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Viel zu gestalten Böckler Impuls

Arbeit der Zukunft: Viel zu gestalten

Ausgabe 15/2021

Digitalisierung, Wohnen, Homeoffice: Beschäftigte sind mit diversen Entwicklungen konfrontiert, die politischer oder betrieblicher Gestaltung bedürfen. Ansätze dafür finden sich in unserem Überblick.

Europa

Arbeitsrecht für alle

Wie die Arbeitswelt der Zukunft aussehen wird, entscheidet sich auch auf europäischer Ebene. Damit die Interessen der Beschäftigten nicht unter die Räder kommen, muss die EU sozialer werden. Wie das gelingen kann, hat ein Team von Sozialwissenschaftlern, Ökonomen und Juristen in einem Report der Hans-Böckler-Stiftung dargelegt.

Handlungsbedarf sehen die Expertinnen und Experten unter anderem bei der Absicherung von Soloselbstständigen. Die EU sollte verbindliche Mindeststandards definieren und per Rückschrittverbot ausschließen, dass nationale Standards durch europäische Vorgaben abgesenkt werden. Ziel sollte sein, die Selbstständigen in die obligatorischen sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedsstaaten einzubeziehen.

Zudem müsse das Arbeits- und Sozialrecht an die Anforderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt angepasst werden. Crowdworker, die ihre Aufträge über eine Internetplattform erhalten, seien zwar formal selbstständig, aber oft abhängig von Angeboten und Bewertungen ihrer Auftraggeber. Das Problem: Es ist noch nicht rechtssicher geklärt, unter welchen Voraussetzungen sich auch Selbstständige zusammenschließen können, um Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen auszuhandeln. Die Experten plädieren dafür, allen Erwerbstätigen das Recht auf Tarifverhandlungen und Kollektivvereinbarungen zu gewähren. Sinnvoll wäre es dazu, eine Bereichsausnahme vom Kartellverbot ausdrücklich im Europarecht festzuschreiben.

Daniel Seikel u.a.: #zukunftsozialeseuropa: Das Europäische Wirtschafts- und Sozialmodell stärken (pdf), HBS-Report Nr. 67, April 2021

 

Mieten

Unbezahlbarer Wohnraum

Wenn Homeoffice zur neuen Normalität avanciert, wird eine angemessene und bezahlbare Wohnung umso wichtiger. Das Problem: 4,1 Millionen oder 49 Prozent der Haushalte in Deutschlands Großstädten müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete inklusive Nebenkosten und Heizung ausgeben – Werte ab dieser Marke betrachten viele Fachleute als problematisch. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie von Forschenden um den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm, die Daten aus dem Mikrozensus ausgewertet haben. 

Im Mittel zahlen Mieterhaushalte in Großstädten demnach 29,8 Prozent ihres Einkommens für die Bruttowarmmiete. In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Großstädter zur Verfügung haben, sind es rund 46 Prozent. Mehr als 7,5 Millionen Menschen in 4,4 Millionen Mieterhaushalten lebten 2018 in Wohnungen, die für sie zu klein oder zu teuer sind.

Um die Situation zu verbessern, empfiehlt Holm einen mehrgleisigen Ansatz. Neben rechtlichen Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise und dem Ausbau von Belegungsbindungen für Haushalte mit geringen Einkommen sollte der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden. Ein weiterer Schlüssel sei die Einkommenssituation: Es brauche wirksame Maßnahmen zur Auflösung des Niedriglohnsektors.

Andrej Holm u.a.: Die Verfestigung sozialer Wohnungsprobleme, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 217, Juni 2021

Mobile Arbeit

So funktioniert Homeoffice

Die Coronakrise hat zu einem Homeoffice-Boom geführt: Zeitweise hat mehr als ein Viertel der Beschäftigten ausschließlich von zu Hause aus gearbeitet. Vor der Pandemie waren es 4 Prozent. Das zeigt eine Untersuchung von Forscherinnen des WSI und des I.M.U., die unter anderem Daten der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung ausgewertet haben.

Den Ergebnissen zufolge fanden Menschen, die von zu Hause arbeiten konnten, ihre Arbeitssituation weniger belastend als Beschäftigte, die durchgehend den Betrieb aufsuchten. Fast die Hälfte der Befragten im Homeoffice möchte auch in Zukunft gern von zu Hause arbeiten. Allerdings finden viele Heimarbeit auch anstrengender als Arbeit im Büro. Mehr als drei Viertel vermissen den persönlichen Austausch mit den Kollegen. 39 Prozent machen im Homeoffice Überstunden, mehr als die Hälfte gibt an, länger erreichbar zu sein als im normalen Präsenzbetrieb. 

Die Schlussfolgerung der Forscherinnen: Homeoffice brauche klare Regeln, am besten auf Basis von Betriebsvereinbarungen. Unabhängig davon seien das Arbeitszeit- und das Arbeitsschutzgesetz auch im Homeoffice gültig. Das heißt: Höchstarbeitszeiten und Ruhepausen müssen eingehalten werden. Beschäftigte sollten zudem, jedenfalls nach der Pandemie, selbst entscheiden können, ob und wann sie einen Teil ihrer Aufgaben zu Hause erledigen. Am besten funktioniere eine Kombination aus Homeoffice und Präsenz. Präsenzarbeitsplätze dürften daher nicht verschwinden. Für mobile Arbeit seien klare Beurteilungskriterien von hoher Bedeutung. Mehr Homeoffice-Möglichkeiten seien zudem keine Alternative zum weiteren Ausbau der Kinderbetreuung.<

Elke Ahlers, Sandra Mierich, Aline Zucco: Homeoffice in Zeiten von Corona, WSI-Report Nr. 65, April 2021

Arbeitswelt

Gemeinsam in die Zukunft 

Die Arbeitswelt von morgen kann nur durch Mitbestimmung, Tarifvertrag und Sozialpartnerschaft positiv gestaltet werden. Das legen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Praktiker aus Betriebsräten, Verbänden und Management im ersten Bericht des „Rats der Arbeitswelt“ dar, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Januar 2020 berufen hat.

Als wesentlich für erfolgreiche Homeoffice-Arrangements hat sich dem Bericht zufolge die betriebliche Mitbestimmung erwiesen. Vereinbarungen zur mobilen Arbeit sollten künftig der Zustimmung von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedürfen. Der Arbeitgeber habe für eine angemessene technische Ausstattung zu sorgen – die nicht in Rundum-Überwachung ausarten dürfe. Zudem brauche es einen gesetzlichen Rahmen.

Im Hinblick auf die fast sieben Millionen Minijobs empfiehlt der Rat eine stufenweise Abschaffung. Den über zwei Millionen Solo-Selbstständigen sollte zunächst der freiwillige Zugang zu gesetzlicher Kranken- und Arbeitslosenversicherung erleichtert werden. Außerdem seien weitere Maßnahmen gegen Scheinselbstständigkeit geboten. 

Bei der Ausbildung sei eine Gesamtevaluation des fragmentierten Übergangssystems nötig. Generell gelte es, die Attraktivität der beruflichen Ausbildung zu erhöhen sowie die Aufstiegschancen von Absolventen zu verbessern. Der Rat empfiehlt, die bisherigen Mitbestimmungsregeln zu einem „generellen Initiativrecht der Betriebsräte“ bei der betrieblichen Weiterbildung zusammenzufassen. 

Um die Personalausstattung in der Pflegebranche zu verbessern, bedürfe es geeigneter Verfahren der Personalbemessung. Aber auch Ausbildungs- und Arbeitsschutzkonzepte sollten weiterentwickelt werden. Für die Umsetzung sei eine Stärkung der Interessenvertretung in den sozialen Dienstleistungen erforderlich.<

Rat der Arbeitswelt: Vielfältige Ressourcen stärken – Zukunft gestalten, Impulse für eine nachhaltige Arbeitswelt zwischen Pandemie und Wandel, Mai 2021

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