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HBS Böckler Impuls

Beschäftigung: Jobs für Ältere: Klassenziel verfehlt

Ausgabe 09/2005

Bis 2010 soll die Hälfte der älteren EU-Bürger in Lohn und Brot sein, beschloss der Europäische Rat 2001 in Stockholm. Nicht zu schaffen, behauptet eine neue Studie. Schuld ist die soziale Ungleichheit.

"Du heiratest ja doch!" Noch in den 60er-Jahren war höhere Schulbildung für deutsche Mädchen nicht üblich. Das rächt sich heute, das Ziel von Stockholm rückt in weite Ferne. Wenn bis 2010 die Hälfte der heute 50- bis 60-Jährigen erwerbstätig sein soll, hätte Deutschland nämlich schon damals dafür sorgen müssen, dass Mädchen eine bessere Ausbildung und Frauen Arbeitsplätze bekommen. Stattdessen herrschte das traditionelle Familienbild: Mann verdient, Frau hütet die Kinder.

Beispiel Schweden

Länder wie Schweden und Finnland haben die 50-Prozent-Marke bei der Beschäftigung Älterer bereits im Jahr 2002 überschritten. Dieser Erfolg hat einen langen arbeitsmarktpolitischen Vorlauf. Das nordische Schulsystem steigerte die Bildungschancen für Mädchen deutlich. Durch Kinderbetreuung und steuerliche Anreize sorgt Schweden seit über 40 Jahren dafür, dass die meisten Mütter berufstätig sind. Nachgewiesen ist: Nur wer in jungen Jahren einen Arbeitsplatz hat, wird auch später einen haben. Vorausgesetzt allerdings, er oder sie ist ausreichend qualifiziert. Einfache Arbeiter und auch schon mittlere Angestellte haben mit 55 Jahren erheblich schlechtere Aussichten als Akademiker.

Aufgaben für Politiker

Keine Hoffnung also für deutsche Langzeitarbeitslose jenseits der 50? Gerhard Bosch und Sebastian Schief schlagen in ihrer Studie zur Lage älterer Arbeitnehmer in der EU Maßnahmen vor, mit denen dem Stockholmer Ziel näher zu kommen wäre. Soll allerdings gleichzeitig die Beschäftigungsquote auf 70 Prozent steigen - wozu sich der EU-Rat schon im Jahr 2000 verpflichtete - wären allein in Deutschland zweieinhalb Millionen neue Arbeitsplätze nötig. Wer Jobs für Ältere schaffen will, hat fünf Problemfelder zu beackern.

Gleichstellung: Frauen müssen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Jüngere Frauen brauchen dazu Kinderbetreuung, ältere Unterstützung bei der Pflege Familienangehöriger. Ehegattensplitting ist kontraproduktiv,
die soziale Sicherung der Frauen darf nicht vom Partner abhängen.

Qualifikation: Bildung, Ausbildung und Weiterbildung bestimmen nicht nur individuelle Jobchancen, sondern den Arbeitsmarkt insgesamt. Ob jemand sich weiterbildet, hängt nicht vom Alter ab, sondern von seiner Ausbildung. Gut  Qualifizierte bilden sich jenseits der 50 sogar häufiger weiter, gering Qualifizierte dafür so gut wie gar nicht. Nötig ist eine Kultur lebenslangen Lernens, doch bis sie wirkt, wird es noch einige Zeit dauern.

Flexibilität: Der flexible Übergang in die Rente funktioniert erfahrungsgemäß allenfalls bei Menschen, die schon vorher flexibel - sprich: Teilzeit - gearbeitet haben, also meist Frauen. Werden lebenslanges Lernen und Erwerbsteilnahme der Frauen ausgebaut, dürfte auch das "Ausschleichen in den Ruhestand" zur ernsthaften Option werden.

Motivation: Die Vorruhestandsregelung gilt zwar heute als Jobkiller par excellence, in den Köpfen ist das aber noch nicht angekommen. Zu lange war die von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern forcierte Politik die Marschrichtung überhaupt. Betriebe und Beschäftigte leben immer noch mit dem Gedanken an möglichst frühe Rente, Beschäftigte nutzen ihr Lebensarbeitszeitkonto für einen früheren Ausstieg. Betriebe müssen motiviert werden, Ältere zu beschäftigen, und diese müssen arbeiten wollen.

Wachstum: Ohne Wirtschaftswachstum geht erst einmal gar nichts. Eine höhere Beschäftigungsquote Älterer bedeutet aber auch bei schwachem Wachstum nicht zwangsläufig, dass sie Jüngeren den Arbeitsplatz wegnehmen. Denn wenn mehr Ältere arbeiten, verdienen sie zusätzlich Geld - und geben dies aus. Wenn so die Nachfrage nach Produkten steigt, steigt auch die Beschäftigung.

  • Bis 2010 soll die Hälfte der älteren EU-Bürger in Lohn und Brot sein, beschloss der Europäische Rat 2001 in Stockholm. Nicht zu schaffen, behauptet eine neue Studie. Schuld ist die soziale Ungleichheit. Zur Grafik

Gerhard Bosch, Sebastian Schief: Ältere Beschäftigte in Europa: Neue Formen sozialer Ungleichheit; in:  WSI-Mitteilungen 1/2005

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