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HBS Böckler Impuls

Verteilung: Rückfall in die zwanziger Jahre

Ausgabe 16/2013

Die Ungleichheit hat in den Industrienationen zum Teil massiv zugenommen. Änderungen in der Steuerpolitik, bei der Managervergütung und bei den Kapitaleinkommen haben dazu beigetragen.

Die Reichsten werden immer reicher – in den USA, aber auch in vielen europäischen Staaten. Warum das so ist, haben Facundo Alvaredo, Anthony B. Atkinson, Thomas Piketty und Emmanuel Saez untersucht. Die Ökonomen, die an Universitäten in Oxford, Paris und Berkeley lehren, haben dafür in einer international vergleichenden Studie historische Daten ausgewertet. Ihre Analyse zeigt: Ein entscheidender Faktor für zunehmende Ungleichheit sind niedrigere Steuern.

Besonders auffällig waren der Studie zufolge in den letzten Jahrzehnten die Veränderungen an der Spitze der Einkommenspyramide: In den USA hat sich der Anteil des reichsten Hundertstels an den Markteinkommen zwischen 1976 und 2011 mehr als verdoppelt – von 9 auf 20 Prozent. Langfristig betrachtet weise die Entwicklung eine U-Form auf, konstatieren die Wissenschaftler: Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs gingen die Anteile der Topverdiener zunächst zurück, seit Ende der 1960er-Jahre steigen sie wieder. Mittlerweile habe die Ungleichheit ein ähnliches Niveau erreicht wie in den 1920ern.

Wenn es um Erklärungen für dieses Phänomen gehe, dominierten in der Wirtschaftswissenschaft eher technische Ansätze, schreiben die Forscher. Einer verbreiteten Einschätzung zufolge hätten die Globalisierung und neue Technologien die Nachfrage nach Hochqualifizierten erhöht und so deren Verdienste steigen lassen. Ein Blick auf die internationale Entwicklung zeige allerdings, dass dieses Erklärungsmuster nicht ausreicht: In Staaten mit ähnlicher Technologie und Produktivität habe sich die Ungleichheit zum Teil deutlich anders entwickelt. In vielen Staaten Kontinentaleuropas wie Deutschland und Frankreich und in Japan etwa gleiche die langfristige Entwicklung bei den Einkommen des reichsten Prozents eher einer L- als einer U-Form. Die Anteile der Spitzenverdiener hätten zwar auch dort in den vergangenen Jahren zugenommen. Allerdings seien sie vergleichsweise moderat gestiegen und hätten das Niveau der späten 1940er-Jahre nicht überschritten.

Ein entscheidender Faktor war dabei nach Einschätzung der Autoren die Steuerpolitik. Nach ihren Berechnungen besteht ein starker Zusammenhang zwischen dem Spitzensteuersatz und der Einkommensverteilung. In den USA beispielsweise sei der Höchstsatz bei der Einkommensteuer seit Anfang der 1960er um 47 Prozentpunkte gesunken. Parallel dazu stieg der Einkommensanteil des reichsten Hundertstels um 10 Prozentpunkte. Zwischen Steuersenkungen und Wirtschaftswachstum können die Ökonomen dagegen keinen Zusammenhang erkennen. Das heißt: Nicht der gesamte Kuchen wird durch Steuergeschenke größer, sondern lediglich das Stück der Reichsten.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Analyse zufolge auch die Verhandlungsmacht von Managern. Senkungen des Spitzensteuersatzes hätten dazu geführt, dass Führungskräfte größere Anreize haben, aggressiv zu verhandeln und so ihre Vergütung in die Höhe zu treiben – auf Kosten von Unternehmenswachstum und Beschäftigung, betonen die Forscher. Damit einher gingen neue Trends in der Vergütungspraxis wie mehr erfolgsabhängige Bezahlung.

Zudem seien Kapitaleinkommen wieder wichtiger geworden, stellen die Autoren fest. So entsprachen die privaten Vermögen in Europa 1910 dem Sechsfachen des Volkseinkommens, 1950 dem 2,5-Fachen und mittlerweile wieder dem Fünffachen. Auch Erbschaften tragen nach einem zwischenzeitlichen Bedeutungsverlust wieder mehr zur Ungleichheit bei: In Frankreich werde jährlich Vermögen in Höhe von einem Fünftel des verfügbaren Einkommens vererbt oder verschenkt – ähnlich viel wie zuletzt vor 100 Jahren. Analog sei die Entwicklung in Deutschland verlaufen. Kapital- und Erbschaftsteuern, so die Ökonomen, würden also wieder wichtiger als Instrument gegen Ungleichheit.

Dafür spricht auch der größere Zusammenhang zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen: Der Anteil der Topverdiener unter den Beschäftigten, die auch zu den führenden fünf Prozent beim Kapitaleinkommen gehören, ist in den USA zwischen 1980 und 2000 von einem Drittel auf die Hälfte gestiegen. Die Wissenschaftler erklären das damit, dass sich in diesem Zeitraum einerseits die Anlagemöglichkeiten für Arbeitseinkommen verbessert hätten. Umgekehrt vermuten sie auch einen Einfluss des Familienvermögens auf das Arbeitseinkommen. Die privilegierten Beziehungen reicher Familien erleichtern demnach den Zugang zu lukrativen Jobs.

  • Die Ungleichheit hat in den USA mittlerweile ein ähnliches Niveau erreicht wie in den 1920ern. Auch in Deutschland sind die Anteile der Spitzenverdiener gestiegen, allerdings vergleichsweise moderat. Zur Grafik

Facundo Alvaredo, Anthony B. Atkinson, Thomas Piketty, Emmanuel Saez: The Top 1 Percent in International and Historical Perspective, in: Journal of Economic Perspectives, 3/2013.

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