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Frauen bei Digitalisierung benachteiligt Böckler Impuls

Digital Gender Gap : Frauen bei Digitalisierung benachteiligt

Ausgabe 04/2023

Die Digitalisierung droht die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Um dem entgegenzuwirken, sind gezielte Weiterbildungen und eine neue Arbeitszeitnorm nötig.

Frauen nutzen bei der Arbeit seltener spezielle Software und vernetzte digitale Technologien als Männer. Besonders groß ist der Rückstand bei Teilzeitbeschäftigten. Entsprechend schätzen weibliche Beschäftigte ihre Chancen in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt im Durchschnitt schlechter ein: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gut auf den Umgang mit vernetzten digitalen Technologien vorbereitet fühlen, ist bei den Frauen 14 Prozentpunkte niedriger als bei männlichen Beschäftigten. Frauen erwarten nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10,5 Prozent, dass sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung verbessern, bei den Männern sind es 18 Prozent. Das geht aus einer Studie von Yvonne Lott vom WSI hervor. 

Die Untersuchung basiert auf einer Befragung von rund 4000 Erwerbstätigen im Rahmen des repräsentativen Nationalen Bildungspanels. Mögliche Unterschiede im Hinblick auf Bildungsniveau, Alter oder Migrationshintergrund wurden statistisch berücksichtigt. Werden zusätzlich Faktoren wie die berufliche Stellung oder die Tätigkeit von Frauen und Männern einbezogen, verringert sich der Nachteil der Frauen zwar, bleibt aber in der Regel statistisch signifikant.

Frauen und Männer nutzen Computer im Job etwa gleich häufig. So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Standardsoftware wie Word oder Excel arbeiten, bei 94 beziehungsweise 95 Prozent. Darüber hinaus gilt jedoch: Je anspruchsvoller eine Software ist, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass sie von Frauen genutzt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer mit Konstruktionsprogrammen (CAD), Desktop-Publishing-Programmen oder Programmen für statistische Auswertungen arbeiten, liegt bei 50 Prozent. Bei den Frauen sind es 34 Prozent. Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es auch bei der Nutzung von vernetzten digitalen Technologien wie Online-Plattformen, Cloud-Diensten und selbststeuernden oder selbstlernenden Computersystemen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeit stark durch solche Technologien geprägt ist, liegt bei Männern bei 54 Prozent und bei Frauen bei 44 Prozent. Nur ein kleiner Teil der Beschäftigten arbeitet mit Programmiersprachen. Gleichzeitig ist hier der geschlechtsspezifische Unterschied besonders groß: Die Wahrscheinlichkeit der Nutzung liegt bei Männern bei knapp 10 Prozent, bei Frauen bei 2 Prozent.


Am größten ist der digitale Rückstand, wenn weibliches Geschlecht und kürzere Arbeitszeit zusammenkommen: Teilzeitbeschäftigte Frauen nutzen fortgeschrittene Standardsoftware nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent, vollzeitbeschäftigte Frauen dagegen mit fast 33 Prozent. Besonders betroffen vom sogenannten Gender Digital Gap dürften Mütter sein, die häufig in Teilzeit arbeiten, um Erwerbs- und Familienarbeit unter einen Hut zu bringen.

Insgesamt sehen viele Beschäftigte in Deutschland ihre beruflichen Perspektiven in einem digitalisierten Arbeitsmarkt eher skeptisch. So fühlt sich weniger als die Hälfte der Befragten gut auf den Umgang mit digital vernetzten Technologien vorbereitet. Zudem zeigen sich auch in diesem Punkt deutliche Unterschiede nach Geschlecht und Arbeitsumfang: Männer fühlen sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 48 Prozent gut auf digital vernetzte Technologien vorbereitet. Bei den Frauen sind es nur 34 Prozent. Besonders niedrig ist die Wahrscheinlichkeit bei teilzeitbeschäftigten Frauen mit 32 Prozent. Bei vollzeitbeschäftigten Frauen sind es 38 Prozent.

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Wenn der berufliche Status oder die Tätigkeit berücksichtigt werden, wird die Lücke zwischen den Geschlechtern zwar kleiner, die Benachteiligung der Frauen bleibt aber größtenteils statistisch signifikant, betont Soziologin Lott. „Diese geschlechterbezogenen Unterschiede – auch in Hinblick auf den Arbeitszeitumfang – scheinen also unabhängig von der Tatsache zu bestehen, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen betrieblichen Positionen und Branchen arbeiten und unterschiedliche Tätigkeiten ausüben.

Gezielte Weiterbildung und neue Arbeitskultur

Weiterbildung in digitalen Technologien sei für alle Beschäftigten notwendig, unabhängig vom Geschlecht, schreibt die Forscherin. Allerdings dokumentiere die Forschung bei der Qualifizierung seit langem eine geschlechtsspezifische Schlagseite: Frauen erhalten seltener und kürzere Weiterbildungen als Männer, und diese erhöhten auch seltener die Chance auf Beförderung oder Lohnerhöhungen. Deshalb sei es wichtig, dass der Staat, etwa bei der Förderung von Qualifizierung, die Chancengleichheit in den Vordergrund stelle. Darüber hinaus empfiehlt Lott in Anlehnung an den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, digitale Kompetenzen bereits in der frühkindlichen Bildung und in Schulen stärker zu vermitteln, bevor geschlechtsspezifische Segmentierungen und Diskriminierungen entstehen. Dies würde auch Ausbildungen und Studiengänge im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für Frauen attraktiver machen. Eine geschlechtersensible Qualifizierungsstrategie gerade im Bereich der digitalen Technologien helfe nicht nur den betroffenen Frauen, sondern sei angesichts des demografischen Wandels auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll.

Darüber hinaus plädiert die WSI-Forscherin für eine neue Arbeitskultur: weg von sehr langen Arbeitstagen, zeitlicher Entgrenzung und der Stigmatisierung von Teilzeitarbeit, wie sie gerade in der IKT-Branche verbreitet sei. Solche Prägungen trügen dazu bei, dass qualifizierte Frauen auch in digitalen Unternehmen eher am Rand blieben. „Die Norm der idealen Arbeitskraft, die im Leben keine anderen Verpflichtungen außer der Erwerbsarbeit hat, muss durch eine neue Arbeitszeitnorm ersetzt werden, die den tatsächlichen diversen Lebensrealitäten der Beschäftigten Rechnung trägt“, erklärt Lott. Auch hier sei ein Fortschritt für weibliche Beschäftigte zwar besonders wichtig, weil sie durch die bestehenden Strukturen oft ausgebremst würden, sobald sie Kinder bekämen. Die positiven Effekte seien aber keineswegs auf Frauen beschränkt. Ansonsten bestehe generell die Gefahr, dass sich die Arbeitszeitanforderungen „ins Digitale verlagern und dort in einem digitalen Präsenzverhalten kulminieren, das keine räumlichen und zeitlichen Grenzen der Erwerbsarbeit mehr kennt“.

Yvonne Lott: Der Gender Digital Gap in Transformation? WSI-Report Nr. 81, Februar 2023

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