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HBS Böckler Impuls

Unternehmenskultur: Späte Karriere fast ausgeschlossen

Ausgabe 15/2008

Deutschlands Unternehmen beschäftigen mehr Akademiker als noch vor einem Jahrzehnt, aber sie offerieren weniger Führungspositionen. Nicht nur deswegen hat sich die Arbeitswelt der Hochqualifizierten spürbar gewandelt.

Es gibt einen Karriereengpass in Deutschlands Unternehmen. Mehr Menschen haben das Rüstzeug für eine berufliche Karriere, aber weniger machen tatsächlich eine. Ein Grund dafür ist die "rasante Akademisierung der Wirtschaft", so die Soziologen Hermann Kotthoff und Alexandra Wagner. Zwischen 1991 und 2003 stieg der Anteil der Hochschulabsolventen und damit der potenziellen Führungskräfte in Wirtschaftsunternehmen um 42 Prozent. Doch nicht nur die Konkurrenz ist größer geworden, auch die Firmenkulturen haben sich in diesem Zeitraum gewandelt: Hierarchien wurden abgebaut, das Kostendenken spielt in den Unternehmen eine immer größere Rolle.

Wie sich das Arbeitsleben von Hochqualifizierten durch diese Trends zwischen 1994 und 2006 verändert hat, beleuchten die Forscher von der Technischen Universität Darmstadt und dem Berliner Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt. Kotthoff und Wagner haben in den Zentralen von zehn größeren Unternehmen 80 Fach- und Führungskräfte zu ihren Einstellungen und Erfahrungen befragt. Zwei Drittel von ihnen haben studiert, ein Drittel hat Abitur plus Berufsausbildung. Der Vergleich mit einer ähnlichen Untersuchung von 1994 ermöglicht Aussagen über den Wandel der Arbeitswelt: Der Leistungsdruck ist gewachsen. Zudem werden die Weichen für eine Karriere heute deutlich früher gestellt. Wer nicht rechtzeitig den Aufstieg schafft, muss sich mit der Rolle eines Edelsachbearbeiters abfinden - was einem Teil von ihnen auch gelingt.

Der Kulturwandel in den Unternehmen. Zum Zeitpunkt der ersten Erhebung 1994 bauten viele Großunternehmen ihre Organisation grundlegend um. Bis dahin empfanden sich die mittleren Führungskräfte als eine Gruppe mit dem Top-Management. Sie erhielten ein gutes Gehalt, hatten eine hohe Arbeitsplatzsicherheit und die Aussicht auf eine erfolgreiche Laufbahn. Doch Mitte der 90er-Jahre wurden sie erstmals selbst zum Opfer von Restrukturierungen und Kosteneinsparungen: "Die bisher anerkannte Funktionselite in den Betrieben stand unversehens selbst am Pranger." Die Hochqualifizierten wurden nicht mehr an der Qualität der Arbeit gemessen, sondern an ihrem Wertschöpfungsbeitrag. Die Top-Manager behandelten die Kollegen aus dem Mittelbau wie andere Angestellte auch. "Die Folge waren Wut, Zweifel, und Trauer", stellten die Interviewer fest.

Auch heute noch hegen Fach- und Führungskräfte den Wunsch, von der Unternehmensspitze als Mit-Manager anerkannt zu werden, in einigen Unternehmen geschieht das auch stärker als vor zwölf Jahren. Doch die Mentalität hat sich gewandelt. Die Hochqualifizierten nehmen die ökonomischen Bedingungen ganz anders wahr. Das 1994 noch als Zumutung empfundene Kostendenken wird heute von den Fach- und Führungskräften wie selbstverständlich praktiziert. Dies komme einem Kulturwandel gleich, so Kotthoff und Wagner. "Es muss als zentrales Ergebnis herausgestellt werden, dass es dem Top-Management und dem oberen Management gelungen ist, das Kostendenken als legitimes und institutionalisiertes Denken bei den Fach- und Führungskräften zu verankern." Die Pflicht zum Sparen und zu Effizienzsteigerungen sei allgemein akzeptiert. Auf der anderen Seite sei aber auch eine demotivierende Organisations- und Führungskultur weggefallen. "Man ist weniger Befehlsempfänger", sagt ein Hochqualifizierter. Kotthoff und Wagner sprechen vom Ende des traditionellen Paternalismus und des betrieblichen Kastenwesens; Leitbilder aus Militär und Familie hätten ausgedient.

Wer in Großunternehmen Karriere macht. Fast alle Hochschulabsolventen wollen anfangs im Beruf vorwärts kommen: 78 der 80 Interviewten erklärten, nicht dauerhaft auf der Einstiegsebene bleiben zu wollen. Ob das gelingt, klärt sich 2006 viel früher als noch 1994 - nach den ersten drei Berufsjahren. Die Firmen wählen die Führungskräfte nach einem standardisierten Verfahren aus. Die mutmaßlichen High-Potentials durchlaufen ein Assessment-Center. Nur wer dort überzeugt, kommt in den Genuss gezielter Förderung durch professionelle Coaches, erfahrene Mentoren und einen Personalentwicklungsplan. "Nicht die Leistungen auf sukzessiven Positionen in den ersten zehn bis 15 Jahren in der Firma entscheiden über die Karrierespanne, sondern ein drei Tage dauernder Lackmustest am Anfang des Berufsweges", stellen Kotthoff und Wagner fest. Dahinter stehe ein neues Menschenbild. "Es wird nicht davon ausgegangen, dass sich die Fähigkeiten des Menschen auf dem Weg, in der Zeit und mit wachsender Erfahrung zeigen, sondern ein feststehendes Merkmal sind."

Ins höhere Management großer Unternehmen dringen derzeit fast nur Leute vor, die wissen: Wenn man Karriere machen will, reicht es nicht, gute Leistungen zu bringen. Ebenso gefragt sei "Impression Management", berichten Kotthoff und Wagner. Dazu zählt zunächst, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und den Wunsch nach Verantwortung erkennen zu lassen. Außerdem die Bereitschaft, die Firma und die Karriere zum Lebensmittelpunkt zu machen. "Und natürlich das Auftreten", sagt ein Personaler. "Man lernt früh dieses Auftreten, und das hat ganz viel mit Selbstbewusstsein zu tun, nicht nur mit der Person, sondern auch mit der Familie der Person. Die wissen von Anfang an, in welcher Liga sie spielen wollen." Wer diese Mechanismen zu spät durchschaut, hat seine Karrierechance meist schon versäumt, schreiben die Forscher. Das Glück eines späten Aufstiegs scheine fast ausgeschlossen.

Die neuen Edelsachbearbeiter. Etliche Hochqualifizierte erkennen fünf bis sieben Jahre nach ihrem Eintritt in die Firma, dass die Karriereaussicht ein falsches Versprechen war. Einige verlassen das Unternehmen, andere aber - und das ist eine neues Phänomen - richten sich relativ zufrieden als hochqualifizierter Sachbearbeiter ein. Mit der Hoffnung auf Karriere schwindet zwar der Elan, aber das muss nicht unzufrieden machen. Statt verbittert zu werden, widmen sich die hochqualifizierten Sachbearbeiter anderen Lebensschwerpunkten, etwa der Familie. Diese Gruppe markiert die Grenze zum Arbeitgeber deutlicher: Sie sehen sich mehr als Arbeitnehmer denn als Unternehmer. Kotthoff und Wagner schreiben über die Edelsachbearbeiter: "Sie lassen sich nicht mehr von der rosigen Zukunft blenden, sondern essen das Graubrot des Tages."

Die gebremsten Hochqualifizierten reduzieren moderat die Arbeitszeit, arbeiten aber weiterhin etwa 45 Stunden je Woche. Sie konzentrieren sich darauf, befriedigende Leistungen zu bringen. Vor zwölf Jahren sagten viele noch: "Ich könnte mehr leisten, wenn man mich ließe." Jetzt ist der Studie zufolge das Leistungsethos so allgegenwärtig, dass es schon erheblicher Anstrengungen bedarf, um nur befriedigende Ergebnisse vorzuweisen.

Bis in die 90er-Jahre galt es als üblich, dass Hochschul-Absolventen als Führungskraft eingesetzt und darum bald über- oder außertariflich (AT) bezahlt wurden. Die Karrierepfade heute enden oft in der Sackgasse, der AT-Status wird jedoch weiterhin vergeben. Allerdings ist der Aufstieg aus dem Tarifgefüge nicht mehr das, was er mal war, stellen die Forscher fest. "Bisher war er die Mitgift für jene, die Führungskraft wurden. Für die wenigen, denen das noch gelingt, hat er diese Funktion behalten, für die vielen aber, die nicht Führungskraft werden, hat er die Funktion eines Trostpflasters angenommen." In manchen Fällen kommt es sogar zu gezielten Überschneidungen zwischen den Tarifen und dem untersten AT-Gehalt - wer aufsteigt, bekommt zu Beginn oft weniger als die Spitze der Tarifvergüteten. Doch der AT-Status ist zunächst nur ein Versprechen. Wenn der berufliche Aufstieg ausbleibt, wird auch der Verdienst nicht unbedingt zunehmen.

Ein Identifikationsproblem. Die Hochqualifizierten verstehen sich selbst als Leistungsträger, egal ob sie aufsteigen oder nicht. Die Erfolgreichen begeistern sich meist an der gemeinsamen Aufgabe - an einem Mannschaftsspiel, das sie selbst steuern oder zumindest coachen. Viele verwenden Sportbilder, um ihr Arbeitsleben zu schildern. "Dieses Anpacken, die Mannschaft überzeugen, dass der Weg der richtige ist, und dann Erfolg haben, das ist sehr schön", sagt einer. Für die Durchstarter gehört es zusammen: sich selbst zu entwickeln, indem man das Unternehmen voranbringt. Ihre Arbeitsidentität bilde sich aus einem Wechselspiel von realer Anerkennung und der Auffassung, man könne selbst etwas bewegen, erklären die Soziologen.

Die Unternehmen fördern mit viel Aufwand eine kleine Gruppe künftiger Manager - doch genau diese Beschäftigten identifizieren sich vergleichsweise wenig mit dem Unternehmen, fanden Kotthoff und Wagner heraus. Die jungen Aufsteiger "sehen die Firma primär als Sprungbrett für ihre persönlichen Ambitionen und sind perspektivisch entschlossen, der Firma den Rücken zu kehren, wenn die Karriere nicht entsprechend ihren Plänen verläuft." Für die Durchstarter ist der Wechsel auch weniger riskant, weil sie einen hohen Marktwert haben. Für alle anderen hingegen schon. Deshalb "richten sich dort, wo sie sind, ein."  

  • Viele Privilegien der Hochqualifizierten sind heute passé – aber dennoch sind sie im Schnitt eher zufrieden mit Arbeit und Einkommen als die anderen Beschäftigten. Zur Grafik
  • In den vergangenen beiden Jahrzehnten kam es zu einer rasanten Akademisierung der Wirtschaft. Zur Grafik
  • Noch in den 90ern wurden die meisten Hochschulabsolventen auch zur Führungskraft und folglich übertariflich gezahlt. Zur Grafik

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