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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Nordeuropa: Der Staat als Jobmotor

Ausgabe 06/2009

Schlanker Staat und deregulierte Arbeitsmärkte, so lauteten die gängigen Politikempfehlungen in den vergangenen Jahren. Die nordischen Länder haben sich nicht daran gehalten. Mit Erfolg.

Bei Ländervergleichen von OECD und EU belegen Schweden, Finnland und Dänemark stets Spitzenplätze. Einen scheinbar paradoxen Grund dafür nennt der schwedische Politikwissenschaftler Urban Lundberg: Die Nordeuropäer sind gerade deshalb erfolgreich, weil sie den OECD-und EU-Empfehlungen zu schlankem Staat und deregulierten Märkten nicht folgen. Lundberg sieht einen wichtigen Erfolgsfaktor in der Abweichung vom angelsächsischen Modell: "Bedeutsam ist die prominente Rolle des Staates als Arbeitgeber und Akzentsetzer im Bereich Forschung und Bildung." Zwar stellten auch in diesen Ländern rechtspopulistische und konservative Parteien die umfangreiche Staatstätigkeit und damit verbundenen hohen Einkommensteuersätze in Frage, doch bisher wurden die kaum gesenkt. "Die nordische Privatwirtschaft ist im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig trotz der einzigartig hohen Steuerlast." In einem Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen zum nordischen Modell analysieren Wissenschaftler, was den Norden von angelsächsischen Ländern und Kontinentaleuropa unterscheidet.

Öffentliche Dienstleistungen. Schon in den 1960ern und 1970er-Jahren bauten die skandinavischen Länder das staatliche Angebot zu Pflege und Kinderbetreuung, Schulen und Universitäten aus. Fast jeder dritte schwedische und norwegische Erwerbstätige arbeitet inzwischen für den Staat; die Quote ist gut drei Mal so hoch wie in Deutschland. Von diesen Investitionen profitieren die nordischen Länder gleich mehrfach, erklärt Sven Jochem von der Universität Konstanz: Das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen gab zunächst der Frauenerwerbstätigkeit Auftrieb. Darüber hinaus beförderte es auch den Übergang zur Dienstleistungsökonomie. Und außerdem gewährleiste der hohe Anteil beim Staat Beschäftigter seither "eine kaum zu unterschätzende Dämpfung ökonomischer Krisen".

Aktive Arbeitsmarktpolitik. Die nordeuropäischen Staaten durchliefen in den frühen 1990ern eine tiefe Wirtschaftskrise und standen unter erheblichem Druck. Seitdem jedoch haben Finnland und Dänemark ihre Arbeitslosenquoten mehr als halbiert - und das, ohne den Beschäftigungsaufschwung mit einer Ausweitung von Teilzeit und prekärer Arbeit zu ­erkaufen. Frauen und Ältere sind in hohem Maß in den Arbeitmarkt integriert, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit wiegt weniger stark als weiter südlich. Die beschäftigungspolitische Bilanz sei beeindruckend, schreibt Jochem: "Die nordische Politik scheint tatsächlich eine Arbeitsmarktdynamik zu ermöglichen, die nicht dem angelsächsischen Weg folgt, der auf großen Lohndifferenzen und einer rudimentären sozialen Sicherung basiert." Der Erfolg beruht zu einem großen Teil auf aktiver Arbeitsmarktpolitik und dem breiten Zugang zu Bildung. Aktive Arbeitsmarktpolitik hat im Norden Tradition: Zunächst ging es darum, die regionale Mobilität der Landbevölkerung zu steigern, heute steht Aus- und Weiterbildung im Vordergrund. Deutschland nutzt diese Instrumente deutlich weniger. Die Bundesrepublik gibt bei weitem nicht so viel für aktive Arbeitsmarktpolitik aus wie Dänemark oder Schweden.

Hohe Qualität der Arbeitsplätze. Die Nordeuropäer haben im Vergleich zu Deutschland nicht nur mehr, sondern zugleich auch bessere Jobs. Zu diesem Ergebnis kommen Hartmut Seifert und Andranik Tangian vom WSI, die eine europaweite Befragung von Beschäftigten auswerteten. Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen schneiden bei einer ganzen Serie von Indikatoren klar besser ab als die Bundes­republik: bei der Arbeitsplatzsicherheit, Qualifizierungsmöglichkeiten, beim Informationsfluss im Betrieb und der Führungsqualität von Vorgesetzten. Der Vorsprung zeigt sich für männliche wie für weibliche Beschäftigte und ist besonders groß für Leiharbeiter und Beschäftigte auf befristeten Stellen. Die Nachteile dieser Beschäftigtengruppe sind allerdings auch in Nordeuropa nicht ganz aufgehoben. Seifert und Tangian folgern aus den Ergebnissen, dass es keinen unausweichlichen Zielkonflikt gebe zwischen einem hohen Maß an Beschäftigung und guter Arbeit. 

  • Wer in Deutschland arbeitslos ist, bleibt es oft für lange Zeit. In Skandinavien hingegen ist es gelungen, den Anteil der Langzeitarbeitslosen zu senken. Zur Grafik

WSI Mitteilungen 1/2009, Schwerpunktheft: Das nordische Modell unter Anpassungsdruck

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