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HBS Böckler Impuls

Makroökonomie: Lohnverzicht: Nutzen für den Arbeitsmarkt unbewiesen

Ausgabe 15/2008

Erhöht Lohnzurückhaltung die Beschäftigung? Allgemein gültige Belege für diese häufig vertretene These gibt es nicht.

Veränderungen des Lohnniveaus haben Auswirkungen auf den Beschäftigungsstand. Was die Sache kompliziert macht: Sie lösen gegenläufige Effekte aus. So erlauben sinkende oder stagnierende Löhne den Exporteuren, mit preisgünstigen Produkten größere Marktanteile zu erobern und mehr Leute einzustellen. Wer seine Produkte im Inland verkauft, leidet dagegen unter der Geldknappheit der Verbraucher und wird eher Stellen streichen. Die entscheidende Frage ist, welcher Effekt überwiegt.

Der Wirtschaftsprofessor Jürgen Kromphardt, ehemals Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, und die Volkswirtin Stephanie Schneider haben theoretische und empirische Arbeiten zum Zusammenhang zwischen Lohnentwicklung, Wirtschaftskraft und Beschäftigungsstand ausgewertet. Ihre Analyse kommt zu dem Schluss, die Wirkungen von Lohnzurückhaltung seien "weder hinreichend erforscht noch eindeutig". Was die Entwicklung in Deutschland betrifft, äußern sie allerdings die Vermutung, "dass die Lohnzurückhaltung zwar die Exporte begünstigt hat, dass diese Vorteile jedoch durch die von ihr verursachte schwache Binnennachfrage wieder zunichte gemacht wurden".

Seit 1996 haben die Arbeitnehmer den neutralen Verteilungsspielraum nicht mehr ausgeschöpft. Die Lohnerhöhungen blieben also hinter Produktivitätsfortschritt und Preissteigerungen zurück. Im Laufe der Jahre ging ein immer größerer Teil der Wertschöpfung an die Kapitalseite, die Lohnquote sank. Zusätzlich hat sich die Lohnstruktur verändert. Die Abstände zwischen oberen und unteren Verdiensten sind größer geworden, der Niedriglohnsektor ist gewachsen. Kromphardt und Schneider betonen, dass gerade solche Arbeitnehmer verloren haben, die ihre niedrigen Einkommen größtenteils sofort wieder ausgeben müssen und kaum sparen können. Merklich gestiegen seien lediglich die Einkünfte von Besserverdienern, die ihr zusätzliches Einkommen aber eher in Wertpapieren anlegen, als es für Konsumgüter auszugeben.

Empirie spricht gegen "flexible Lohnpolitik"

Empirische Studien zeigen, dass eine schwache Konsumnachfrage infolge sinkender Lohnquoten für sich genommen zu wirtschaftlichen Einbußen führt, so die Wissenschaftler. Nicht ganz so klar fällt die Antwort auf die Frage aus, ob niedrige Lohnabschlüsse gleichzeitig auch nennenswerte positive Effekte auslösen - etwa durch Exporterfolge oder höhere Investitionen als Folge gestiegener Gewinne. Ökonomen, die Veränderungen der Lohnquote und ihre Konsequenzen für Wirtschaftskraft und Beschäftigungsstand untersucht haben, kommen für verschiedene Länder und Zeiträume zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Eine Studie für den Euroraum ergibt, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Faustregel galt: Eine Senkung der Lohnquote um einen Prozentpunkt erhöht die privaten Investitionen um 0,07 Prozentpunkte und die Nettoexporte um 0,11 bis 0,13 Punkte. Allerdings fällt der gleichzeitig einsetzende Rückgang des privaten Konsums mit 0,37 Prozentpunkten deutlich stärker aus. Eine weitere Untersuchung, die sich auf Deutschland beschränkt, liefert ähnliche Resultate.

Kromphardt und Schneider raten angesichts der Befunde davon ab, zur Stabilisierung der Beschäftigung auf eine "flexible Lohnpolitik" zu setzen, die sich nicht in erster Linie am gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum orientiert. Von Lohnzurückhaltung hätten in der Vergangenheit vor allem Unternehmen und Kapitaleigener profitiert. Die in den letzten zwei Jahren erfreulich zahlreich neu eingestellten Arbeitnehmer haben ihre Jobs dagegen nicht den bescheidenen Lohnsteigerungen zu verdanken, sondern vor allem dem konjunkturellen Aufschwung.

  • Von den Produktivitätszuwächsen der deutschen Wirtschaft profitierte die Kapitalseite im vergangenen Jahrzehnt erheblich mehr als die Arbeitnehmer. Zur Grafik

Jürgen Kromphardt, Stephanie Schneider: Wer hat von der zurückhaltenden Lohnentwicklung profitiert?, in: WSI-Mitteilungen 8/2008

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