zurück
Faire Bezahlung muss verpflichtend sein Böckler Impuls

Digitalisierung: Faire Bezahlung muss verpflichtend sein

Ausgabe 08/2022

Das Entgelttransparenzgesetz scheitert an der praktischen Umsetzung. Für gerechte Bezahlung braucht es verbindlichere Regeln.

Frauen verdienen im Durchschnitt nach wie vor weniger als Männer. Das soll sich ändern. Doch die politischen Initiativen, die für Entgeltgleichheit sorgen sollen, bleiben oft halbherzig. Beispielhaft zeigt sich das beim Entgelttransparenzgesetz, das 2017 in Kraft getreten ist. Das Gesetz soll Transparenz bei Löhnen und Gehältern schaffen und betriebliche Prüfungen der Entgeltgleichheit ermöglichen. In der Praxis wird es häufig ignoriert. Und selbst dort, wo es angewendet wird, bringt das Gesetz wenig. Das zeigt eine Untersuchung von Andrea Jochmann-Döll, Christina ­Klenner und Alexandra Scheele. 

In ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie haben die Sozialwissenschaftlerinnen anhand von Fallbeispielen untersucht, wie Entgeltgleichheitsprüfungen in der Praxis ablaufen und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt. Sie haben Gewerkschaftsvertreterinnen und Expertinnen sowie in vier Betrieben Betriebsratsmitglieder und Beschäftigte befragt. Alle untersuchten Betriebe haben sich Entgeltgleichheit zum Ziel gesetzt. Sie stellen also keine repräsentative, sondern eine gezielte Auswahl besonders engagierter Betriebe dar. Umso ernüchternder fällt die Einschätzung der Forscherinnen aus: Keiner der untersuchten Betriebe habe die Entgeltgleichheit „im umfassenden Sinne und modellhaft geprüft“. Die Analyse bestätige, dass das Entgelttransparenzgesetz in der Praxis nur einen „geringen Stellenwert“ hat. Das sei auch nicht verwunderlich, da „die im ursprünglichen Entwurf vorgesehene verpflichtende betriebliche Entgeltgleichheitsprüfung im Gesetzgebungsverfahren in eine rein freiwillige Prüfung umgewandelt wurde“.

Oftmals scheitern Entgeltprüfungen am mangelnden Willen der Arbeitgeber. Doch wie die Untersuchung zeigt, fällt es auch Betriebsräten schwer, beim Thema am Ball zu bleiben. Obwohl die Betriebsratsmitglieder in allen vier Betrieben überzeugt gewesen seien, dass Entgeltgleichheit wichtig ist, waren im Untersuchungszeitraum kaum Erfolge festzustellen: Nur in einem Betrieb aus der Lebensmittelbranche seien letztlich konkrete Verbesserungen bei der Entgeltgleichheit erreicht worden. 

Die Fallbeispiele zeigten, wie schwierig es für Betriebsratsmitglieder in der täglichen Arbeit ist, ein komplexes Problem wie Entgeltungleichheit anzugehen, so die Forscherinnen. Die Befragten hätten betont, wie aufwändig die Beschaffung, Auswertung und Aufbereitung der Informationen ist. In einem Betrieb wurden dem Betriebsrat bestimmte Daten verwehrt, als er die vom Arbeitgeber durchgeführte Entgeltprüfung vertiefen wollte. Aber auch die Betriebsratsmitglieder wüssten teils nicht gut genug Bescheid, wie sich „gleichwertige Arbeit“ ermitteln lässt und wie ein Prüfverfahren ablaufen sollte. 

Hier konstatieren die Forscherinnen Nachholbedarf. Zumal Fragen der Arbeitsbewertung und geeignete Prüfverfahren umso wichtiger werden, je schneller sich im Zuge der Digitalisierung Anforderungen im kognitiven Bereich, im Bereich psychischer Belastungen und in Bezug auf die Verantwortung der Einzelnen verändern. Tätigkeitsbeschreibungen müssen in regelmäßigen Abständen angepasst werden. Nur wenn diese aktuell und geschlechtsneutral formuliert sind, könnten sie als Grundlage für eine diskriminierungsfreie Entlohnung dienen, schreiben die Wissenschaftlerinnen. Das gelte für betriebliche Eingruppierungsrichtlinien und für Tarifverträge gleichermaßen. Voraussetzung sei, dass überhaupt Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile vorhanden sind. Wo dies nicht der Fall ist, müsse es nachgeholt werden.

Auch aufseiten des Gesetzgebers sehen die Forscherinnen Handlungsbedarf. Spätestens wenn die geplante EU-Entgeltgleichheitsrichtlinie umgesetzt wird, müsse das bestehende Gesetz reformiert oder durch ein effektives Entgeltgleichheitsgesetz ersetzt werden. Betriebliche Prüfungen sollten dann verbindlich sein, auch für Betriebe mit weniger als 500 Beschäftigten. Außerdem brauche es bindende Vorgaben dafür, wie betriebliche Prüfverfahren auszusehen haben.

Andrea Jochmann-Döll, Christina Klenner, Alexandra Scheele: Entgeltgleichheit im digitalen Wandel? Eine explorative Studie zu betrieblichen Prüfungen der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 244, März 2022

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen