zurück
 Kapital gewinnt, Arbeit verliert Böckler Impuls

Löhne: Kapital gewinnt, Arbeit verliert

Ausgabe 12/2023

Die Beschäftigten in der EU haben erheblich an Kaufkraft eingebüßt. Schuld ist die Inflation, zu der auch überhöhte Gewinnmargen beitragen.

In 26 von 27 EU-Ländern sind die Reallöhne 2022 nicht gestiegen, im EU-Mittel betrug der Rückgang 4 Prozent. Besonders deutliche Verluste gab es in Estland mit 9,3 Prozent, Griechenland mit 8,2 Prozent und Tschechien mit 8,1 Prozent. Deutschland lag mit einem Rückgang von 4,1 Prozent nahe am Durchschnitt der EU. Einzige Ausnahme ist das Niedriglohnland Bulgarien, das ein Plus von 4,7 Prozent verzeichnete. Das ergibt der Europäische Tarifbericht des WSI, für den unter anderem Daten der Europäischen Kommission zur Lohn- und Preisentwicklung ausgewertet wurden.

Verantwortlich für den beispiellosen Einbruch der Reallöhne sind die hohen Inflationsraten. Während diese zunächst von gestiegenen Importpreisen für fossile Energieträger und Nahrungsmittel getrieben wurden, tragen inzwischen steigende Unternehmensgewinne erheblich zum Preisauftrieb bei, erklärt das WSI. EU-weit stiegen die Kapitalstückkosten, gemessen als Bruttobetriebsüberschüsse je produzierter Einheit, im vergangenen Jahr um 7 Prozent und damit deutlich schneller als die Lohnstückkosten, die um 3,3 Prozent zulegten. Die höheren Gewinne gehen darauf zurück, dass Unternehmen ihre Preise stärker angehoben haben, als dies aufgrund gestiegener Kosten eigentlich notwendig gewesen wäre. Auch in Deutschland haben steigende Gewinnmargen die Inflationsdynamik verschärft.

Newsletter abonnieren

Alle 14 Tage Böckler Impuls mit Analysen rund um die Themen Arbeit, Wirtschaft und Soziales im Postfach: HIER anmelden!


Aufgrund des Ungleichgewichts zwischen Lohn- und Gewinnentwicklung ist der Anteil der Löhne am Volkseinkommen spürbar zurückgegangen: EU-weit und auch in Deutschland sank die Lohnquote zwischen 2020 und Ende 2022 um rund zwei Prozentpunkte. Die WSI-Forscher Thilo Janssen und Malte Lübker stellen deshalb fest, dass es „mitten in der Krise zu einer Umverteilung zulasten der Löhne und zugunsten der Kapitaleinkommen gekommen ist“. Während die Gewinne ein wichtiger Faktor bei der hart­näckigen Teuerung seien, lasse sich der Preisauftrieb nicht auf die Tarifpolitik zurückführen. Nach Berechnungen der Europäischen Zentralbank stiegen die Tariflöhne im Jahr 2022 um 2,8 Prozent und bewegten sich damit unterhalb der Schwelle von 3 Prozent, die als stabilitätskonform gilt. Auch in Deutschland, wo die Tarifverdienste nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im ersten Quartal 2023 um 2,7 Prozent höher lagen als im Vorjahresquartal, habe die Tarifpolitik keinen inflationstreibenden Einfluss gehabt, so Janssen und Lübker.

Kehrseite der relativ moderaten Zuwächse ist, dass die Tariflohnsteigerungen im Jahr 2022 in allen betrachteten Ländern unter der Inflationsrate lagen und deshalb – wie bei den Löhnen insgesamt – fast überall mit Kaufkrafteinbußen verbunden waren. Nur in Bulgarien sorgten Arbeitskräfteknappheit und Aufholeffekte bei den Löhnen für ein Plus. Für das laufende Jahr rechnet die EU-Kommission mit weiteren Reallohnverlusten: Sie geht davon aus, dass die realen Effektivlöhne EU-weit um 0,7 Prozent und in Deutschland um 1,3 Prozent sinken werden. Im Gegensatz dazu werden die Unternehmensgewinne vermutlich weiterhin steigen: Die Kapitalstückkosten dürften im EU-Durchschnitt um 7,6 Prozent zunehmen, in Deutschland sogar um 8 Prozent.

Die jüngste Inflationswelle habe das reale Einkommen von Beschäftigten also deutlich geschmälert, stellen die Wissenschaftler fest. Dagegen seien oft Zweifel angebracht, wenn Arbeitgeber über Einbußen durch steigende Kosten klagten. Die Deutsche Bundesbank ist beispielsweise in einer Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Unternehmen Kostensteigerungen größtenteils an die Verbraucher  und Verbraucherinnen weitergegeben haben, während dies bei Entlastungen nicht der Fall gewesen ist. Im Ergebnis konnten deutsche Unternehmen ihre Umsatzrendite schon im Jahr 2021 auf durchschnittlich 5,1 Prozent steigern, den höchsten Wert seit 2007. Vorläufige Zahlen legen nahe, dass die Unternehmensgewinne auch im Jahr 2022 weiter gestiegen sind und so zur Inflation beigetragen haben.

Als weiteres Anzeichen für überhöhte Profite bewerten Janssen und Lübker Berechnungen zum BIP-Deflator, der die Preisentwicklung der inländischen Wertschöpfung misst. Hier lag der Beitrag der Unternehmensgewinne 2021 bei 1,5 und 2022 bei 2,3 Prozentpunkten. Im laufenden Jahr könnten steigende Gewinnmargen nach der Prognose der EU-Kommission abermals 2,5 Prozentpunkte zur inländischen Inflation beitragen. Zwischen 2010 und 2020 waren es im Schnitt 0,5 Prozentpunkte. Das heißt: Aktuell ist der Beitrag der Gewinne zur Binneninflation drei- bis fünfmal so hoch wie im langfristigen Trend.

Während die Beschäftigten in Form von moderaten Tariflohnsteigerungen zur Preisstabilität beigetragen haben und dafür Kaufkraftverluste hinnehmen mussten, habe die Kapitalseite die Krise durch überzogene Preisaufschläge für Umverteilung zu ihren Gunsten ausgenutzt, betonen die Forscher. Immerhin bestehe die Aussicht, dass die Gewinnmargen bald wieder auf ein normales Maß schrumpfen könnten. Dazu beitragen dürften die zu erwartende Entschärfung von Lieferengpässen sowie der Nachfragerückgang angesichts einer schwachen globalen Konjunktur. Die derzeitigen Übergewinne könnten zudem als „Puffer für künftige Lohnsteigerungen“ dienen.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen