor der Krise so.
Diese Aufgabe ist nicht immer ernst genommen worden. Ich habe Zweifel, ob die Finanzprodukte, die für die aktuelle Krise verantwortlich sind, von den Bankvorständen immer verstanden worden sind. Von den Aufsichtsräten mit Sicherheit nicht.

Was muss sich ändern, außer dass man die Personen sorgfältiger auswählt?
In Zukunft werden wir einen teilprofessionalisierten Aufsichtsrat bekommen. Wir werden gut daran tun, eine Kerngruppe - z.B. den Prüfungsausschuss oder bei kleinen Firmen den ganze Aufsichtsrat - zu professionalisieren und daraus einen Beruf zu machen. Das kann auf der Arbeitnehmerseite genauso der Fall sei wie auf der Kapitaleignerseite. Denn man kann nicht alles im Plenum leisten - es ist ein arbeitsteiliger Prozess.

Wie weit soll, wie weit darf sich der Aufsichtsrat in das Risiko-Management einmischen?
Der Aufsichtsrat hat eine strategische Mitverantwortung. Aber er ist nicht Mitgeschäftsführer. Produktpolitik ist weder in einer Bank noch in irgendeinem anderen Unternehmen eine Sache des Aufsichtsrates. Sie gehört zum operativen Geschäft. Und dafür ist ganz allein das Management verantwortlich.

 

zur Person
MANUEL RENÉ THEISEN, 55, ist seit 1998 Professor für Betriebswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit 2008 zusätzlich Gastprofessor für Corporate Governance und Corporate Law der Privatuniversität Witten/Herdecke. Er ist Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der Aufsichtsrat" sowie Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher zur Aufsichtsratsarbeit.


Zitat
"Wir haben uns in vielen Gebieten auf einen bloßen Imitationswettbewerb mit den USA eingelassen."

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