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HBS Böckler Impuls

Öffentliche Dienstleistungen: Privatisierung schwächt Flächentarife

Ausgabe 02/2009

Seit den 1990er-Jahren hat die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen nicht nur gut 600.000 Jobs gekostet. Auch Bezahlung und Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert.

Zahlreiche Branchen werden vom Tarifwerk des öffentlichen Dienstes abgekoppelt, ohne dass neue Branchentarifverträge entstehen. Dies ist das Ergebnis einer Studie der WSI-Forscher Torsten Brandt und Thorsten Schulten. Nach der Öffnung der Märkte für öffentliche Dienstleistungen bekamen vormalige Monopolisten Konkurrenz. Die neuen Anbieter sind in der Regel jedoch nicht an die bestehenden Tarifstrukturen gebunden. Sie haben meist Haus- oder gar keine Tarifverträge. Der Konkurrenzdruck wirkt auch zurück auf die  ehemaligen Monopolisten. Eine Zusammenstellung der Wissenschaftler zeigt, wie das Tarifgefüge ausfranst.

Um den Arbeitskostenwettbewerb zu begrenzen, raten die Experten dazu, wieder einheitliche Arbeits- und Entlohnungsstandards herzustellen. Ein Anfang könnten beispielsweise Branchenmindestlöhne sein. Perspektivisch sollten die heterogenen Tarifstrukturen allerdings durch neue branchenweite Flächentarifverträge beseitigt werden, so Brandt und Schulten.

Telekommunikation
Im Jahr 2007 gliederte die Deutsche Telekom rund 55.000 Beschäftigte in drei Servicegesellschaften aus. Zwar blieben die Einkommen der langjährig Beschäftigten unangetastet. Die Einstiegsgehälter wurden jedoch um 6,5 Prozent abgesenkt und die Wochenarbeitszeit wurde ohne Lohnausgleich von 35 auf 38 Stunden erhöht. Mit der Liberalisierung der Branche kamen zahlreiche neue Unternehmen in den Markt. Die bundesweit tätigen Mobilfunkunternehmen Vodafone, Arcor und O2 haben Haustarifverträge, E-Plus ist tariflich gar nicht gebunden.

Post
Die Deutsche Post verfügt über eine Reihe von Haustarifverträgen für ihre Tochterunternehmen, deren Lohn- und Arbeitsbedingungen sich teilweise stark unterscheiden. Mit einem 2001 abgeschlossenen Rahmentarifvertrag wurde eine Zwei-Klassen-Tarifstruktur für die vor und nach 2001 Eingestellten etabliert - mit Unterschieden im Entgeltniveau von bis zu 30 Prozent. Nach der 2008 abgeschlossenen Liberalisierung des Briefmarktes entstanden viele private, tariflich ungebundene Postunternehmen. Das Lohnniveau bei PIN AG Group und TNT lag 2006 zwischen 30 und 60 Prozent unter dem der Deutschen Post. 2007 kam es schließlich zum Abschluss eines Mindestlohntarifvertrages, den das Arbeitsministerium nach dem Endsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärte.

Bahn
Bei der Deutschen Bahn gelten Haustarifverträge für die Konzernsparten. Daneben gibt es berufsgruppenspezifische Tarifbestimmungen - etwa für Lokführer. Eines der Tochterunternehmen, die DB Heidekraut GmbH, ist nicht tarifgebunden - die Löhne liegen bis zu 20 Prozent unter dem konzernüblichen Niveau. Im regionalen Schienenverkehr gibt es viele neue Verkehrsunternehmen mit eigenen Haus- oder regionalen Verbandstarifverträgen. Die Tarife der Wettbewerber liegen deutlich unter dem der Deutschen Bahn.

Öffentlicher Nahverkehr
In den meisten Bundesländern existiert mit dem Tarifvertrag Nahverkehr (TV-N) ein Spartenvertrag, dessen Manteltarifbestimmungen dem öffentlichen Dienst entlehnt sind, jedoch mit deutlich niedrigerer Entlohnung. Durch das Nebeneinander von TV-N, Verbands- und Haustarifverträgen sowie privaten Unternehmen ohne Tarifbindung ergeben sich Lohndifferenzen von bis zu 50 Prozent für dieselbe Tätigkeit.

Energiewirtschaft
Für die Beschäftigten von E.ON, RWE und Vattenfall Europe existieren Konzerntarifverträge. Viele Regionalversorger haben regionale Flächentarifverträge. Für die überwiegend in kommunalem Besitz befindlichen Stadtwerke greift der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V). Bezogen auf das Jahreseinkommen können die Lohnunterschiede zwischen den verschiedenen Tarifverträgen bei bis zu 40 Prozent liegen.

Entsorgung
Die Tariflandschaft der Entsorgungswerke ist zweigeteilt. Während für kommunale Entsorgungsunternehmen meist der TVöD gilt, besteht für die privaten Entsorger ein Branchentarifvertrag. Dieser erfasst jedoch nur etwa ein Drittel der Beschäftigten - alle anderen sind nicht tarifgebunden. Für sie gilt ab dem 1. Mai 2009 ein Branchenmindestlohn nach dem Entsendegesetz von 8,02 Euro pro Stunde.

Krankenhäuser
Krankenhäuser stehen wegen gedeckelter Budgets und Fallpauschalen immer mehr unter Kostendruck. Da Personalausgaben über 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, wird der verschärfte Wettbewerb vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Für öffentliche Krankenhäuser gelten die Tarife des öffentlichen Dienstes. Hier mussten zum Teil Notlagentarifverträge abgeschlossen werden, die temporäre Lohnsenkungen erlauben. Private Häuser haben meist Haustarifverträge oder sind nicht tarifgebunden.

Torsten Brandt, Thorsten Schulten: Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Erosion des Flächentarifvertrags, in: WSI-Mitteilungen 10/2008

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