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HBS Böckler Impuls

Antidiskriminierungsgesetz: Sorgen vor Klageflut sind unbegründet

Ausgabe 02/2005

Droht das geplante Antidiskriminierungsgesetz eine Flut von Klagen gegen Arbeitgeber nach sich zu ziehen? Nach bisherigen Erfahrungen mit Schadensersatzprozessen aufgrund von Geschlechterdiskriminierung spricht nichts dafür. Und die befürchtete "Beweislastumkehr" ist längst geltendes Recht.

Antidiskriminierungsregelungen sind nicht neu. Seit 1980 regelt Paragraph 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches Schadensersatzansprüche von diskriminierten Frauen und Männern im Arbeitsrecht.
Die Regel soll - so der Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) - nun auch auf Benachteiligungen wegen ethnischer Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, wegen Behinderung oder der sexuellen Identität ausgedehnt werden. Für die Geschlechtsdiskriminierung hingegen werden nur Nuancen neu geregelt.

Erfahrungen: Eine Recherche der Hans-Böckler-Stiftung in der Datenbank "Juris" zeigt: Ganze 112 Prozesse wurden dort seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vor einem Viertel Jahrhundert in diesem Zusammenhang veröffentlicht. 54 waren erfolgreich, davon 43 von Frauen. Zum Vergleich: Insgesamt sind mehr als 50.000 Arbeitsrechtsfälle in diesem Zeitraum registriert.

Heide Pfarr, Arbeitsrechts-Professorin, urteilt: "Natürlich gab es Klagen - und auf Grund des neuen ADG wird es auch welche geben. Der Gesetzgeber sollte auch kein Gesetz machen, auf das sich niemand berufen kann." Aber: Von einer drohenden Klageflut könne keine Rede sein.
Vor Gericht wehrten sich beispielsweise Frauen gegen die unzulässige Frage im Vorstellungsgespräch "Sind Sie schwanger?" Oder Männer gegen Stellenausschreibungen nur für ein Geschlecht.

Die Beweislast: Arbeitgeberverbände sehen Gefahren in einer "Beweislastumkehr": Arbeitgeber könnten sich gegen unberechtigte Vorwürfe geldgieriger Kläger nicht wehren, wenn diese sich auf Diskriminierung berufen.  Fakt ist jedoch: die Beweisregel bleibt auch im ADG dieselbe wie bereits seit 25 Jahren.

Beispiel: Wenn eine Bewerberin um einen Arbeitsplatz "Tatsachen glaubhaft macht, die eine Diskriminierung vermuten lassen", muss der Arbeitgeber beweisen, dass es für seine Entscheidung sachliche Gründe gab. Nur wenn er das nicht kann, wird er zu Schadensersatz verurteilt. Tritt das ADG in Kraft, hätte  auch ein Behinderter, ein Homosexueller, ein Migrant oder ein Moslem dieses Recht.

Dass bloße Behauptungen zur Beweislastumkehr führen und Arbeitgeber damit abgezockt werden können, ist durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in den letzten 25 Jahren widerlegt worden. Wieso sollten die Gerichte nicht auch künftig vernünftig und praktikabel entscheiden?

25 Jahre Klagen: Auffällig ist, dass Frauen vor allem in den ersten Jahren nach Einführung des Paragraph 611a versucht haben, vor Gericht ihre Position zu verbessern (siehe Tabelle). Männer dagegen klagten nach 1995 häufiger. Ein Grund ist das "Bremer Urteil" des Europäischen Gerichtshofes, mit dem die Frauen-Quote des Stadtstaates gekippt wurde. "Nach dem Urteil von 1995 scheinen ausgerechnet die Männer Chancen auf Schadensersatz entdeckt zu haben", interpretiert Pfarr die Daten.

Seit 2002 spielt der Paragraph 611a nur noch eine geringe Rolle mit insgesamt acht Verfahren in drei Jahren. Heide Pfarr: "Recht kann gesellschaftlichen Bewusstseinswandel fördern. Die Schwangerschaftsfrage im Bewerbungsgespräch leistet sich kaum noch ein Arbeitgeber."

Das Beispiel Holland: Die Niederlande haben bereits seit 1994 ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz. Die langjährigen Erfahrungen zeigen keine Indizien für eine dramatische Zunahme der Streitfälle vor der Gleichbehandlungskommission - im Gegenteil scheinen die Zahlen tendenziell eher zu sinken. Mit insgesamt 238 Meldungen wurde hier im Jahr 2003 die seit Bestehen des Gesetzes geringste Zahl neuer Fälle registriert.
Rund drei Viertel der Kommissionsarbeit dreht sich ums Arbeitsrecht und hier stehen Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts ganz oben. Auch in den Niederlanden klagen überwiegend Frauen wegen Ungleichbehandlung im Arbeitsleben.

  • Droht das geplante Antidiskriminierungsgesetz eine Flut von Klagen gegen Arbeitgeber nach sich zu ziehen? Nach bisherigen Erfahrungen mit Schadensersatzprozessen aufgrund von Geschlechterdiskriminierung spricht nichts dafür. Zur Grafik

Prof. Heide Pfarr ist wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Beispiel Holland: Niederländische Gleichbehandlungskommission

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