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Interview mit Sebastian Dullien: „Die Ausnahmeregel der Schuldenbremse sollte 2024 erneut genutzt werden“

Minus 0,1 Prozent im ersten und eine Stagnation im zweiten Quartal 2023: Was hilft gegen die Wachstumsschwäche, in der sich Deutschland derzeit befindet? IMK-Direktor Sebastian Dullien fordert eine präzise Problemanalyse und tatsächlich wirksame Maßnahmen bei Energiekosten, Wohnungsbau und im Bundeshaushalt.

[7.8.2023]

Deutschland leidet derzeit, auch im Vergleich zur anderen EU-Staaten, an einer Wachstumsschwäche. Die vorgeschlagenen Lösungen gehen weit auseinander. Wie ist die derzeitige Debatte zu bewerten?

Sebastian Dullien: Vieles, was in den letzten Tagen zu hören war, war eigentlich das erneute Fordern von Lieblingsprojekten einzelner, die die gleichen Personen schon über Jahre immer wieder gefordert hatten. Vor Lösungsvorschlägen sollte man zunächst eine saubere Problemanalyse machen. Oder zumindest sollten die Lösungsvorschläge gezielt an jenen Punkten ansetzen, die derzeit das Wachstum bremsen.

Wie sieht diese Problemanalyse aus?

Wir erleben, dass die deutsche Wirtschaft unter den Folgen des Energiepreisschocks nach der russischen Ukraine-Invasion und dadurch deutlich gewordenen Unsicherheiten über den Transformationspfad leidet. Die Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück, weil es absolut unsicher ist, was Strom und Gas in 5, 10 oder 15 Jahren in Deutschland kosten.

Auch VerbraucherInnen konsumieren weniger, weil die Inflation die Kaufkraft gedrückt hat. Die chemische Industrie, die besonders für den Rückgang der Industrieproduktion verantwortlich ist, hat die Produktion wegen aktuell hoher Energiepreise zurückgefahren. Und der Wohnungsbau lahmt, weil die Zinsen massiv gestiegen sind.

Brauchen wir ein Konjunkturprogram, etwa niedrigere Steuersätze?

Pauschale Steuersenkungen oder traditionelle Konjunkturprogramme sind in dieser Situation keine sinnvollen Maßnahmen: Steuersenkungen beseitigen die Unsicherheit nicht, traditionelle Konjunkturprogramme brauchen Zeit, bis sie wirken, während schon vereinbarte Lohnerhöhungen absehbar die Kaufkraft schon wieder stabilisieren. Wenn sich nicht der Arbeitsmarkt verschlechtert, dürfte der Tiefpunkt beim Konsum hinter uns liegen.

Es müsste über einen Brückenstrompreis ein klarer Erwartungspfad für künftige Strompreise geschaffen werden. Gleichzeitig müsste ein klares Konzept aufgestellt und kommuniziert werden, wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien genau aussehen soll.

Prof. Dr. Sebastian Dullien

Wie ist das Sofort-Programm der Union vor dem Hintergrund der Probleme zu bewerten?

Dieses Sofortprogramm ist ein Beispiel unfokussierter Maßnahmen, die mit den Ursachen der Wachstumsschwäche nichts zu tun haben. Erbschaftssteuer auf das Elternhaus abzuschaffen, bringt überhaupt nichts fürs Wachstum. Steuerfreistellung von Überstunden regt vor allem dazu an, Abläufe so zu organisieren, dass Überstunden statt normale Arbeit geleistet werden. Und einbehaltene Gewinne geringer zu besteuern, bringt keine Investition, sondern bestenfalls Finanzanlagen der Unternehmen. Einzig verbesserte Abschreibungsbedingungen machen aus dem aktuellen Programm in der aktuellen Situation kurzfristig Sinn.

Eine Problemanalyse, die man zuletzt auch oft lesen konnte, ist, dass Deutschland vor allem an zu viel Bürokratie und zu langsamer Digitalisierung leidet – was ist da dran?

Ja, Bürokratieabbau und Digitalisierung, aber auch Maßnahmen wie Weiterbildung, Fachkräfteeinwanderung und Infrastrukturinvestitionen sind alles wichtige Punkte und sollten vorangetrieben werden. Aber sie haben mit der derzeitigen Wachstumsschwäche wenig zu tun.

Was hilft tatsächlich substanziell und kurzfristig?

Vier Punkte wären wichtig: Erstens Planungssicherheit bei den Energiekosten zu schaffen. Es müsste über einen Brückenstrompreis ein klarer Erwartungspfad für künftige Strompreise geschaffen werden. Gleichzeitig müsste ein klares Konzept aufgestellt und kommuniziert werden, wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien genau aussehen soll und wo der Strompreis damit erwartbar Ende des Jahrzehnts und Mitte der 2030er Jahre liegen wird. Für die notwendigen Investitionen sollte verbindlich öffentliches Kapital zugesagt werden. Auch über eine Reform des Strommarktdesigns muss man reden.

Zweitens ein Austeritätsmoratorium: Die Ausnahmeregel der Schuldenbremse sollte 2024 erneut genutzt werden und konsumdämpfende Kürzungen im Bundeshaushalt ausgesetzt werden – wie jene beim Elterngeld und Bafög.

Drittens würden Superabschreibungen helfen: Mit befristet verbesserten Abschreibungsbedingungen sollte die Investitionstätigkeit der privaten Unternehmen angekurbelt werden.

Und viertens sollte der öffentliche Wohnungsbau kurzfristig so gefördert werden, dass die schwache private Wohnbaunachfrage nicht dazu führt, dass künftig dringend benötigte Kapazitäten in der Bauwirtschaft abgebaut werden, wie wir im IMK bereits in einer Analyse dargelegt haben.  

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