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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: Nicht ohne die Tarifparteien

Ausgabe 06/2006

18 von 25 EU-Mitgliedern haben einen gesetzlichen Mindestlohn. Eine WSI-Studie zeigt, wie sie die Lohngrenzen setzen: Entweder beraten Gewerkschaften und Arbeitgeber die Regierungen. Oder die Tarifparteien einigen sich gleich selbst.

Die meisten OECD-Staaten regeln ihre unteren Lohngrenzen über gesetzliche Mindestlöhne. Festgelegt werden sie mit verschiedenen Verfahren, in Europa stets mit Beteiligung der Tarifparteien. Das WSI umreißt vier Grundtypen:

Das Konsultationsmodell: Der Staat legt den Betrag nach Anhörung der Tarifparteien fest. Dazu ist meist ein ständiges Gremium eingerichtet. In Großbritannien hält sich die Regierung in aller Regel an die Empfehlungen einer Niedriglohn-Kommission, in der drittelparitätisch Arbeitgeber, Gewerkschafter und Wissenschaftler sitzen.

Das Verhandlungsmodell: Die Dachverbände von Gewerkschaften und Arbeitgebern handeln - etwa in einem branchenübergreifenden Tarifvertrag - die Höhe des Mindestlohns aus. Gibt es eine Einigung, erklärt der Staat diese für verbindlich. Das Modell räumt eine Vetochance ein. In Belgien verweigert sich der Arbeitgeberverband seit Anfang der 90er-Jahre. Folge: Zwischen 1990 und 2002 wuchs der Durchschnittslohn 15 Prozent stärker als der Mindestlohn.

Das Indexmodell: Das Niveau der Untergrenze passt sich der Preis- und Lohnentwicklung an. Grundgedanke: Die Mindestlöhner sollen an der Wohlstandsentwicklung teilhaben. Das Indexmodell wird immer mit einem anderen kombiniert. So kann in Frankreich eine Tarifkommission für eine überproportionale Steigerung sorgen oder eine Nullrunde verhängen. Tatsächlich steigt der französische Mindestlohn SMIC stärker als der Durchschnittslohn.

Das rein politische Verfahren: In den USA legt die Regierung frei die Lohnuntergrenze fest. Dies führte real zu Verlusten, da über Jahre der Mindestlohn nicht erhöht wurde.

Keinen gesetzlichen Mindestlohn haben sieben EU-Staaten. Besteht hohe Tarifbindung, dann bilden die niedrigsten Lohngruppen eine Untergrenze. In Österreich schafft die Pflichtmitgliedschaft der Unternehmen in der Wirtschaftskammer "eine beinahe flächendeckende Tarifbindung", Dänemark, Finnland und Schweden haben eine Tarifbindung von mehr als 90 Prozent. In Westdeutschland erreichten 2004 Tarifverträge 68 Prozent der Beschäftigten, in Ostdeutschland 53 Prozent. 

  • Das Gros der EU-Staaten hat einen vorgeschriebenen Mindestlohn - und meist sind die Gewerkschaften mit bei seiner Festlegung beteiligt. Zur Grafik

Thorsten Schulten, Reinhard Bispinck, Claus Schäfer (Hrsg.): Mindestlohn in Europa, VSA-Verlag, Hamburg 2006.

Mehr zum Thema Niedriglohn, in: Böckler Impuls 2/2006.

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