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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Europa-AG bietet auch Chancen

Ausgabe 03/2014

Die Europäische Aktiengesellschaft SE hat Vor- und Nachteile: Einerseits trägt sie die deutsche Unternehmensmitbestimmung ins europäische Ausland. Andererseits eröffnet diese Rechtsform einigen Unternehmen einen Weg, die Mitbestimmung zu umgehen.

Über 2.000 Unternehmen firmieren heute als Societas Europaea, abgekürzt SE. Viele davon existieren jedoch praktisch nur auf dem Papier, nur 284 in der gesamten EU haben mehr als fünf Beschäftigte. Allerdings sind das 50 mehr als im vergangenen Jahr, betont Lasse Pütz, Mitbestimmungsexperte der Hans-Böckler-Stiftung. In Deutschland sind nun 135 „normale“ Europäische Aktiengesellschaften im Geschäft, also operativ tätige Unternehmen mit wenigstens fünf Arbeitnehmern.

Der Jurist verfolgt das Gründungsgeschehen vor allem mit Blick auf die Mitbestimmung. Was geschieht mit den Mitspracherechten der Arbeitnehmer, wenn Unternehmen die Rechtsform wechseln? Im Allgemeinen gilt: Aus einer mitbestimmten AG oder GmbH wird auch eine mitbestimmte SE. Über die Unternehmensmitbestimmung wird bei einem Rechtsformwechsel zwar neu verhandelt. Falls keine Einigung zustande kommt, gelten jedoch grundsätzlich die alten Sitzverhältnisse im Aufsichtsrat weiter. Problematisch wird es, wenn Unternehmen kurz vor Erreichen der Schwellenwerte von 500 Mitarbeitern für die Drittelbeteiligung oder 2.000 Beschäftigten für die 1976er-Mitbestimmung zur SE werden. Dann haben Arbeitnehmer bei einem weiteren Wachstum ihres Unternehmens keinen Anspruch auf die Plätze im Aufsichtsrat, die ihnen bei AG oder GmbH zustünden. Hier sieht der Experte eine Regelungslücke: Erhebliche Beschäftigungsanstiege sollten nach seiner Auffassung künftig als strukturelle Änderungen angesehen werden – und damit zwingend zu neuen Verhandlungen führen.

Gleichwohl könne insgesamt nicht von einem Trend zur Mitbestimmungsflucht mittels SE gesprochen werden, urteilt Pütz mit Blick auf die neuesten Daten. Außerdem hätte die in Deutschland seit Ende 2004 zugelassene Europäische Aktiengesellschaft auch positive Seiten: Durch die 41 deutschen SE mit Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat werde das hiesige Mitbestimmungsmodell „über die deutschen Grenzen hinaus verbreitet“. So kommen, erläutert der Experte, Arbeitnehmer aus Ländern ohne unternehmerische Mitbestimmung in Aufsichtsräte. Und durch die seit 2007 bestehende Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung sind inzwischen in Aufsichts- oder Verwaltungsräten dreier ausländischer Unternehmen deutsche Arbeitnehmer. „Zusammen mit rund 1.000 aktiven Europäischen Betriebsräten macht dies in Europa die transnationale Beteiligung von Arbeitnehmern am Geschehen in ihrem Unternehmen möglich.“

  • Die meisten SE-Gründungungen haben keine Auswirkungen auf bestehende Mitbestimmungstrukturen. Zur Grafik

Lasse Pütz ist Experte für Corporate Governance und Unternehmensmitbestimmung in der Hans-Böckler-Stiftung

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