zurück
HBS Böckler Impuls

Tarifverträge: Stunden statt Stellen streichen

Ausgabe 10/2009

Viele Tarifverträge erlauben es Unternehmen, die reguläre Arbeitszeit befristet zu reduzieren. Das kann Arbeitsplätze retten, bringt den Beschäftigten oft aber auch deutliche Einkommenseinbußen.

Das Modell VW hat Schule gemacht: 1993 führte der Autobauer in einer schweren Absatzkrise die Vier-Tage-Woche ein. Rund 30.000 gefährdete Arbeitsplätze wurden so gesichert. Seither ist die Option zur befristeten Arbeitszeitverkürzung in zahlreiche Tarifverträge aufgenommen worden, zeigt eine aktuelle Auswertung. Die Experten des WSI-Tarifarchivs haben die tariflichen Bestimmungen in mehr als 30 Industrie- und Dienstleistungsbranchen untersucht. 26 davon sehen befristete Arbeitszeitreduzierungen in einer Krise vor oder Korridore, mit denen die regelmäßige Arbeitszeit an die wirtschaftliche Lage angepasst werden kann. Als Gegenleistung darf Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit reduziert haben, nicht betriebsbedingt gekündigt werden. Damit bietet die befristete Arbeitszeitverkürzung ein zusätzliches Instrument, um die Beschäftigung auch über eine längere Krise zu sichern - beispielsweise, wenn in einem Betrieb die Möglichkeiten zur Kurzarbeit bereits ausgeschöpft sind.

Der größte zeitliche Spielraum besteht nach der WSI-Untersuchung im Reisebürogewerbe und bei den ostdeutschen Gemeinden. Dort können Betriebsräte und Unternehmensleitung vereinbaren, die wöchentliche Arbeitszeit um bis zu ein Viertel zu kürzen - absolut von 40 auf 30 beziehungsweise von 38,5 auf 30 Stunden. Ähnlich sieht es im Bankgewerbe und bei Versicherungen aus. Weit verbreitet sind Reduzierungsrahmen um die fünf Stunden wöchentlich, wie beispielsweise in der Metall- und der Eisen- und Stahlindustrie. Einige Tarifverträge verzichten auf konkrete Untergrenzen. Im Einzel- und im Großhandel sehen die Tarifverträge hingegen keine Möglichkeit zur befristeten Arbeitszeitverkürzung vor. Auch im Hotel- und Gaststättengewerbe, dem Bauhauptgewerbe und dem Gebäudereinigerhandwerk gibt es sie nicht.

"In vielen Branchen ist der Verkürzungsspielraum groß genug, um in erheblichem Umfang Beschäftigung zu sichern", resümiert Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI-Tarifarchivs. "Allerdings zahlen die Beschäftigten einen erheblichen Preis dafür, und es ist fraglich, ob sich schlechter bezahlte Arbeitnehmer das immer leisten können." Denn in den meisten Branchen sinkt das Gehalt im gleichen Maße wie die Arbeitszeit. Lediglich im Bankgewerbe, in der Eisen- und Stahlindustrie, im öffentlichen Dienst sowie bei der Deutschen Rentenversicherung gibt es einen teilweisen Lohnausgleich. "Das begrenzt die Anwendbarkeit des Instruments. Wenn die befristete Arbeitszeit­verkürzung bei der Beschäftigungssicherung künftig eine größere Rolle spielen soll, wäre ein verpflichtender Teillohnausgleich mehr als sinnvoll", sagt der WSI-Forscher.

Um zumindest die regelmäßigen Monatsverdienste stabil zu halten, können in einigen Wirtschaftsbereichen die Einkommenskürzungen zunächst mit Urlaubs- oder Weihnachtsgeld verrechnet werden. Und für den Fall, dass Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit reduziert hatten, doch ihren Job verlieren, gibt es in mehreren Tarifwerken besondere Sicherungen: Sie haben dann rückwirkend für sechs bis zwölf Monate einen Anspruch auf den Vollzeit-Lohn.  

  • Einige Tarifverträge sehen einen Anpassungsspielraum für die reguläre Arbeitszeit nach oben und unten vor, je nach Wirtschaftslage. Zur Grafik
  • Viele Tarifverträge erlauben es Unternehmen, in einer Krise die reguläre Arbeitszeit befristet zu reduzieren. In manchen Branchen kann die wöchentliche Arbeitszeit um bis zu 25 Prozent gekürzt werden. Zur Grafik

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen