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HBS Böckler Impuls

Demokratie: Kritisch, demokratisch, gut

Ausgabe 07/2005

Kritische Bürger sind interessierte Bürger und damit die ideale Ressource für eine Demokratie. Die richtige Dynamik für eine positive Weiterentwicklung des Systems bringt aber erst eine Mischung von zufriedenen und unzufriedenen Demokraten - so die Kernbotschaft einer empirischen Studie des WZB.

Ja-Sager oder Kritiker, zufriedene oder unzufriedene Demokraten - welche Bürgerinnen und Bürger bringen die Demokratie am besten voran? Auf der Grundlage einer Befragung von 2.000 Menschen in Ost- und Westdeutschland versuchte das Team um die Politologin Brigitte Geißel, bestimmte Typen herauszukristallisieren, die wichtig für das Funktionieren einer Demokratie sind.

Als Ausgangspunkt setzten die Forscher die Überzeugung: Eine Demokratie muss sich ständig weiter entwickeln und dazu auch fähig sein. Ihr Fazit: Eine Mischung aus politisch zufriedenen und unzufriedenen, kritikbereiten Demokraten ist die ideale Ressource für eine Demokratie. "Die sich daraus entwickelnde Dynamik könnte einen demokratischen Entwicklungsprozess fruchtbar vorantreiben", heißt es.

Erstmals sind in der Studie die drei Aspekte "politische (Un-)zufriedenheit", "Kritikbereitschaft" und demokratische Einstellung zusammengeführt worden, was die Typenbildung möglich machte.

Nicht-Demokraten: Sie machen 18,8 Prozent der Befragten aus. Diese Gruppe wurde nicht weiter unterteilt.
Demokratie-Befürworter: Sie sind mit 70 Prozent der Befragten am stärksten verbreitet. Diese Gruppe betrachteten die Forscher  hinsichtlich der beiden anderen Merkmale genauer:
- politisch kritikbereit und zufrieden: 26,6 %
- politisch kritikbereit und unzufrieden: 16,3 %
- nicht kritikbereit und zufrieden: 18,4 %
- nicht kritikbereit und unzufrieden: 8,7 %
Über 10 Prozent der Befragten konnte das Team aufgrund fehlender spezifischer Angaben nicht einbeziehen.

Kritikbereitschaft steht offenbar in keinem Zusammenhang mit einer politischen Unzufriedenheit, ebensowenig ist sie an eine demokratische Grundeinstellung geknüpft. Tendenziell zeigten sich aber die Demokratie-Befürworter etwas zufriedener als die Nicht-Demokraten. Unzufriedenheit ging etwas häufiger mit nicht-demokratischen Einstellungen einher, beides war im Osten Deutschlands häufiger anzutreffen.

Kritikbereite Demokraten - zufriedene wie unzufriedene - sind nach den Erkenntnissen der Studie überdurchschnittlich gut informiert und schätzen sich selbst als politisch kompetent ein. Ausgeprägt ist ihr politisches Engagement oder die Bereitschaft, sich politisch einzumischen.

Wie sie sich engagieren, unterscheidet sich allerdings. Die politisch Zufriedenen schließen sich häufig Parteien an, während die Unzufriedenen eher nicht-institutionalisierten Vereinigungen zuneigen. Wenig überraschend erscheint, dass die beiden kritikbereiten demokratischen Modelltypen sich in unterschiedlichem Maße mit dem politischen System identifizieren und auch dessen Bereitschaft, auf Wünsche der Bürger einzugehen, unterschiedlich einschätzen. Was die kritikbereiten zufriedenen Demokraten positiv sehen und womit sie sich identifizieren können, bewerten die unzufriedenen als durchschnittlich und stimmen damit nur bedingt überein. Hier sehen die Forscher eine mögliche Quelle dynamischer demokratischer Entwicklungsprozesse.

Der undemokratische Typus dagegen ist nicht nur unterdurchschnittlich informiert. Er hat auch weniger Vertrauen in die eigenen politischen Kompetenzen, seine Partizipation - beziehungsweise seine Bereitschaft dazu - ist schwach. Tendenziell identifiziert er sich weniger mit dem politischen System.

Wie gesund eine Demokratie tatsächlich ist, lässt sich also anhand ihres Anteils kritischer Bürger ablesen. Sie machen der Studie zufolge immerhin die deutliche Mehrheit unter den fünf Typen aus (42,9 Prozent zufriedener und unzufriedener Demokraten).

 Blackbox Effizienz

Auf eine ungeklärte Frage der Demokratieforschung weist Geißel ausdrücklich hin: Wieviel Kritik verträgt ein demokratisches System, wenn es effizient arbeiten will? Allzuviel Bürgermitbestimmung und -beteiligung könnten sich negativ auf Effizienz unf Effektivität von Politik auswirken. Aus dieser Perspektive wäre es, so Geißel, immerhin denkbar, dass kritikbereite Bürger zwar demokratiefreundliche Merkmale aufweisen, letzlich der Politik-Qualität eines demokratischen Systems aber eher schaden könnten.

Brigitte Geißel, Arbeitsgruppe "Politische Öffentlichkeit und Mobilisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB); "Kritiker sind gut für die Demokratie" in WZB-Mitteilungen Nr. 105, September 2004. Empirische Analyse auf der Grundlage einer Bürgerbefragung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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