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HBS Böckler Impuls

Tarifpolitik: Tarifvertragsgesetz: umkämpft, aber erfolgreich

Ausgabe 06/2009

Das Tarifvertragsgesetz (TVG) trat 1949 in Kraft und wurde seitdem vom Gesetzgeber kaum verändert. Es hat 60 Jahre einen "belastbaren Rahmen" für die Tarifpolitik der Verbände abgegeben, schreibt der Hamburger Jura-Professor Ulrich Zachert in den WSI-Mitteilungen. Zachert zeichnet die wichtigsten, noch immer aktuellen Debatten der vergangenen Jahrzehnte nach.

Das TVG räumt tariflichen Bestimmungen grundsätzlich Vorrang vor betrieblichen Übereinkünften ein. Abweichungen zum Nachteil der Arbeitnehmer in einzelnen Betrieben sind nur zulässig, wenn die Tarifparteien ausdrücklich zugestimmt haben. Arbeiten in einer Branche mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer mit Tarif, kann der Bundesarbeitsminister einen bestehenden Branchentarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn die Tarifparteien einverstanden sind. Dann müssen sich auch Arbeitgeber daran halten, die nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind.

Allgemeinverbindlichkeit. Vor allem in mittelständisch geprägten Branchen wurde das Instrument Allgemeinverbindlicherklärung lange "im Konsens" angewandt, stellt Zachert fest. Die ursprüngliche Übereinstimmung zwischen den ­Tarifparteien sei in den 70er-Jahren allerdings brüchig geworden. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Regelung im TVG in einem Urteil von 1977: Die Allgemeinverbindlicherklärung sei grundgesetzkonform. Sie solle verhindern, dass einzelne Arbeitgeber sich in Zeiten schlechter Konjunktur durch "Lohndrückerei" und "Schmutzkonkurrenz" Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Anbietern verschaffen. Auf dieses Urteil nahm das höchste Gericht später noch mehrfach Bezug: um die Zulässigkeit von Mindestlöhnen auf Basis des Entsendegesetzes sowie die Rechtmäßigkeit des Berliner Tariftreuegesetzes zu begründen. Zachert sieht allerdings mit Sorge, dass sich die Debatte inzwischen auf die europäische Ebene verlagert habe: "Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit wird zunehmend erfolgreich gegen den nach nationalem Recht gewährleisteten Schutzbereich von Tarifautonomie und Arbeitskampfrecht in Stellung gebracht".

Günstigkeitsprinzip. Die traditionelle Auslegung des TVG lässt in jedem einzelnen tariflich geregelten Punkt Abweichungen nach oben zu, zum Beispiel mehr Geld oder kürzere Arbeitszeit. Seit Mitte der 1980er-Jahre gab es jedoch Versuche, das so genannte Günstigkeitsprinzip weiter auszulegen: Ist es für einen Arbeitnehmer "günstiger", längere Arbeitszeiten hinzunehmen als im Tarifvertrag festgeschrieben, wenn er im Gegenzug eine Beschäftigungsgarantie für einen bestimmten Zeitraum erhält? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich auf die weitere Auslegung des Günstigkeitsprinzips nicht eingelassen. Man könne nur das miteinander vergleichen, was sachlich zusammengehöre, beispielsweise tarifliche und arbeitsvertragliche Arbeitszeit. Tauschgeschäfte à la "länger arbeiten  für einen sicheren Job" bedürfen daher einer ausdrücklichen Vereinbarung der Tarifparteien. Von dieser Möglichkeit machten sie in der jüngsten Vergangenheit reichlich Gebrauch. Dass es in Zukunft weitere gesetzliche Anläufe geben könnte, mit "betrieblichen Bündnissen für Arbeit" oder Ähnlichem auch ohne Einverständnis der Tarifpartner betriebliche Sonderregelungen zu ermöglichen, will der Wissenschaftler nicht ausschließen.

Sonderregeln für Gewerkschaftsmitglieder. In den 1960er-Jahren wollte die Gewerkschaft Textil - Bekleidung ein zusätzliches Urlaubsgeld nur für ihre Mitglieder im Tarifvertrag festschreiben. Das BAG erklärte dies für rechtwidrig, weil die geplante Regelung das Gerechtigkeitsempfinden der Nicht-Mitglieder verletzte und unzulässigen Druck ausübe, in die Gewerkschaft einzutreten. Zachert bezeichnet diese Argumentation als "konstruiert und unausgewogen". Sie übergehe das Gerechtigkeitsempfinden der Mitglieder, die "durch ihre Gewerkschaftsbeiträge die Arbeitsbedingungen der Außenseiter faktisch mitfinanzieren". Einige kleinere Gewerkschaften ignorierten das Urteil der  Arbeitsrichter und schlossen weiter Tarife mit Differenzierungsklauseln ab. Angesichts von Mitgliederverlusten seien solche Strategien heute allerdings "auch bei großen Gewerkschaften kein Tabubruch mehr", so Zachert. Und auch das BAG hat seine Auffassung inzwischen geändert: Kürzlich entschied es, dass eine Klausel, die nur Gewerkschaftsmitgliedern eine Sonderzahlung zuspricht, zulässig sei.

Ulrich Zachert: 60 Jahre Tarifvertragsgesetz - Eine rechtspolitische Bilanz, in: WSI-Mitteilungen 4/2009

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