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Jedes zweite Großunternehmen mit eigenständigen Personalvorstand Böckler Impuls

Unternehmensführung: Jedes zweite Großunternehmen mit eigenständigem Personalvorstand

Ausgabe 06/2021

Ein Unternehmen, das die Belange seiner Beschäftigten ernst nimmt, braucht einen eigenständigen Personalvorstand. Am besten stehen Unternehmen mit Arbeitsdirektoren da.

Mehr als die Hälfte der 677 größten deutschen Unternehmen, die mindestens 2000 Menschen beschäftigen und mitbestimmt sind, haben keinen eigenständigen Personalvorstand. Bei rund 31 Prozent ist die Zuständigkeit für Beschäftigte auf der obersten Führungsebene überhaupt nicht explizit personell verankert. Bei knapp 22 Prozent der Unternehmen wird das Personalressort vom Vorstandsvorsitzenden oder anderen Vorständen „mitbearbeitet“. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie, für die I.M.U.-Experte Jan-Paul Giertz Geschäftsberichte, Organigramme und Wirtschaftsdatenbanken ausgewertet hat.

Von den 677 untersuchten Unternehmen verfügen 320 oder 47 Prozent über ein Vorstandsmitglied, das eigenständig und ausschließlich für die Belegschaft zuständig ist. Dagegen sind 208 Unternehmen ganz ohne Personalvorstand. Zwar sei davon auszugehen, dass das Thema „Human Ressources“ (HR) dort formal über eine „Gesamtverantwortung“ etwa des Vorstandschefs abgedeckt ist, so Giertz. Dennoch sei die Nicht-Benennung ein klares Indiz für ein „sehr operatives Verständnis der Personalarbeit“, die dann auf jener Ebene, die unternehmensstrategische Entscheidungen trifft, eine untergeordnete Rolle spielt. Besonders oft fehlt der Personalvorstand bei den untersuchten 197 deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne: Gleich 43 Prozent von ihnen haben laut der Analyse überhaupt niemanden, der das Thema explizit auf Vorstandsebene übernimmt.

Ähnlich sieht es nach Analyse des Forschers bei jenen insgesamt 149 Unternehmen in der Untersuchungsgruppe aus, bei denen nach eigener Darstellung der Vorstandsvorsitzende, der Finanzvorstand oder ein anderes Vorstandsmitglied das Personalressort „mit übernimmt“. In solchen Konstellationen drohten Rollenkonflikte, bei denen HR-Aspekte unter die Räder kommen könnten, warnt Giertz. Zudem seien Personalthemen viel zu wichtig und zu komplex, um „nebenher“ erledigt zu werden. Die Annahme „Personal kann jeder“ stehe für ein überkommenes „paternalistisches“ Verständnis von Mitarbeiterführung. Ein weiteres Problem: In Unternehmen mit „Mischressorts“ liegt der Frauenanteil unter den Personalverantwortlichen bei lediglich gut 5 Prozent – bei Unternehmen mit eigenständigem Personalvorstand sind es 32 Prozent.

Angesichts von insgesamt knapp 53 Prozent der Unternehmen ohne eigenständigen Personalvorstand kommt der I.M.U.-Forscher zu dem Schluss, Personalarbeit werde von den Vorstandsgremien vieler Unternehmen „nicht mit der notwendigen Verantwortlichkeit“ betrieben. Und dabei handele es sich um mitbestimmte Großunternehmen. In Firmen, die sich der Mitbestimmung entziehen, indem sie juristische Schlupflöcher nutzen oder Mitbestimmungsgesetze rechtswidrig ignorieren, dürfte der Anteil mit eigenständigem Personalvorstand eher noch niedriger sein, vermutet der Forscher: „Denn ihr Verhalten legt ja nahe, dass sie Beschäftigtenbelange als nicht besonders wichtig erachten und Personal mithin nicht als strategischen Faktor ansehen.“

Grundsätzlich besser fällt die Bilanz nach der I.M.U.-Auswertung dagegen in der Untergruppe aus, für die das Montanmitbestimmungsgesetz von 1951 gilt. Dieses gibt unmissverständlich vor, dass dem Vorstand eine Arbeitsdirektorin oder ein Arbeitsdirektor angehören muss. Diese Position kann zudem nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Beschäftigten im Aufsichtsrat besetzt werden. Dementsprechend besitzen alle 23 montanmitbestimmten Unternehmen einen eigenständigen Personalvorstand.

Giertz betrachtet das Modell, das vor 70 Jahren im Bundestag verabschiedet wurde, deshalb als gut geeignet für eine Zukunft, in der Fachkräfteentwicklung immer wichtiger werde und Unternehmen zugleich immer häufiger nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gefragt würden: Als gleichberechtigtes Vorstandmitglied und als „Vertrauensmanager“ fungierten Arbeitsdirektorinnen und Arbeitsdirektoren „als Brückenbauer zwischen ökonomischen und sozialen Zielsetzungen“, schreibt der Forscher. 

Jan-Paul Giertz: Personalvorstände in mitbestimmten Unternehmen (pdf), I.M.U. Policy Brief Nr. 6, März 2021

Mehr zum Thema:

Jan-Paul Giertz, Robert Scholz: Strategische Personalarbeit ohne eigenständigen Personalvorstand?, WSI-Mitteilungen 2/2018

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