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HBS Böckler Impuls

Arbeitsrecht: Entlassungen: Namenslisten untergraben Kündigungsschutz

Ausgabe 17/2008

Sollen mehrere Arbeitnehmer wegen einer Umstrukturierung oder einer Betriebsverlagerung entlassen werden, können sich Arbeitgeber und Betriebsrat darüber verständigen, welchen Beschäftigten gekündigt wird. Betriebsräte stecken damit häufig in der Zwickmühle.

Wenn ein Betrieb stillgelegt, verkleinert, aufgeteilt oder mit einem anderen zusammengeschlossen wird, stehen oftmals Entlassungen an. Bei einer solchen Betriebsänderung können sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf eine so genannte Namensliste einigen. Wer auf dieser Liste steht, dessen Kündigungsschutz ist eingeschränkt: Die Arbeitsgerichte überprüfen die Rechtmäßigkeit der Kündigung dann nicht mehr vollständig. Denn sie gehen davon aus, dass der Betriebsrat diese in wesentlichen Zügen bereits geprüft hat. Eine Kündigungsschutzklage hat damit weitaus geringere Aussichten auf Erfolg.

Wie die Regelung in der Praxis wirkt, hat das WSI in seiner Betriebsrätebefragung 2007 untersucht. Arbeitnehmervertreter, in deren Betrieben in den vergangenen zehn Jahren eine oder mehrere Namenslisten aufgestellt wurden, gaben Auskunft über ihre Erfahrungen. Die Ergebnisse wecken Zweifel an diesem Verfahren, schreiben die Arbeitsrechtlerinnen Stefanie Kremer und Nadine Zeibig vom WSI.

Häufige Tauschgeschäfte: Viele Arbeitgeber kommen Betriebsräten in den Verhandlungen um Kündigungen in anderen Punkten entgegen, wenn diese der Namensliste zustimmen. "Anders ausgedrückt: Der Betriebsrat wird erpressbar", so die Expertinnen. So hat der Arbeitgeber in 62 Prozent der Fälle als Gegenleistung die Sozialplanabfindungen erhöht, in 19 Prozent eine Beschäftigungsgesellschaft eingerichtet und in 64 Prozent Beschäftigungssicherungen für die verbleibende Belegschaft zugestimmt.

82 Prozent der Betriebsräte aus Betrieben mit Namenslisten berichteten, der Arbeitgeber habe eine oder mehrere dieser Gegenleistungen in Aussicht gestellt. "Solche Angebote können den Betriebsrat in eine Situation bringen, in der er sich möglicherweise auch mit rechtlich fragwürdigen Kündigungen einverstanden erklärt", warnen Kremer und Zeibig. Zwar solle die Arbeitnehmervertretung eigentlich jeden einzelnen Beschäftigten schützen. In der Praxis vertrete sie jedoch häufig die Interessen der Mehrheit der Belegschaft.

Unsicherheit: 15 Prozent der Befragten war zudem nicht bekannt, dass eine Namensliste den Kündigungsschutz einschränkt. Trotzdem stimmten sie dieser zu. 7 Prozent konnten auf die Auswahl der zu kündigenden Beschäftigten keinen Einfluss nehmen. Auch ihnen war es also nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der Kündigungen sicherzustellen. Für 12 Prozent der Arbeitnehmervertreter stand der Betriebsfrieden im Vordergrund. Sie widersprachen der Namensliste nicht, um das Verhältnis zum Arbeitgeber nicht zu belasten.

Die WSI-Befragung zeigt außerdem: 24 Prozent der Betriebsräte, die weitere Motive angaben, wollten mit ihrer Zustimmung zur Namensliste andere Arbeitsplätze sichern, unter Umständen sogar eine drohende Betriebsschließung verhindern. 9 Prozent wollten zu einer größeren Leistungsfähigkeit ihres Betriebes beitragen.

Betriebsrat als Richter? Die Autorinnen äußern grundsätzliche Zweifel daran, dass der Betriebsrat anstelle eines Arbeitsgerichts wesentliche Aspekte der Rechtmäßigkeit von Kündigungen prüfen sollte. Es sei fraglich, ob ein Arbeitnehmervertreter bei diesem Thema eine solche gerichtliche Ersatzfunktion wahrnehmen kann. Denn er sei dem Betrieb stark verbunden, sodass er kaum eine ähnlich neutrale Position einnehmen könne wie ein Gericht.

Keine Beschäftigungswirkung. Namenslisten bei Kündigungen sollen "mehr Transparenz und Rechtssicherheit" und damit zusätzliche Beschäftigung bringen, so der Gesetzgeber. Denn das Kündigungsschutzrecht führe zu hohen Gerichtskosten, diese zu hohen Beschäftigungskosten und einer psychologischen Barriere für Neueinstellungen. "Diese behaupteten Wirkungen des Kündigungsschutzes sind allerdings durch zahlreiche empirische Studien widerlegt", so die Expertinnen. Damit könne auch mit der Namensliste keine positive Beschäftigungswirkung erreicht werden. "Die Regelung sollte daher aufgehoben werden."

  • Viele Arbeitgeber kommen in den Verhandlungen um Kündigungen Betriebsräten in anderen Punkten entgegen, wenn diese der Namensliste zustimmen. So hat der Arbeitgeber in 62 Prozent der Fälle als Gegenleistung die Sozialplanabfindungen erhöht, in 19 Prozent eine Beschäftigungsgesellschaft eingerichtet und in 64 Prozent Beschäftigungssicherungen für die verbleibende Belegschaft zugestimmt. Zur Grafik

Stefanie Kremer, Nadine Zeibig: Namenslisten bei Entlassungen - Ambivalentes Mittel für Betriebsräte, in: WSI-Mitteilungen 6/2008

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