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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Mitsprache auch in bestreikten Betrieben

Ausgabe 10/2019

Gerichte haben wiederholt entschieden, dass Betriebsräte weniger mitbestimmen dürfen, wenn ein Arbeitskampf läuft. Gerechtfertigt ist das nur in Ausnahmefällen.

Ziel eines Streiks ist es, Betriebe lahmzulegen und so die Arbeitgeber unter Druck zu setzen. Die versuchen das in der Regel zu vereiteln, indem sie beispielsweise die Beschäftigten, die nicht am Ausstand teilnehmen, zu Mehrarbeit verdonnern oder Ausfälle durch Versetzungen wettmachen. Zum Teil sind solche Maßnahmen allerdings mitbestimmungspflichtig. Das heißt: Der Betriebsrat hätte die Möglichkeit, die Umsetzung zumindest zu verzögern. Weil sie sich dadurch in der Tarifauseinandersetzung benachteiligt fühlen, haben Unternehmen regelmäßig vor Arbeitsgerichten geklagt – und häufig Erfolg gehabt. Der Rechtswissenschaftler Daniel Klocke von der EBS-Universität Wiesbaden hat sich in einem Gutachten für das HSI mit den Argumenten der Arbeitsrichter auseinandergesetzt. Seiner Analyse zufolge greifen sie oft zu kurz. Mitbestimmungsrechte während eines Arbeitskampfs einzuschränken, sei nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen geboten.

Die jüngste Entscheidung des Bundearbeitsgerichts (BAG) vom März 2018 habe die traditionellen Grundlinien der Rechtsprechung bestätigt, schreibt Klocke. Demnach kann es angezeigt sein, den Betriebsrat nicht oder nur eingeschränkt zu beteiligen, wenn der Arbeitgeber eine beteiligungspflichtige Maßnahme während eines Ausstands ergreifen will. Die Voraussetzung: Die Arbeitskampfreiheit des Arbeitgebers muss ansonsten „ernsthaft beeinträchtigt“ sein. Die Begründung beruhe auf zwei Gedanken, so der Gutachter. Zum einen setze die „Arbeitskampfparität“ nach Auffassung der BAG-Richter voraus, dass der Arbeitgeber auf Streiks reagieren kann und ihm nicht durch Beteiligungsrechte die Hände gebunden sind. Zum anderen, so das zweite Argument, wäre der Betriebsrat damit überfordert, sich an seine „Neutralitätspflicht“ zu halten. Denn egal, ob er sich mit der Geschäftsführung einigt oder querstellt, er würde zwangsläufig für eine Seite Partei ergreifen.

Das Überforderungsargument hält Klocke nicht für schlüssig. Dem Betriebsverfassungsgesetz liege das Vertrauen zugrunde, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß die Interessen der Beschäftigten vertritt. Das zu tun, könne nicht automatisch mit einer Parteinahme im Arbeitskampf gleichgesetzt werden. Das Gesetz verbiete dem Betriebsrat zwar, Betriebsvereinbarungen per Streik zu erzwingen. Auch die aktive Teilnahme an einem Tarifkonflikt als Betriebsratsmitglied sei nicht vorgesehen. Ein darüber hinaus gehendes Neutralitätsgebot gebe es jedoch nicht.

Der Grundsatz der Chancengleichheit wiederum könne eine Einschränkung von Mitbestimmungsrechten „allenfalls indizieren“, erklärt der Wissenschaftler. Es reiche nicht aus, dass die Arbeitskampffreiheit des Arbeitsgebers ernsthaft eingeschränkt wird. Entscheidend sei, ob die Beteiligung des Betriebsrats einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechtsposition des Arbeitgebers darstellt. Dem Grundsatz der Parität im Arbeitskampf stehe auf Seiten der Beschäftigten das Recht auf Teilhabe an den sie betreffenden Fragen im Betrieb gegenüber. Dieses Recht sei durch das Sozial- und Demokratieprinzip des Grundgesetzes vermittelt, die Betriebsverfassung „als Ausdruck der sozialen Marktwirtschaft“ ein prägendes Element des Wirtschaftslebens. „Ein unbedingter Vorrang des Arbeitskampfrechts kann daher nicht angenommen werden“, so Klocke. Stattdessen gelte es stets abzuwägen.

Selbst wenn im Einzelfall die Abwägung zugunsten der Arbeitgeberseite ausfallen sollte, darf der Fortfall des Beteiligungsrechts dem Gutachten zufolge nur das letzte Mittel sein. Zu prüfen sei, ob nicht zumindest die Mitwirkung in Form von Anhörung oder Beratung in Betracht käme. „Die Arbeitskampffreiheit muss im Einzelfall hinter den höherrangigen Interessen der Belegschaft zurückstehen“, so Klocke.

Daniel Klocke: Das BetrVG und der Arbeitskampf im Betrieb (pdf), Rechtsgutachten für das HSI, Juni 2019

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