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HBS Böckler Impuls

Öffentlicher Dienst: Verordnung vor Verhandlung

Ausgabe 04/2006

Die Tariflandschaft im öffentlichen Dienst hat sich in den vergangen Jahren grundlegend verändert. Das Arbeitgeberlager ist aufgespalten, der Flächentarifvertrag segmentiert. Tief greifende Änderungen, wie die angestrebte Bezahlung nach Leistung, stellen neue Herausforderungen dar.

Seit den frühen 90er-Jahren sind die Strukturen des öffentlichen Dienstes stark in Bewegung. Personalabbau und Arbeitszeitverlängerung ließen die Kosten sinken. Dadurch ist der Leistungsdruck gestiegen. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes arbeiten längst flexibler als weithin bekannt. Das zeigt eine Analyse von Berndt Keller, Professor für Arbeitspolitik an der Universität Konstanz. Und: Öffentliche Arbeitgeber sind nicht mehr die Modellarbeitgeber, die sie einmal auch für die Privatwirtschaft waren. Unter dem Druck erheblicher Haushaltsdefizite und wachsender Staatsverschuldung gewinnen kostenorientierte Strategien die Oberhand über langfristige politische Überlegungen zu Umfang und Qualität staatlichen Handelns.

Rund drei Jahrzehnte waren Tarif- und Beamtenbereich eng gekoppelt. In der Regel wurden die für Arbeiter und Angestellte vereinbarten Entgelte und Arbeitsbedingungen kurze Zeit später - per Gesetz - auch auf die Beamten übertragen. Dieser Quasi-Automatismus einer Gleichbehandlung löst sich seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts in mehrfacher Hinsicht auf: Die Besoldungserhöhungen folgen nicht mehr zeitnah den Tarifabschlüssen und werden nicht mehr für sämtliche Gruppen übernommen.

Seit 2003 kehrt sich die Regelungsfolge um: Für die Beamten werden längere Arbeitszeiten angeordnet - um Fakten zu schaffen für die Tarifverhandlungen mit den Angestellten und Arbeitern. Mit dem Argument, aus Gründen der "inneren Gerechtigkeit" keine ungleichen Betriebsbedingungen entstehen zu lassen, versuchen die öffentlichen Arbeitgeber auf diese Weise, für alle eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit durchzusetzen.

Die Ausdehnung der Arbeitszeiten auf bis zu 42 Stunden bei den Beamten hat Folgen: Die öffentlichen Arbeitgeber versuchen so, mit weniger Personal die gleichen Dienstleistungen anzubieten und entlasten die strapazierten öffentlichen Haushalte. Für die Beschäftigten bedeutet die Entwicklung seit Jahren eine erhebliche Arbeitsverdichtung und -ausweitung. Über Einstellungsstopps und das Nichtbesetzen frei werdender Stellen wird erheblich Personal abgebaut. In den 90er-Jahren fiel bereits mehr als ein Viertel aller Stellen weg. Auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern sich die Chancen auf eine Anstellung im öffentlichen Dienst.

=> Herausforderung TVöD

Eine umfassende Erosion des Flächentarifvertrags im Sinne einer Verbetrieblichung sieht Keller nicht. Doch es gibt inzwischen einen offensichtlichen Trend zur Dezentralisierung. Vor drei Jahren kündigten die Länder dem Bund und den Kommunen die jahrzehntelang stabile Verhandlungsgemeinschaft auf. Die Länder sind für viele personalintensive öffentliche Bereiche wie Bildung und Wissenschaft zuständig - mit 38 Prozent Personalkosten an ihren Gesamtausgaben.

In die Richtung einer allmählichen Dezentralisierung und Flexibilisierung wirken auch Öffnungsklauseln. So können die Kommunen mit der jeweiligen Bezirksgewerkschaftsvertretung vom Tarifvertrag abweichende Regelungen zur Wochenarbeitszeit vereinbaren. Noch weiter geht der im Oktober 2005 vereinbarte Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Er hat das gesamte Tarifrecht grundlegend verändert. Zentrale Elemente sind ein einheitliches Entgeltsystem für Arbeiter und Angestellte, flexiblere Arbeitszeiten - etwa über Zeitkonten - sowie die Einführung leistungsbezogener Komponenten. Außerdem stimmten die Tarifpartner der Schaffung einer Niedriglohngruppe für an- und ungelernte Arbeiter zu.

Allein die Einführung der künftigen Eingruppierungssystematik wird Jahre dauern und alle Beteiligten erheblich belasten. Eine große Herausforderung ist auch die angestrebte Bezahlung nach Leistung, was nicht zusätzlich zum Gehalt, sondern kostenneutral durch Umschichtung geschehen soll. Wichtige Voraussetzungen, wie fundiertes Fachwissen in der Personalmanagement, sind im öffentlichen Dienst bislang kaum entwickelt. Zudem müssen transparente Kriterien und Messvorgaben für die Beurteilung der Leistung entwickelt werden. Internationale Evaluationsstudien zeigen: Die Erfahrungen anderer europäischer Länder mit leistungsbezogenen Komponenten sind durchaus gemischt und rechtfertigen kaum die hohen Erwartungen, die hierzulande daran geknüpft werden, so Keller.

  • Ob Bund, Länder oder Kommunen: Alle haben den Anteil der Personalkosten an ihren Ausgaben reduziert. Zur Grafik

Berndt Keller: Aktuelle Entwicklungen der Beschäftigungsbeziehungen im öffentlichen Dienst, erscheint in: Die Verwaltung 1/2006.

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