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HBS Böckler Impuls

Arbeitsagenturen: Jobvermittlung nach Schema F

Ausgabe 08/2009

Die Arbeitsverwaltung sollte mit dem dritten Hartz-Gesetz zum kundenorientierten Dienstleister werden. Statt individueller Förderung bieten die Jobcenter aber ein Integrationsprogramm von der Stange.

Vermittlungsgespräche in Arbeitsagenturen folgen oft einem einfachen, standardisierten Schema. Die Arbeitsvermittler müssen sich an ein von der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) vorgegebenes Gesprächsraster halten. Darin bleibt kaum Raum, die individuellen Voraussetzungen, Probleme, Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Rat- und Hilfesuchenden aufzugreifen. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Sozialwissenschaftlers Volker Hielscher von der SRH Fachhochschule Heidelberg und des Organisationberaters Peter Ochs, die Erstgespräche in Arbeitsagenturen ausgewertet haben.

Beim ersten persönlichen Kontakt mit dem Arbeitslosen ist der Arbeitsvermittler demnach die meiste Zeit damit beschäftigt, in einem umfangreichen Computer-Formular vorgefertigte Einträge auszuwählen. Es bleibt kaum Zeit, in der die neuerdings als "Kunden" bezeichneten Arbeitslosen ihre  Anliegen formulieren können. Zu einem Dialog "auf Augenhöhe", in dem Erwerbsloser und Vermittler miteinander über die beste Strategie zur Beendigung der Arbeitslosigkeit verhandeln, kommt es nur selten. Ein solche "ko-produktive Interaktion" ist den Wissenschaftlern zufolge aber ein wesentliches Kriterium guter Dienstleistungsqualität.

Für ihre Untersuchung wählten die Wissenschaftler fünf Arbeitsagenturen in Regionen mit unterschiedlichen Arbeitsmarktsituationen aus. Bei der Auswertung kristallisierten sich fünf Typen von Erstgesprächen heraus:

Aushandlungsprozess: Beide Seiten formulieren ihr jeweiliges Ziel und einigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen. Arbeitsvermittler und "Kunde" finden als "quasi-gleichberechtigte" Verhandlungspartner einen Kompromiss. Die Forscher zählten nur zwei solcher idealtypischen Fälle. Die übrigen 40 beobachteten Gespräche verliefen anders.

Unterstützende Dienstleistung: Der Vermittler geht auf den Jobsuchenden ein, soweit es das vorgegebene Pflichtprogramm gestattet, und versucht eine Strategie zu entwickeln, die von den Vorstellungen des "Kunden" ausgeht. 17 Gespräche entfielen auf diesen Typus.

Bürokratische Interaktion: Die "Herrschaft der Verwaltung" dominiert das Gespräch. Auf die Anliegen der Arbeitsuchenden wird kaum eingegangen: "Sie bekommen auch ohne Fortbildung Arbeit". Missverständnisse und ratlose "Kunden" sind häufig. So verliefen elf der Erstgespräche.

Als-ob-Interaktion: Beide Seiten verhalten sich strategisch, gehen nicht aufeinander ein, versuchen aber, Konflikte zu vermeiden. Der Vermittler macht Vorschläge, die aus seiner Sicht eine schnelle Arbeitsmarktintegration ermöglichen, ohne den Arbeitslosen nach seinen Wünschen zu fragen. Der Erwerbslose geht zum Schein darauf ein, obwohl er andere Ziele verfolgt - etwa eine berufliche Neuorientierung.

Abwehr von Ansprüchen: Die Vermittler stemmen sich gegen die Pläne der zu Beratenden: Der Wunsch nach einem Branchenwechsel oder einer Umschulung wird abgelehnt, Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung werden ignoriert.

Nachdem die "Kunden" den Raum verlassen haben, ordnen die Agenturmitarbeiter den jeweiligen Arbeitslosen einer von vier Kategorien zu: von Marktkunden, die keiner besonderen Unterstützung bedürfen, bis Betreuungskunden, die in den kommenden zwölf Monaten vermutlich keinen neuen Job finden werden. Ursprünglich sollte sich die Hilfe bei Qualifizierung und Jobsuche auf die Betreuungskunden konzentrieren, schreiben die Forscher. Tatsächlich bemühten sich die Arbeitsagenturen aber vor allem um die leichter zu Vermittelnden, weil sich der Mitteleinsatz hier eher "rentiert".

Diese Rahmenbedingungen sind aus Sicht der Wissenschaftler kaum geeignet, den individuellen Bedürfnissen der Arbeitsuchenden gerecht zu werden. Auch gelingt es über die standardisierten Profilabfragen nur selten, Voraussetzungen und Fähigkeiten der Arbeitslosen für eine weitere berufliche Entwicklung zu erfassen. Für ein eingehendes Beratungsgespräch bleibe angesichts der Fülle der abzuarbeitenden - und vom BA-Controlling überprüften - formalen Prozeduren  kaum Zeit, resümieren die Wissenschaftler. Den im Sozialgesetzbuch formulierten Anspruch auf qualifizierte Berufsberatung könne die Bundesagentur für Arbeit in der derzeitigen Dienstleistungsorganisation der Agenturen nicht einlösen.

In der Praxis beobachteten Hielscher und Ochs allerdings, dass einem Teil der Vermittler trotz des vorherrschenden Standardisierungsdrucks eine "individuelle, personale Zuwendung zur Situation der Ratsuchenden" gelingt. Die Wissenschaftler empfehlen, an dieser Praxiserfahrung anzusetzen und den Vermittlungsprozess weniger schematisch zu gestalten.

  • Arbeitsagenturen: Wenig Beratung in Vermittlungsgesprächen Zwar heißen Arbeitslose in den Jobcentern jetzt "Kunden", die Dienstleistungsqualitäten der Arbeitsvermittler lassen aber noch zu wünschen übrig. Zur Grafik

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