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Engpass Kinderbetreuung Böckler Impuls

Arbeitswelt: Engpass Kinderbetreuung

Ausgabe 12/2023

Personalmangel in Betreuungseinrichtungen verschärft den Fachkräftemangel auch in anderen Betrieben – wenn Eltern weniger arbeiten können.

Zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr fehlen nicht nur zahlreiche Betreuungsplätze. Auch ein großer Anteil der erwerbstätigen oder arbeitsuchenden Eltern, die offiziell für ihr Kind einen Platz in der Kita oder bei Tageseltern haben, können nicht auf eine zuverlässige Betreuung vertrauen: Gut 57 Prozent von ihnen waren in diesem Frühjahr mit Kürzungen der Betreuungszeiten oder sogar zeitweiligen Schließungen der Einrichtung aufgrund von Personalmangel konfrontiert. Das ist ein Ergebnis der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung, für die im Juli insgesamt mehr als 5000 erwerbstätige und arbeitsuchende Personen online befragt wurden. „Die Zahl ist ein Alarmsignal: Die frühe Bildung in Deutschland steht auf wackligen Füßen. Sie wurde zwar in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark ausgebaut. Aber unzureichende finanzielle Ausstattung und der damit zusammenhängende Fachkräftemangel in Erziehungsberufen machen sie unzuverlässig“, sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. Sie hat die Befragung zusammen mit den WSI-Forschern Andreas Hövermann und Helge Emmler ausgewertet.

Von den 469 befragten Eltern, deren Kinder eine Kita oder eine Tagesmutter oder einen Tagesvater besuchen, gaben 38 Prozent an, dass die Betreuung in den drei Monaten vor der Befragung zeitweise wegen Personalmangels komplett ausgefallen ist. Bei 47 Prozent kam es aus diesem Grund zu Verkürzungen der vereinbarten Betreuungszeiten. Da ein Teil der Eltern sowohl mit Kürzungen als auch mit Schließungen zurechtkommen musste, summiert sich die Quote der Betroffenen insgesamt auf gut 57 Prozent.

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Viele Eltern stellt das vor große Probleme im Alltag: 67 Prozent der betroffenen Befragten sagen, dass sie die Ausfälle bei der Kinderbetreuung als belastend empfinden. 30 Prozent bewerten die Situation sogar als „sehr belastend“. Knapp die Hälfte der betroffenen Mütter und Väter hat während der Schließung oder Kürzung der Betreuungszeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut, um die Betreuungslücke auszugleichen. Knapp 30 Prozent mussten zeitweilig ihre Arbeitszeit reduzieren.

Arbeitsbedingungen in Erziehungsberufen verbessern

Um den Engpass zu überbrücken, wurden häufig auch Partnerinnen, Partner, Verwandte oder Bekannte eingebunden. Innerhalb von Partnerschaften zeigt sich dabei ein charakteristischer geschlechtsspezifischer Unterschied: Während 63 Prozent der befragten Väter in heterosexuellen Beziehungen angaben, dass ihre Partnerin bei der Kinderbetreuung eingesprungen sei, berichteten das nur 33 Prozent der Mütter über ihren Partner. 

„Die Befragungsdaten zeigen, wie dringend die Arbeitsbedingungen in Erziehungsberufen verbessert werden müssen“, so WSI-Direktorin Kohlrausch. „Denn es droht eine sich selbst verstärkende Spirale nach unten: Es gibt generell zu wenige Stellen an Kitas, weil die Betreuungsschlüssel zu schlecht sind und zu wenig ausgebildet wird. In dieser Situation steigen dann Erzieherinnen und Erzieher aus. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass das häufig Menschen sind, die den Beruf lieben, aber die konkreten Zustände, den Stress bei mäßiger Bezahlung, auf die Dauer nicht aushalten. Der Fachkräftemangel in der frühen Bildung verschärft dann wiederum den Arbeitskräftemangel in anderen Branchen: Eltern, vor allem Mütter, die nicht auf eine stabile Kinderbetreuung vertrauen können, müssen ihre Erwerbstätigkeit einschränken, anstatt sie auszubauen.“

Es gebe keine schnelle Patentlösung für das Problem, das sich über Jahre aufgebaut hat, sagt die Soziologin. „Trotzdem kann und muss die Politik etwas tun, und zwar rasch.“ Ein Ansatz wäre eine Ausbildungsoffensive für Erziehungsberufe, verbunden mit einer deutlichen Verbesserung der Personalschlüssel. Ein zweiter sei die Bezahlung. Trotz einiger Verbesserungen sei da „noch Luft nach oben“. Und mehr Geld könnte abgewanderte Fachkräfte dazu bewegen, wieder in den Bereich der frühen Bildung zurückzukehren.

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