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HBS Böckler Impuls

Unternehmensmitbestimmung: Ex-Vorstände übernehmen Kontrolle im Aufsichtsrat (Korrigierte Version)

Ausgabe 03/2005

Mit dem direkten Wechsel von Siemens-Chef Heinrich v. Pierer auf den Chefposten im Siemens-Aufsichtsrat haben nun 17 der 30 DAX-Unternehmen ihren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden als Oberkontrolleur - gegen die Grundsätze einer guten Unternehmensführung.

Deutschlands Großbanken ziehen sich zunehmend aus der Industrie zurück - und damit auch aus deren Aufsichtsräten. Auf den leeren Sitzen der bisherigen Anteilseigner nehmen im gleichen Zuge immer mehr ehemalige Vorstandsmitglieder der Unternehmen Platz. Eine Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung in 142 mitbestimmten börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften zeigt: Der Anteil der Unternehmen mit Ex-Vorständen im Aufsichtsrat ist seit 2001 um etwa die Hälfte gestiegen.

2004 besetzten Ex-Vorstandsmitglieder desselben Unternehmens Posten in mehr als einem Drittel aller Aufsichtsräte (35,9 Prozent). 2001 waren es noch 23,1 Prozent. "Offenbar werden immer häufiger Personen in das Kontrollgremium geholt, die wegen ihrer früheren Tätigkeit im Unternehmen in einem eindeutigen Interessenkonflikt stehen", sagt dazu Dr. Roland Köstler, Experte für Wirtschaftsrecht bei der Hans-Böckler-Stiftung. Und das "trotz der berechtigten Kritik der Corporate-Governance-Kommission".

Erst Akteur, dann Kontrolleur

Oft findet der Rollenwechsel gleich auf höchster Ebene statt: Ex-Vorstandschefs werden Vorsitzende des Aufsichtsrats. Die Böckler-Studie weist aus, dass 2004 bereits jeder fünfte (19,7 Prozent) der obersten Kontrolleure vorher selbst das Unternehmen geleitet hatte, 2001 noch nicht mal jeder zehnte (8,2 Prozent). "Eine solche Erbfolge-Regelung verhindert geradezu eine kritische Überprüfung der Unternehmens-Aktivitäten. Welcher Aufsichtsratsvorsitzende lässt sich gern bescheinigen, dass sich seine einstigen Entscheidungen wenige Jahre später als Fehler herausstellen?", kommentiert Köstler.

Kritik an dem neuen Trend kommt nicht nur von der Corporate-Governance-Kommission. Das Gremium unter Leitung von ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme hat 2002 im Auftrag der Bundesregierung den Kodex für gute Unternehmensführung ("Deutscher Corporate-Governance-Kodex") vorgelegt. Sein erklärtes Ziel: "Das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften fördern". So heißt es in der Präambel.

Externe Experten bleiben außen vor

Auch Martin Höpner, Wissenschaftler am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, weist auf das Problem hin: Im Zuge der Hinwendung zum Investmentbanking ziehen sich die deutschen Großbanken aus den Aufsichtsräten von Industrieunternehmen zurück. Dabei würden "die frei gewordenen Vorsitze nicht etwa von externen Experten übernommen (...), sondern von ehemaligen Vorstandsmitgliedern der Unternehmen, die eigentlich überwacht werden sollen". Unter Experten gelte es als Konsens, dass dies das Gegenteil von unabhängiger Kontrolle sei.

Auf EU-Ebene wird derzeit unter anderem unter dem Stichwort "Unabhängigkeit" eine fünfjährige Karenzzeit für den Übergang sämtlicher Vorstände in das Kontrollgremium desselben Unternehmens empfohlen. In Deutschland hat sich die Cromme-Kommission nun damit zu befassen. Bislang heißt es im Corporate-Governance-Kodex lediglich: "Eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat wird auch dadurch ermöglicht, dass dem Aufsichtsrat nicht mehr als zwei ehemalige Mitglieder des Vorstands angehören sollen (…)."

Ex-Manager gefährden wirksame Aufsicht

Besonders kritisch stellt sich die Situation bei Unternehmen dar, in denen mehr als ein ehemaliges Vorstandsmitglied im Aufsichtsrat sitzt. Die Zahl solcher Aktiengesellschaften ist in den vergangenen vier Jahren von 3,0 auf 8,5 Prozent überproportional stark angestiegen, ergab die Böckler-Studie. "Ausgesprochen alarmierend", beurteilt Köstler diese Entwicklung. Damit werde der eigentliche Auftrag des Aufsichtsrats, die Entscheidungen jetziger und früherer Unternehmensführer wirksam zu kontrollieren, nahezu unmöglich gemacht.

  • Mit dem direkten Wechsel von Siemens-Chef Heinrich v. Pierer auf den Chefposten im Siemens-Aufsichtsrat haben nun 17 der 30 DAX-Unternehmen ihren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden als Oberkontrolleur – gegen die Grundsätze einer guten Unternehmensführung. Zur Grafik

Reiner Rang: Untersuchung der Zusammensetzung von Aufsichtsräten mitbestimmter und börsennotierter Unternehmen. Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, 2004. PDF-Download

Martin Höpner: Unternehmensmitbestimmung unter Beschuss. Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, 2004. PDF-Download

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