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HBS Böckler Impuls

Biedenkopf-Kommission: Teil der europäischen Vielfalt

Ausgabe 03/2007

In vielen Ländern Europas können die Beschäftigten in ihren Unternehmen mitbestimmen. Teilweise liegen die Schwellenwerte für die Aufsichtsrats-Beteiligung von Arbeitnehmern sogar deutlich niedriger als in Deutschland, dokumentiert der Bericht des Wissenschaftler-Trios um Professor Kurt Biedenkopf.

Das Argument ist bei Gegnern der deutschen Unternehmensmitbestimmung populär: Diese sei international einmalig, kein Land habe sie übernommen. Das zeige, dass die Mitbestimmung im Ausland keine Chance habe - andernfalls hätten sich die deutschen Regeln doch längst zum "Exportschlager" entwickeln müssen.

Die Darstellung klingt plausibel. Falsch ist sie trotzdem, erklärt der Bericht der drei wissenschaftlichen Mitglieder der Mitbestimmungskommission. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht, wie die Professoren Kurt Biedenkopf, Hellmut Wißmann und Wolfgang Streeck zeigen: In 18 von 25 Ländern der EU 25 schreiben Gesetze eine Unternehmensmitbestimmung vor, wobei die Einflussnahme durch die Beschäftigten recht unterschiedlich geregelt ist. Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist "Teil einer europäischen Vielfalt der Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungsprozessen in Kapitalgesellschaften". Und diese Vielfalt hat Tradition: Die Regelungen in den verschiedenen Ländern "sind über lange Zeiträume gewachsen und haben sich in ihren Grundzügen gegenüber allen Vereinheitlichungsversuchen als resistent erwiesen".

Am "Import" von kompletten Mitbestimmungsmodellen bestand und besteht in vielen Staaten also ebenso wenig Interesse wie in Deutschland - die Länder verfolgen ihren eigenen Weg der Beteiligung. Eine Regel mit zwei Ausnahmen: Einmal haben osteuropäische Länder wie Tschechien, Ungarn oder die Slowakei "in den neunziger Jahren zum Teil sehr weitgehende Arbeitnehmerrechte auf Mitbestimmung im Unternehmen neu eingeführt" - was die Wissenschaftler "bemerkenswert" finden. Andererseits existieren in Ländern wie Italien und Großbritannien keine Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung. Die Experten erklären das mit den "traditionell konfliktgeprägten Arbeitsbeziehungen" in diesen Staaten. Ohne Einfluss sind die Beschäftigten auch dort nicht, aber ihre Interessen werden anders geltend gemacht: "Hier ziehen es die Gewerkschaften vor, sich bei der Vertretung ihrer Mitglieder gänzlich auf erstreikbare Tarifverträge zu stützen."

Die unterschiedlichen nationalen Ausprägungen machen es auch schwierig, den Einfluss von Arbeitnehmervertretern in den verschiedenen Ländern direkt zu vergleichen. So lassen die Wissenschaftler ausdrücklich offen, "ob und inwieweit die in Deutschland vorgeschriebene paritätische Besetzung der Aufsichtsräte großer Unternehmen im europäischen Kontext eine besonders weitgehende Form der Unternehmensmitbestimmung darstellt".

Dabei haben die Experten beispielsweise die starke Position skandinavischer Arbeitnehmervertreter im Sinn, die im "Board" ihres Unternehmens sitzen, einer Kombination aus Vorstand und Aufsichtsrat. Allgemein betrachtet sei in Deutschland zwar bei Großunternehmen mit über 2.000 Mitarbeitern die zahlenmäßig paritätische "Beteiligungsquote" im Aufsichtsrat vergleichsweise hoch - in vielen anderen Ländern gilt eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer. Aber über diesen Einzelaspekt hinaus sind noch andere Faktoren wichtig, die die Wissenschaftler herausarbeiten:

=> Das gilt vor allem für den Schwellenwert, also die Zahl der Beschäftigten im Unternehmen, ab der Rechte zur Unternehmensmitbestimmung greifen. Er ist "in zahlreichen europäischen Ländern deutlich niedriger". In Schweden liegt er beispielsweise bei nur 25 Beschäftigten, in österreichischen Aktiengesellschaften gibt es gar keinen Schwellenwert, sofern ein Betriebsrat existiert. In Deutschland kommen überhaupt erst in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat.

=> In einer Reihe von Ländern, vor allem in Skandinavien, legen die Gesetze statt einer Beteiligungsquote eine absolute Zahl von Arbeitnehmervertretern fest. Das kann Quoten zur Folge haben, die ein Drittel übersteigen.

=> Ebenfalls vor allem in Skandinavien sind die Mitbestimmungsrechte als Gewerkschaftsrechte ausgestaltet. Damit, so die Wissenschaftler "erhalten die Gewerkschaften, die zugleich Tarifpartei sind, direkten Zugang zu unternehmerischen Entscheidungsprozessen. In Deutschland dagegen ist das Recht auf Unternehmensmitbestimmung ein Belegschaftsrecht", Rolle und Einfluss der Gewerkschaften seien "vom Gesetz eng begrenzt". Gleichwohl seien die Gewerkschaften durch ihr Nominierungsrecht für einige Sitze auf der Arbeitnehmerbank "in die wirtschaftliche Verantwortung für das mitbestimmte Unternehmen eingebunden".
Auch die Rechtssetzung in der EU trägt der europäischen Vielfalt Rechnung. Zwar fänden sich beispielsweise in den Regelungen zur Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europea, SE) deutliche Anklänge an das Konzept der deutschen Mitbestimmung, betonen die Experten. Schließlich habe die EU für die Europa-AG den "deutschen Dualismus von betrieblicher Mitbestimmung und Unternehmensmitbestimmung - in Gestalt des SE-Betriebsrats einerseits und der Vertretung der Arbeitnehmer im Leitungs- oder Verwaltungsorgan der europäischen Gesellschaft andererseits - als zweckmäßig übernommen".

Doch hinter dieser Anleihe stehe gerade kein Konzept für ein einheitliches Euro-Mitbestimmungsmodell, so die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission. Vielmehr beschränke sich die europäische Gesetzgebung im Wesentlichen "darauf, Brücken zwischen der Vielfalt der nationalen Regelungen zu bauen, um grenzüberschreitende Kooperation bei Erhaltung der Eigenständigkeit der nationalen Rechts- und Sozialordnungen zu ermöglichen".

Dies geschehe vor allem dadurch, dass im Gemeinschaftsrecht für Gesellschaften europäischen Rechts "Freiräume bei der Ausgestaltung der Unternehmensmitbestimmung im Einzelfall geschaffen werden und insoweit in erheblichem Umfang dispositives Recht maßgeblich ist", so die Experten um Kurt Biedenkopf. Das heißt bei der Gründung einer SE: Kapitaleigner und Arbeitnehmer können über die konkrete Ausgestaltung der Mitbestimmung verhandeln. Werden sie sich nicht einig, gilt als Auffanglösung die alte Rechtslage. Zudem gewährleiste das europäische Recht bei SEs, die in mehreren EU-Ländern operieren, die "Beteiligung der Belegschaften von Betrieben aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten an der Arbeitnehmervertretung in einem Unternehmensorgan", schreiben die Wissenschaftler.

  • Mitbestimmung hat viele ökonomische Vorteile. Zur Grafik
  • Die meisten europäischen Länder haben Formen der Arbeitnehmer-Mitbestimmung. Zur Grafik

Bericht der wissenschaftlichen Kommission zur Modernisierung der deutschen Mitbestimmung, Dezember 2006.

Bericht zum Download (pdf)

mehr Informationen zur Unternehmensmitbestimmung in der EU (pdf)

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