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HBS Böckler Impuls

Atypische Erwerbstätigkeit: Gründer aus der Not

Ausgabe 09/2006

Dank staatlicher Förderung - zweites Hartz-Gesetz - ist die Zahl der Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit seit 2003 drastisch angestiegen. Was für die einen eine Chance ist, kann andere in die Sackgasse führen, so eine Studie.

Eine Viertelmillion Arbeitslose machte sich 2005 mit Unterstützung der Arbeitsagentur (BA) selbstständig, 2004 waren es sogar 350.000. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat 6.000 vormals Arbeitslose befragt, die sich im dritten Quartal 2003 mithilfe von Überbrückungsgeld oder Ich-AG-Förderung selbstständig gemacht haben.

Fazit: BA-geförderte Existenzgründungen münden keineswegs zwangsläufig in prekäre Erwerbstätigkeit mit schlechten Einkommensaussichten. Im günstigsten Fall seien sie ein Weg zu dauerhafter wirtschaftlicher Unabhängigkeit, im zweitgünstigsten eine Brücke in den Arbeitsmarkt, im schlechtesten eine "soziale Falle". Die Erfahrungen der Gründer zeigen die "Janusköpfigkeit" des Konzepts:

Motive: 80 Prozent der Befragten gaben als Grund für die Unternehmensgründung an: "Ich wollte nicht mehr arbeitslos sein." Der Aussage "Ich hatte eine Marktlücke entdeckt" stimmten immerhin 32 Prozent zu.

Einkommen: 55 Prozent der zum Befragungszeitpunkt Anfang 2005 noch selbstständigen Existenzgründer, die mehr als 35 Stunden in der Woche arbeiten, verdienen weniger als in ihrem letzten Job. Unter Selbstständigen mit weniger Wochenstunden sind es noch mehr. Dies sei grundsätzlich nicht erstaunlich, weil Jungunternehmer am Anfang üblicherweise viel arbeiten und vergleichsweise wenig einnehmen, so die Autoren. Dennoch warnen sie vor der "Gefahr der Selbstausbeutung, des ‚Working Poor‘ am Rande des Existenzminimums" - gerade in der Startphase. 45 Prozent der Jungunternehmer mit über 35 Wochenstunden verdienen jedoch genauso viel oder mehr als früher.

Insgesamt hatte ein Viertel der Befragten Anfang 2005 wieder aufgegeben. Für die Hälfte der Abbrecher endete das Kapitel Selbstständigkeit mit erneuter Arbeitslosigkeit. Aber ein knappes Drittel hatte bereits wieder einen sozialversicherungspflichtigen Job - in der Regel allerdings schlechter bezahlt als die letzte Stelle. Der Rest verteilt sich auf verschiedene Beschäftigungen von Minijob über Fortbildung und Elternzeit bis Vorruhestand.

Ausstiegsgründe: Auftragsmangel, Finanzierungsengpässe, unterschätzte Kosten für soziale Absicherung - das sind die häufigsten Gründe für die Aufgabe der Selbstständigkeit. Vor allem Ich-AG-Gründer haben sich oft verschätzt: Die Kosten für die - von den Autoren grundsätzlich positiv bewertete - Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Krankenkassenbeiträge zehren bereits einen erheblichen Teil der Förderung auf.

Schulden: Gut 9 Prozent aller Befragten beendeten das Experiment Selbstständigkeit mit Schulden. Ein knappes Drittel der verschuldeten Ex-Überbrückungsgeld-Bezieher stand mit mehr als 10.000 Euro in der Kreide. Ich-AGler kamen glimpflicher davon: Nur 14 Prozent der mit negativem Saldo gescheiterten Miniunternehmer blieben ihrer Bank mehr als 10.000 Euro schuldig.

Die Forscher resümieren: Entscheidend für den Erfolg der Förderung sei, Gründungswillige entsprechend ihren Kenntnissen und Fähigkeiten richtig einzuschätzen. Zudem bräuchten angehende Unternehmer "ein Mindestmaß an sozialer Absicherung zu erschwinglichen Preisen". 

Besser selbständig als arbeitslos - darum förderte die Bundesagentur viele Existenzgründungen. Nicht immer gab es ausreichend Kundschaft. Zur Grafik
Die formale Selbstständigkeit brachte für viele weniger Einkommen als der frühere Job. Zur Grafik

Susanne Noll/Frank Wießner: Existenzgründung aus Arbeitslosigkeit, in: WSI-Mitteilungen 5/2006.

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