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HBS Böckler Impuls

Finanzmarkt: Mit Risiko-Streuung zum Crash - die systematischen Fehler der Finanz-Elite

Ausgabe 17/2008

Der Finanzmarkt gerät immer wieder in selbst verursachte Krisen. Durch die Bildung einer globalen Finanz-Elite hat sich seine Anfälligkeit nochmals erhöht - dennoch konnte er seinen Einfluss auf die Wirtschaft ausdehnen.

Finanzexperten haben einen enormen Einfluss auf die Wirtschaft. Analysten, Rating-Fachleute, Investmentbanker und Fondsmanager beeinflussen weltweit maßgeblich die Strategien der börsennotierten Unternehmen. Die so genannte Dienstklasse des Finanzmarktes ist zur dominanten Gruppe der ökonomischen Elite geworden, sagt der Soziologe Paul Windolf. Der Trierer Professor bezeichnet die Veränderungen der Wirtschaftsstruktur als Übergang vom Manager-Kapitalismus zum Finanzmarkt-Kapitalismus. In der Zeitschrift für Soziologie hat er erneut auf die wachsenden Risiken hingewiesen, die daraus folgen. Denn der Finanzmarkt ist anfällig für Krisen, und viele zuletzt gängigen Praktiken haben seine Anfälligkeit erheblich erhöht: die Vergabe hoher Kredite gegen geringe Sicherheiten, die Verbriefung von Krediten und anderen Vermögensbeständen, die übersteigerten Renditeerwartungen und die Tatsache, dass Fondsmanager Eigentumsrechte ausüben, ohne das Risiko selbst zu tragen.

Die Finanzwelt kontrolliert Unternehmen, die ihnen nicht gehören. "Den Kern der Finanzdienstklasse bildet das Führungspersonal der Investment-, Pensions- und Hedge-Fonds", schreibt Windolf. Diese Gruppe bezieht ihre Macht aus den Eigentumsrechten an den großen Aktiengesellschaften. Die Fonds sind nicht Stellvertreter, sie verwalten keine Depotstimmen, sondern verfügen über echtes Eigentum - jedoch, ohne tatsächlich Eigentümer zu sein und Risiko zu tragen. Das schultern zu einem großen Teil die Anleger, die den Fonds Geld anvertraut haben. Und dazu gehören nicht nur die Wohlhabenden: In Deutschland kommen 37,4 Prozent der Einlagen in Investmentfonds aus Pensionsfonds, 8,1 Prozent von Versicherungen.

Die Fondsmanager nehmen erheblichen Einfluss auf das Führungspersonal der börsennotierten Unternehmen. Zur Seite stehen ihnen dabei Rating-Agenturen, Fachjuristen für Übernahmen, Analysten und Investmentbankern. Auch die ehemalige Deutschland-AG befindet sich unter ihrer Kontrolle. Ende 2007 hielten ausländische Fonds insgesamt 54 Prozent des Aktienkapitals der DAX-Unternehmen, US-Finanzinvestoren allein 18 Prozent. Deutsche Fonds besitzen weitere 21 Prozent. Die einzelnen Fonds halten ihre Anteile in der Regel klein, aber in Abstimmung mit anderen Anlegern können sie das Management zwingen, ihren Anweisungen zu folgen. Sie verleihen ihren Forderungen Nachdruck, indem sie mit dem Verkauf der Aktien und dem damit verbundenen Kursverlust drohen. Das ist möglich, weil sie ihre kleinen Aktienpakete jederzeit verkaufen können, wie Windolf darlegt. "Diese Doppelbeziehung schafft eine Gelegenheitsstruktur für Opportunismus: Die Fonds-Manager können ein Unternehmen durch kurzfristige Manöver schädigen und dann die Option Exit wählen." Mit anderen Worten: Sollte das Vorgehen der Fonds wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen, dann treffen diese vor allem die Belegschaften, nicht die Investoren. Es stelle sich daher die Frage, ob institutionelle Anleger ebenso leicht aussteigen und verkaufen dürfen wie Kleinanleger.

Der Finanzmarkt-Kapitalismus dehnt seine Einflusszone aus. Die Dienstklasse des Finanzmarktes ist Windolf zufolge der Gewinner der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahre. Ihre Verdienst-Chancen beruhen darauf, dass sie tendenziell alle Vermögensbestände einer Gesellschaft zu Wertpapieren umwandeln können, erklärt der Soziologe. Ein Beispiel dafür ist die Verbriefung von Krediten. Bis vor wenigen Jahren behielten Banken Kredite in der Bilanz; inzwischen bündeln die Banken sie und verkaufen sie an Hedge- und Pensionsfonds. "Damit wird der Kredit quasi verdoppelt", schreibt Windolf. Der Preis der verbrieften Kredite kann nun täglich festgestellt werden, ein Weiterverkauf ist jederzeit möglich. Solche Praktiken verändern die Wirtschaft. "Alle Operationen der Ökonomie können jetzt an den Standards eines globalen Finanzmarktes gemessen werden", analysiert der Wissenschaftler. So regeln die Unternehmen inzwischen unter dem Druck des Kapitalmarktes ihre interne Steuerung zunehmend mit finanzwirtschaftlichen Kennzahlen. Die Logik des Finanzmarktes überträgt sich auf die Realwirtschaft - obwohl gerade der Finanzmarkt besonders krisenanfällig ist.

Übersteigerte Rendite-Erwartungen führen zu Instabilität. Die Konkurrenz auf dem Finanzmarkt führt nicht zu einem dauerhaften Gleichgewicht, sondern zu hoher Volatilität. Windolf legt dar, wie sich die Renditeerwartungen in die Höhe schrauben. Um bei den Anlegern möglichst viel Geld einzusammeln, versprechen die Fonds hohe Renditen. Eine hohe Rendite kann es aber nur zum Preis eines hohen Risikos geben. Die Anleger erwarten jedoch eine besondere Belohnung für ihre Risikobereitschaft - die Erträge sollen noch steiler als das Risiko ansteigen. Das zu realisieren, ist kaum möglich. Die Zuwachsrate der Renditeforderung wächst, während die der tatsächlichen Rendite meist eher sinkt. Folglich driften auf dem Kapitalmarkt Erwartungen und Ergebnisse regelmäßig auseinander. "Nur periodisch wiederkehrenden Finanzmarktkrisen" nähern sie wieder einander an, hat der Soziologe in der Vergangenheit beobachtet.

Kredithebel: Instrument der Umverteilung, nicht der Wertschöpfung. Beteiligungsgesellschaften erreichten in den vergangenen Jahren eine Rendite von 20 bis 25 Prozent. Die hohen Renditen waren der Studie zufolge nur möglich, weil die Fonds die Risiken ihrer Investments auf andere übertragen haben: auf Anleger, Belegschaften der Unternehmen und Banken. Die Banken haben das Risiko in vielen Fällen wiederum per Verbriefung weiter verteilt. Vor allem Private-Equity- und Hedge-Fonds haben Unternehmensbeteiligungen mit viel Fremdkapital gekauft. "Die Kreditgeber erhalten einen geringen Profit - partizipieren aber am Risiko des Projektes", so die Analyse Windolfs. Die Fonds-Verwalter nutzten Bankkredite als Hebel, um eine Umverteilung des Gewinns zu ihren Gunsten zu erreichen. "Die Ersetzung von Eigenkapital durch Kredite ist keine genuine Form der Wertschöpfung, sondern bedeutet nur Umverteilung der Profitmasse", erklärt der Wissenschaftler.

Risikostreuung verliert den Nutzen, wenn alle das Gleiche tun. Windolfs Studie schildert, wie die Dienstklasse des Finanz-Kapitalismus versucht, die Risiken an andere Marktteilnehmer weiterzureichen. Investmentfonds verteilen ihr Geld auf Wertpapiere, die wenig miteinander zu tun haben: Unternehmen aus verschiedenen Branchen, die in anderen Indizes verzeichnet oder in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen tätig sind. Wenn es an einer Stelle Probleme gibt, sollen die Gewinne andernorts das ausgleichen. Dieses Konzept hakt jedoch zum einen daran, dass den Fondsmanagern oft die Kenntnisse fehlen, um Wertpapiere aus anderen Wirtschaftsräumen zu bewerten. Zum anderen steigt mit der globalen Integration der Finanzmärkte das Risiko für das gesamte System. Weil viele Anleger ihr Portfolio global bestücken, reduziert Diversifizierung mittlerweile nicht mehr das Gesamtrisiko - sie sorgt vielmehr dafür, dass sich Krisen noch rascher ausbreiten. Windolf vergleicht das mit einem in Wasser aufgelösten Zuckerwürfel: Der Zucker ist unsichtbar, aber nicht verschwunden.

Die kalkulierte Kurzsichtigkeit. Die Fonds halten ihre Aktienpakete oft nur kurze Zeit. Die Risiken einer kurzen Spanne sind leichter zu überblicken - ein großer Zeitraum birgt dagegen mehr Ungewissheiten. "Je länger die Laufzeit einer Investition, umso größer wird die Anzahl der nicht vorhersehbaren Ereignisse", schreibt Windolf. "Die Tendenz zum short-termism, die in vielen Publikationen kritisiert wird, kann also als eine rationale Reaktion auf die ansteigende Volatilität an den Finanzmärkten interpretiert werden."

Der Aktienmarkt gilt gemeinhin als Markt, auf dem der Erwartungswert künftiger Erträge gehandelt wird. Vor allem Private-Equity-Fonds, aber auch Investmentfonds haben laut Windolf einen anderen Blick: Es geht ihnen vielmehr um "Kontrollchancen, mit deren Hilfe Anleger die Höhe und den Zeitpunkt von Auszahlungen beeinflussen können." So drängen Fondsmanger auf Aktienrückkäufe und Sonderdividenden, um in kurzer Zeit maximale Erträge zu erzielen. Der Soziologe vergleicht den Markt für Unternehmenskontrolle in seiner derzeitigen Form mit einem Obstgarten, zu dem viele Zugang haben. Sinnvoll wäre es, mit der Ernte bis zum Herbst zu warten. Solange es an verbindlichen Regeln fehlt, ist es für den Einzelnen aber durchaus rational, die nur halbwegs reifen Früchte zu pflücken, um sich selbst einen Teil der Ernte zu sichern.

  • Der Einsatz von Fremdkapital kann sehr hohe Renditen bringen –er kann aber auch für empfindliche Verluste sorgen. In den vergangenen Jahren wurden sehr viele Geschäfte mit mehrfachen Kredithebeln finanziert. So lange die Zinsen niedrig waren und die Aktienkurse stiegen, waren die Bedingungen dafür günstig. Zur Grafik
  • er Einsatz von Fremdkapital kann sehr hohe Renditen bringen –er kann aber auch für empfindliche Verluste sorgen. In den vergangenen Jahren wurden sehr viele Geschäfte mit mehrfachen Kredithebeln finanziert. So lange die Zinsen niedrig waren und die Aktienkurse stiegen, waren die Bedingungen dafür günstig. Zur Grafik

Paul Windolf: Eigentümer ohne Risiko - Die Dienstklasse des Finanzmarkt-Kapitalismus (pdf), in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 6, Dezember 2008

Grundlegende Analyse zum Finanzmarktkapitalismus (pdf)

Böckler Impuls-Artikel 12/2006 zu diesem Papier 

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