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HBS Böckler Impuls

Mindestlohn: National Minimum Wage: How to do it

Ausgabe 08/2006

Wie ein gesetzlicher Mindestlohn etabliert werden kann, zeigt das Beispiel Großbritanniens. Das Experiment entwickelte sich zu einer "Erfolgsstory", so das IAT. Die zentrale Rolle bei der Einführung und Anpassung der Lohngrenze spielt eine Kommission aus Wissenschaftlern, Gewerkschaftern und Unternehmensvertretern.

Großbritannien hat 1999 einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, den National Minimum Wage (NMW) - und dabei fast alles richtig gemacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Expertise des Instituts Arbeit und Technik (IAT). Die Zwischenbilanz nach sieben Jahren Mindestlohn:

=> Die Einkommenssituation von rund 1,5 Millionen Beschäftigten hat sich verbessert oder wurde zumindest abgesichert.

=> Die öffentlichen Finanzen profitierten vom Mindestlohn. Das höhere Arbeitsentgelt macht Einkommenszuschüsse verzichtbar - steigt die gesetzliche Lohngrenze um zehn Pence, spart der britischen Haushalt 93 Millionen Pfund.

=> Die verbindliche Lohnuntergrenze stößt auf breite Akzeptanz, selbst im Lager der Arbeitgeber. "Viele Unternehmer waren für eine klare Lohnvorgabe dankbar."

=> Der Mindestlohn hat der  Beschäftigung nachweislich nicht geschadet - die Zahl der Erwerbstätigen ist auf der Insel seit 1999 gestiegen, die Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent in 1999 auf 4,7 Prozent im Jahr 2004 gesunken.

=> In den vergangenen sieben Jahren haben sich die Löhne im gesamten unteren Einkommensbereich erhöht.

Der Kern der Regelungen: In keiner Branche dürfen britische Arbeitgeber derzeit ihren Beschäftigten weniger als 5,05 Pfund brutto die Stunde zahlen - aktuell 7,28 Euro. Ab Oktober klettert der Betrag auf 5,35 Pfund. Ausgenommen davon sind so genannte "Entwicklungslöhne" - das Entgelt für Auszubildende unter 26 Jahren und für Ältere, wenn der neue Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten für ihre Qualifizierung sorgt. Der NMW wird bei Bedarf an das allgemeine Lohnniveau angepasst. Nachtzuschläge und Überstunden dürfen nicht mit eingerechnet, sondern müssen zusätzlich gezahlt werden.

Die IAT-Studie zeigt, was diesen Vorschriften zum Erfolg verholfen hat:

Strategie der Versachlichung: Das entscheidende Gremium ist die Low-Pay-Commission (LPC). In der Niedriglohnkommission sitzen je drei Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaft. Dank der LPC wurden die britischen Unternehmerverbände für die Einführung des Mindestlohns gewonnen, ohne die Gewerkschaften zu verlieren. "Der Regierung allein wäre dies per Dekret niemals gelungen", urteilen die Experten des IAT. Die Kommission schlägt der Regierung die Höhe des Mindestlohns vor, formuliert ihre Empfehlungen aber erst nach ausführlichen Recherchen. Bis 2005 hat die LPC 74 Forschungsberichte in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der Lohnuntergrenze zu überprüfen; die Ergebnisse hat sie mit Betroffenen und unterschiedlichen Organisationen diskutiert. Der britische Mindestlohn sei das am besten untersuchte soziale Realexperiment überhaupt, so das IAT. Dadurch gelang eine "Entideologisierung der Debatte". Die Regierung folgt in der Regel den Empfehlungen der LPC.

Effektive Umsetzung: In der Anfangsphase investierte die britische Regierung fünf Millionen Pfund für eine Pressekampagne. Dadurch kannten schon vor Beginn 80 Prozent der Unternehmer und 70 Prozent der Beschäftigten die Höhe des NMW. Die Unternehmen konnten sich rechtzeitig auf den Mindestlohn einstellen - Beschäftigte qualifizieren, neue Produkte entwickeln oder Abläufe verbessern. Die Niedriglohn-Kommission setzte den ersten Mindestlohn eher tief an, um den Start zu erleichtern. Auch Erhöhungen werden stets mit langem Vorlauf angekündigt. Weil kleine Betriebe Probleme haben, die Kosten auf die Preise zu überwälzen, werden sie gezielt beraten, wie sie ihre Produktivität heben können. Die Entschlossenheit des britischen Gesetzgebers hatte Vorteile. "Es wurde schnell deutlich, dass den Unternehmen keine Schlupflöcher bleiben." Die Unternehmen konnten sicher sein: Der Konkurrent muss ebenfalls den NMW zahlen.

Die Niedriglohn-Kommission stärkte auch die Rechte der Arbeitnehmer, damit ihnen die Betriebe nicht den Mindestlohn vorenthalten. Wenn Beschäftigte versuchen, den NMW einzuklagen, genießen sie besonderen Kündigungsschutz. Und um zu verhindern, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten einschüchtern, kann auch ein Finanzbeamter stellvertretend den Fall vor Gericht bringen.

  • Großbritannien liefert ein Beispiel, wie die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gelingen kann. Zur Grafik

Gerhard Bosch, Claudia Weinkopf: Mindestlöhne in Großbritannien - ein geglücktes Realexperiment, in: WSI-Mitteilungen 3/2006.

Thorsten Schulten, Reinhard Bispinck, Claus Schäfer (Hrsg.): Mindestlohn in Europa, 2006, VSA-Verlag Hamburg, 2006.

Homepage der Low Pay Commission

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