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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Flexicurity: Die Mischung macht's

Ausgabe 10/2007

Flexible Arbeitsmärkte und gleichzeitig soziale Sicherheit für die Beschäftigten - das Modell Flexicurity probt einen schwierigen Balanceakt.

Mit dem Grünbuch zum Arbeitsrecht will die Europäische Kommission ihren beschäftigungspolitischen Kurs in Richtung Flexicurity neu ausrichten. Bis zum Jahresende soll ein Konzept vorliegen. Flexicurity will betriebliche Forderungen nach Flexibilisierung und die Bedürfnisse der Beschäftigten nach sozialer Sicherheit austarieren - daher das Kunstwort aus "flexibility" und "security". Deutschland hat Nachholbedarf, sagt WSI-Arbeitsmarktexperte Hartmut Seifert: Der Trend geht in Richtung mehr Flexibilität und weniger Sicherheit - statt Balance eine starke Schlagseite. Dass es ausgewogener geht, zeigen die beschäftigungspolitisch erfolgreicheren Nachbarn Niederlande und Dänemark mit ganz unterschiedlichen Konzepten.

Die Dänen führten bereits in den 90er-Jahren grundlegende Prinzipien für Flexicurity ein. Zur Absicherung gegen Kündigungen gibt es nur wenige gesetzliche Bestimmungen - allerdings regeln für 60 bis 70 Prozent der Arbeitnehmer Tarifverträge den Kündigungsschutz. Die zwischenbetriebliche Mobilität - eine Form der externen Flexibilität - sei im europäischen Vergleich einmalig hoch, so der Leiter des WSI. Denn Arbeitsplatzwechsel seien relativ risikoarm, vor allem in einer boomenden Wirtschaft wie der dänischen: Ein recht komfortables Arbeitslosengeld und Förderprogramme lassen einen eventuellen Jobverlust weniger bedrohlich erscheinen.

Das niederländische Modell steht für einen gänzlich anderen Weg der Flexicurity. Ähnlich wie in Deutschland erleichtern Regeln die Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung und Leiharbeit. Das ermöglicht den Betrieben mehr Flexibilität. Aber: Diese Beschäftigungsformen sind dem Normalarbeitsverhältnis bei Arbeitsbedingungen und Einkommen gleichgestellt. Wer in Teilzeit arbeitet oder nicht zur Stammbelegschaft gehört, hat trotzdem Anspruch auf denselben Stundenlohn. Eine allgemeine Grundrente gewährt im Alter ein existenzsicherndes Einkommen, auch bei atypischer Beschäftigung. Das gibt den Arbeitnehmern Sicherheit.

Auch Deutschland hat die geringfügige Beschäftigung gefördert - doch damit "die Schieflage zwischen Flexibilität und sozialer Sicherheit verstärkt", sagt Seifert. "Solche Tätigkeiten bieten weder existenzsichernde Einkommen noch ausreichende Rentenansprüche." Stundenlöhne von befristet Beschäftigten, Leiharbeitern und Minijobbern liegen häufiger als bei Normalarbeit unter der Niedriglohnschwelle von zwei Dritteln des mittleren Arbeitsentgeltes.

Diese Formen der Flexibilität taugen auch nicht als Sprungbrett in ein Normalarbeitsverhältnis. Weder sozialversicherungspflichtige Teilzeit noch Minijobs ebnen den Übergang dahin. Lediglich bei befristet Beschäftigten ist der so genannte Klebeeffekt nennenswert hoch: 40 Prozent aller Zeitverträge werden in unbefristete umgewandelt.

Wer nicht zur Kernbelegschaft gehört, ist auch bei der betrieblichen Weiterbildung benachteiligt. Diese nimmt seit 1997 ab, was der Leiter des WSI "zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse" zurückführt. Inzwischen machen sie mehr als ein Drittel der Gesamtbeschäftigung aus. Hält der Trend an, verschärfe sich das Problem mangelnder Fortbildung: "Die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft ist bedroht, Produktivität und Wirtschaftswachstum werden gebremst." Aus kurzfristigen Flexibilitätsgewinnen würden langfristige Flexibilitätseinbußen.

Ein milderes Urteil fällt Seifert hinsichtlich Formen interner Flexibilität, die den Betrieben Spielraum bieten, je nach wirtschaftlicher Lage Arbeitskosten und Arbeitszeit anzupassen. Dazu gehören tarifliche Öffnungsklauseln, Bündnisse für Arbeit und Flexibilisierungen der Arbeitszeit. "Für die Beschäftigten hat diese relativ sanfte Form der Anpassungsflexibilität Vorteile, aber auch ihren Preis", so Seifert. Sie behalten ihren Job, müssen jedoch Abstriche bei Einkommen oder Freizeit hinnehmen. Die Gefahr: Immer niedrigere Löhne bei immer längeren Arbeitszeiten schaffen "working poor", also Beschäftigte, deren Einkommen trotz Vollzeitjob unter der Armutsschwelle liegt. Im September 2005 bezogen laut Bundesagentur für Arbeit etwa 900.000 Personen Arbeitslosengeld II zusätzlich zum Erwerbseinkommen; darunter 280.000 Beschäftigte mit einem Vollzeitjob.

Die starke Schlagseite ließe sich abschwächen, wenn Leiharbeit und Minijobs zurückgeschraubt sowie Mindestlöhne eingeführt würden, so Seifert. Das deutsche Arbeitsmarktmodell beruhe wesentlich auf dem Einsatz von Fachkräften, die nicht beliebig austauschbar sind. Um diese anpassungsfähiger zu machen, sei ein "System der beruflichen Weiterbildung mit generellen Ansprüchen überfällig".

  • Millionen arbeiten im Minijob. Zur Grafik
  • Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geht zurück. Zur Grafik

Hartmut Seifert: Was hat die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gebracht?, in: WSI-Mitteilungen 11/2006.

Berndt Keller, Hartmut Seifert: Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Flexibilität, soziale Sicherheit und Prekarität, in: dies. (Hrsg.): Atypische Beschäftigung - Flexibilisierung und soziale Risiken, edition sigma, Berlin 2007. mehr Infos zum Buch.

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