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Gewerkschaften als Stabilitätsanker Böckler Impuls

Demokratie: Gewerkschaften als Stabilitätsanker

Ausgabe 07/2023

Die Krisen der vergangenen Jahre haben das politische System unter Druck gesetzt. Das Vertrauen in Gewerkschaften hat sich als weitgehend stabil erwiesen.

Pandemie, Ukrainekrieg, Inflation: Die Serie schlechter Nachrichten hat viele Menschen gestresst – und das Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen beeinträchtigt. Das Ausmaß schwankt allerdings: Während die Zweifel an der Bundesregierung oder den öffentlich-rechtlichen Medien massiv zugenommen haben, stehen die Gewerkschaften vergleichsweise gut da. Das legen Andreas Hövermann und Bettina Kohlrausch vom WSI in einer Studie dar. Demnach sind die Gewerkschaften die einzige Institution, deren Vertrauenswerte Ende 2022 genauso hoch ausfielen wie ein Jahr zuvor. Das deute darauf hin, dass sie in Krisenzeiten ein „stabilisierender Faktor“ sein können.

Hövermann und Kohlrausch haben für ihre Untersuchung Daten des WSI-Erwerbspersonenpanels ausgewertet, für das seit April 2020 regelmäßig Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt werden. An der neunten Befragungsrunde im November 2022 nahmen über 5100 Personen teil. Sie sollten unter anderem angeben, wie stark sie verschiedenen Institutionen vertrauen. Am besten schneiden, wie meist bei vergleichbaren Umfragen, die Polizei und die Gerichte ab: Großes oder sehr großes Vertrauen genießen sie bei 52 beziehungsweise 42 Prozent der Befragten. Der Bundeswehr vertrauen 29 Prozent, den Gewerkschaften 24 Prozent, jeweils ähnlich viele haben wenig oder kein Vertrauen. Dagegen überwiegt der Anteil der Misstrauischen mit 40 beziehungsweise 48 Prozent klar bei den öffentlich-rechtlichen Medien und der Bundesregierung. 

Wenn man sich den Zeitverlauf anschaut, zeigt sich, dass ausnahmslos alle der untersuchten Institutionen zwischen Oktober 2021 und April 2022 an Vertrauen eingebüßt haben. Die WSI-Forschenden führen das zurück auf die „tiefgreifende Erschütterung“, die die deutsche Gesellschaft nach Beginn des Ukrainekriegs erlebte. Danach haben sich die Werte zumindest teilweise erholt. Dabei fällt auf, dass die Gewerkschaften, in die im April 2022 noch 19 Prozent großes oder sehr großes Vertrauen hatten, den größten Zugewinn zu verzeichnen hatten und zuletzt mit 24 Prozent wieder das Ausgangsniveau vom Oktober 2021 erreichten. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien und der Bundesregierung hat sich dagegen der Negativtrend weiter fortgesetzt. 

Im Rahmen ihrer Analyse haben Hövermann und Kohlrausch auch die Faktoren untersucht, die das Vertrauen in Gewerkschaften beeinflussen. Positiv wirkt es sich demnach aus, wenn Menschen einen direkten Bezug zu dieser Institution und ihren Aktivitäten haben, also etwa selbst Mitglied sind oder in einem mitbestimmten Betrieb arbeiten. Die „Qualität der Erfahrung“ spielt dabei eine wichtige Rolle: Bei Beschäftigten, die mit der Arbeit ihres Betriebsrats zufrieden sind, fällt auch das Vertrauen in Gewerkschaften im Schnitt höher aus. Wer unzufrieden ist, neigt eher zu Misstrauen.

Tendenziell geht der Studie zufolge das Vertrauen in Gewerkschaften einher mit dem in andere Institutionen, ist also offenbar „mit grundsätzlicher Akzeptanz des politischen Systems“ verbunden. Überdurchschnittlich hoch ist das Vertrauen auch bei den Anhängern und Anhängerinnen „progressiver“ Parteien wie SPD, Grüne und Linke, besonders niedrig dagegen bei den Anhängern und Anhängerinnen der AfD sowie bei den Nichtwählern und Nichtwählerinnen. Für bemerkenswert halten die Forschenden in diesem Zusammenhang, dass der Vertrauenszuwachs zwischen April und November 2022 alle Gruppen betrifft, auch diejenigen, die AfD oder gar nicht wählen. Das zeige, „dass Gewerkschaften zumindest teilweise das Potenzial haben, auch jenen Gruppierungen ein überzeugendes Angebot zu machen, die dem politischen und demokratischen System sonst eher skeptisch gegenüberstehen“.

Bei Befragten, die sich große Sorgen machen, etwa wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Situation oder der sozialen Ungleichheit, fällt das Vertrauen in Gewerkschaften zwar eher niedrig aus. Es hat bei ihnen zwischen April und November 2022 aber überdurchschnittlich häufig zugenommen. „Offenbar wurden die Gewerkschaften zuletzt von einigen als ein gesellschaftlicher Akteur wahrgenommen, der das Problem der sozialen Gerechtigkeit in angemessener Form adressiert“, schlussfolgern Hövermann und Kohlrausch.

Andreas Hövermann, Bettina Kohlrausch: Die Entwicklung des Vertrauens in Gewerkschaften, WSI Policy Brief Nr. 76, März 2023

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