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HBS Böckler Impuls

Serie Ungleichheit: Schadet Ungleichheit dem Wachstum?

Ausgabe 08/2017

Wie sich Ungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt, ist in der Forschung umstritten. In jüngster Zeit vertreten Wissenschaftler häufiger die Position, dass zunehmende Einkommensungleichheit einen negativen Einfluss hat.

Neuere Forschungsarbeiten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommen zu dem Ergebnis, dass Länder mit höherer Einkommensungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten ein geringeres Wirtschaftswachstum und kürzere Wachstumsphasen verzeichneten als Länder mit geringerer Einkommensungleichheit. Gerade wenn die Ungleichheit wächst, was in Deutschland und vielen anderen Industrieländern seit den 1990er-Jahren geschehen ist, sehen die Forscher negative Effekte. Der OECD zufolge wäre das Wirtschaftswachstum in Ländern wie den USA, dem Großbritannien oder Deutschland zwischen 1990 und 2010 bei gleichbleibender Einkommensungleichheit um rund ein Fünftel höher gewesen. In Deutschland ist das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in diesem Zeitraum etwa um rund 26 Prozentpunkte gewachsen – fast sechs Prozentpunkte weniger, als dies bei unveränderter Ungleichheit der Fall gewesen wäre. Die Studie erklärt die Einbußen beim Wirtschaftswachstum hauptsächlich dadurch, dass untere Einkommensgruppen bei steigender Ungleichheit weniger in Bildung investieren können, wodurch die soziale Mobilität und die Entwicklung des sogenannten Humankapitals geschwächt werden.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt in einer aktuellen Untersuchung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Anstieg der Ungleichheit in Deutschland zwischen 1991 und 2015 die wirtschaftliche Entwicklung belastet haben dürfte. Demnach wäre das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 rund 40 Milliarden Euro höher ausgefallen, wenn der Gini-Koeffizient der verfügbaren Haushaltseinkommen, der gängige Indikator für das Ausmaß der Ungleichheit, seit der Wiedervereinigung konstant geblieben wäre. Dies entspricht kumuliert einer rund zwei Prozentpunkte höheren Wachstumsrate. Verglichen mit der OECD-Studie fällt der Einfluss zunehmender Ungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung zwar geringer aus. Doch die DIW-Forscher prognostizieren für Deutschland, dass sich das Wachstum aufgrund der Auswirkungen steigender Ungleichheit auf das Qualifikationsniveau der Beschäftigten langfristig schwächer entwickeln wird.

Bei der Beurteilung dieser Ergebnisse ist zwar Vorsicht geboten, da ein geringes Wirtschaftswachstum in einzelnen Ländern ebenfalls zum Anstieg der Ungleichheit beigetragen hat – die Wirkungsrichtung ist hier also umgekehrt. Gegenwärtig erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass zunehmende Ungleichheit zu einem schwächeren gesamtwirtschaftlichen Wachstum führt. So sehen viele Ökonomen im Anstieg der Ungleichheit eine strukturelle Ursache der Finanzkrise. In deren Folge glitten viele Länder in eine schwere Rezession ab, was erklären würde, warum die Ergebnisse der jüngeren Studien darauf schließen lassen, dass steigende Ungleichheit mit einem Wachstumsrückgang einhergeht.

Hanne Albig u.a.: Wie steigende Einkommensungleichheit das Wirtschaftswachstum in Deutschland beeinflusst, DIW Wochenbericht Nr. 10, März 2017

Jan Behringer, Thomas Theobald, Till van Treeck: Ungleichheit und makroökonomische Instabilität: Eine Bestandsaufnahme, WISO Diskurs, FES, 2016

Federico Cingano: Trends in Income Inequality and its Impact on Economic Growth, OECD Social, Employment and Migration Papers No. 163, 2014

Era Dabla-Norris u.a.: Causes and Consequences of Income Inequality: A Global Perspective, IMF Staff Discussion Note, Juni 2015

OECD: In It Together – Why Less Inequality Benefits All, Mai 2015

Jonathan D. Ostry, Andrew Berg, Charalambos G. Tsangarides: Redistribution, In­equality, and Growth, IMF Staff Discussion Note, Februar 2014

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