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Mehr Milliardenvermögen Böckler Impuls

Verteilung: Mehr Milliardenvermögen

Ausgabe 20/2023

Superreiche besitzen in Deutschland mindestens 1,4 Billionen Euro. Das ist mehr als bisher angenommen, wie eine neue Studie zeigt.

Der gesamte Wert der Milliardenvermögen hierzulande könnte statt rund 900 Milliarden Euro mindestens 1,4 Billionen Euro betragen, möglicherweise sogar deutlich mehr. Das entspricht gut einem Drittel bis der Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Julia Jirmann und Christoph Trautvetter von der Nichtregierungsorganisation Netzwerk Steuergerechtigkeit, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach gibt es in Deutschland nicht nur mehr Milliardenvermögen als in Forschung, Medien und Öffentlichkeit angenommen. Auch sind die bereits bekannten Supervermögen in bisherigen Analysen teilweise unterschätzt worden, etwa weil Gewinnausschüttungen nicht vollständig erfasst wurden oder der Wert von Unternehmensanteilen oder Immobilien zu niedrig veranschlagt wurde. 

Die Datenlage zu sehr großen Vermögen ist lückenhaft. Seit der Aussetzung der Vermögenssteuer in den 1990er-Jahren haben die Finanzbehörden keinen systematischen Überblick mehr. Auch Datenquellen wie der Mikrozensus oder das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) liefern kaum verwertbare Zahlen zu den Superreichen und ihren Besitztümern. Denn ihre Zahl ist so gering, dass sie selbst durch große Stichproben kaum erfasst werden. Jirmann und Trautvetter haben die Datenrecherche und -analyse in ihrer Studie deutlich verfeinert. Ausgangspunkt sind die jährlich erscheinenden „Milliardärslisten“ der Wirtschaftsmagazine Forbes und Manager Magazin. Beide Listen wurden abgeglichen und zusätzlich Informationen aus zahlreichen weiteren öffentlich zugänglichen Quellen wie Unternehmensdatenbanken einbezogen. So konnten die Forschenden elf zusätzliche, bisher unbekannte Milliardenvermögen identifizieren.

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Der Wert aller Milliardenvermögen in Deutschland beläuft sich der Studie zufolge auf mindestens 1,4 Billionen Euro. Aber auch zwei Billionen Euro erscheinen den Forschenden nicht unplausibel, wenn man zusätzlich etwa die Schätzungen für Vermögen in Offshore-Zentren berücksichtigt. Eine der in Deutschland meistgenutzten Quellen der Reichtumsforschung, die „Reichenliste“ des Manager Magazins, schätzt die Milliardenvermögen nur auf rund 900 Milliarden Euro.

Dass Jirmann und Trautvetter nun zu einem höheren Wert kommen, liegt zum einen daran, dass die elf zusätzlich recherchierten Vermögen hinzugerechnet werden. Sie haben einen Wert von rund 70 bis 120 Milliarden Euro. Zum anderen zeigen der Abgleich und die vertiefte Analyse einzelner Beispiele, dass private Vermögen, insbesondere wenn sie aus am Kapitalmarkt reinvestierten Gewinnausschüttungen gespeist werden, untererfasst sind. Auch die Beteiligungen an Unternehmen, die einen erheblichen Teil der Milliardenvermögen ausmachen, dürften teilweise unterbewertet sein.

Weitere Informationen

Der Datensatz zur Studie ist frei zugänglich auf der Website vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Die Ergebnisse können als Grundlage für weitere Forschung und für die Erstellung eines unabhängigen Reichtumsberichts dienen.

Für ihre Analyse haben Jirmann und Trautvetter einen bereinigten Datensatz erstellt. In diesem werden die Vermögen, wo möglich, konsistent in Bezug zu einem Unternehmen gesetzt. Außerdem werden die Daten daraufhin abgeglichen, ob die Eigentümer oder das Vermögen aus steuerlicher Sicht Deutschland zuzuordnen sind. Das Ergebnis ist  eine Liste von 212 Milliardenvermögen.

Diese Vermögen verteilen sich auf rund 4300 sehr reiche Haushalte, wobei eine erhebliche Streuung festzustellen ist: Rund 2700 dieser Haushalte sind an elf großen Vermögen beteiligt, während sich 114 weitere Milliardenvermögen auf jeweils drei bis maximal neun Haushalte und weitere 33 sogar auf jeweils weniger als drei Haushalte verteilen. Nur ein kleiner Teil aller Haushalte, die an Milliardenvermögen beteiligt sind, hat ein individuelles Eigentum von einer Milliarde Euro oder mehr, „aber fast alle gehören zu den vermögendsten 0,1 Prozent“ in Deutschland, schreiben die Forschenden. Menschen in dieser „Liga“ können in der Regel sehr gut von den Erträgen ihres Vermögens leben und müssen nicht arbeiten. So hohe Vermögen können zudem der „generationenübergreifenden Sicherung von Status und Macht“ dienen.

Während „intensive Lobbyarbeit“ dafür gesorgt habe, dass Superreichtum häufig mit Unternehmertum gleichgesetzt wird, zeigt die Studie, dass 38 der 212 Milliardenvermögen aktuell nicht oder nicht mehr auf einem mit der Familie verbundenen Unternehmen beruhen. Grund dafür ist vor allem der Verkauf der Unternehmen und die Reinvestition der Erlöse am Finanzmarkt.

Von den verbleibenden 174 „Familienunternehmen“ werden nur noch 95 aktiv von Familienmitgliedern geführt, also etwas mehr als die Hälfte. Bei der anderen Hälfte beschränkt sich die Rolle der Familie auf eine Mitgliedschaft in den Kontrollgremien oder eine stille Teilhaberschaft. Von „Unternehmertum“ als direkter Quelle des Reichtums könne also bei sehr vielen Milliardenvermögen nicht die Rede sein, stellen Jirmann und Trautvetter fest. Ebenfalls bemerkenswert: Nur in neun der familiengeführten Unternehmen hat eine Frau die Hauptrolle beziehungsweise den größten Anteil.

Die Forscherin und der Forscher zeigen, dass die Besteuerung der Erträge aus den Milliardenvermögen meist deutlich niedriger ist als noch vor knapp 30 Jahren. Neben der Aussetzung der Vermögenssteuer hat sich beispielsweise der Steuersatz auf nicht ausgeschüttete Gewinne seit 1996 fast halbiert – von über 57 Prozent auf unter 30 Prozent. Zum Vergleich: Der Steuersatz auf durchschnittliche Arbeitseinkommen ist im gleichen Zeitraum nur geringfügig von 21 auf 18 Prozent gesunken. Zudem tragen Arbeitseinkommen über die Sozialabgaben wesentlich zur Finanzierung der Sozialversicherung bei – anders als Kapitaleinkommen aus Vermögen.

Es sei wichtig, die Datenlücken beim Thema Milliardenvermögen zu verkleinern, betonen Jirmann und Trautvetter. „Geeignete Maßnahmen gegen die zunehmende Ungleichheit scheitern an politischem Widerstand und an weitverbreiteten Mythen und Fehleinschätzungen der Öffentlichkeit zu Vermögensverteilung und -besteuerung.“ Wo Informationen fehlen, habe Lobbyismus leichtes Spiel. Jirmann und Trautvetter plädieren deshalb für mehr unabhängige Reichtumsforschung und einen alternativen Reichtumsbericht. Der im Projekt erstellte und öffentlich zugängliche Datensatz ist ein erster Schritt in diese Richtung.

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