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Der Bergarbeiterstreik 1889 als vergangenheitspolitische Ressource: Streik und Erinnerung

Wie verhalten sich Streik und Erinnerung zueinander? Im 19. und 20. Jahrhundert erfuhr Streik eine enorme symbolische und theoretische Aufladung. Eine Kulturgeschichte des Streikens muss sich also zunächst als Erinnerungsgeschichte begreifen. Anhand der Unterscheidung zwischen Streik im generischen und im spezifischen Sinne offenbart sich, dass eine Historisierung des Streiks an sich immer Gefahr läuft, Hypostasierungen fortzuschreiben. Erinnerungen an spezifische Streiks dagegen offenbaren, so das Argument, dass Streik sich als gleichzeitig flexible und rigide vergangenheitspolitische Ressource erwies. In dem Aufsatz dient die Erinnerung, die die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie an den Bergarbeiterstreik 1889 pflegte, dafür als Beispiel. Es belegt, dass Erzählungen einer progressiven Zähmung des Streiks zu kurz greifen. Streikerinnerung und die Frage nach dem gerechten Streik stellten vielmehr ein Feld intensiver Auseinandersetzungen dar, in denen verschiedene Parteien Streik für ihre Zwecke nutzten. Gleichzeitig produzierten diese aber narrative Pfadabhängigkeiten. Im Kaiserreich bewegten sich die Lesarten des Ausstandes von 1889 zwischen ständischen und klassenpolitischen Deutungen, die sich bis in die Sozialgeschichte der Bundesrepublik fortschrieben. Über diese Schicht schob sich seit der Weimarer Republik und mit den Zechenschließungen in der Bundesrepublik eine Ordnung von Einheit, Konfrontation und Kooperation. Einerseits diente Streikerinnerung dazu, das Prinzip der Einheitsgewerkschaft zu legitimieren. Andererseitsnutzte die Gewerkschaft sie, um sowohl Krisensemantiken als auch Staatstreue und Kooperation zu inszenieren. Auch wenn die BergbaugewerkschaftStreik langfristig aus ihrem vergangenheitspolitischen Arsenal strich, ist dies nicht als Verlustgeschichte zu lesen. Parallel zum Bedeutungsverlust des Bergbaus in der Bundesrepublik verfolgte sie eine Strategie der Selbsthistorisierung, in der eine regionalistische Deutung des Streiks die Oberhand gewann. Diese Umdeutungen bedingten aber eine weitgehende semantische Ausbleichung dieser vergangenheitspolitischen Referenz. Der Aufsatz schließt mit einem doppelten Plädoyer: Auf methodischer Ebene für eine Wissensgeschichte des Streikens, auf geschichtskultureller Ebene für eine Erinnerungskultur jenseits politischer Subjektivierungslogiken.

Quelle

Kellershohn, Jan: Streik und Erinnerung
Arbeitspapier aus der Kommission Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie, 39 Seiten

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