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HBS Böckler Impuls

Privatisierung: Eisenbahner unter Druck

Ausgabe 15/2008

Die Arbeitsbelastung bei der Deutschen Bahn ist nach jahrelangem Stellenabbau stark gewachsen. Häufige Umstrukturierungen und die Sorge um den Arbeitsplatz verunsichern die Beschäftigten. Trotzdem identifizieren sich viele weiter stark mit dem Unternehmen.

Der Umbauprozess bei der Deutschen Bahn läuft seit anderthalb Jahrzehnten - wie hat er sich auf die Arbeitnehmer ausgewirkt? Um das zu erforschen, interviewten Hildegard Maria Nickel, Soziologieprofessorin an der Humboldt-Universität Berlin und ihre Co-Forscher Hasko Hüning und Michael Frey Führungskräfte und weitere Beschäftigte sowie Betriebsräte der Bahn. Die Studie zeigt: Der Konzern befindet sich in einer Phase, in der weitere Produktivitätssteigerungen nicht mehr durch Personalabbau erreicht werden können, sondern nur durch eine konsequente Personalentwicklung. In der Praxis funktioniere das aber längst nicht immer, resümieren die Forscher. Die Leitbilder von Kunden- und Gewinnorientierung erwiesen sich teilweise als widersprüchlich. Das zeigten Aussagen wie die einer Personalführungskraft: Einerseits werde gesagt, man müsse sich intensiv um die Kunden kümmern, auch wenn dazu viel Personal nötig sei. Dann heiße es plötzlich "Jetzt müssen wir aber abbauen."

Der bislang staatliche Konzern ist für die Wissenschaftler aus zwei Gründen besonders interessant: Einerseits vollzögen sich gleichsam im Zeitraffer Trends der "Vermarktlichung" von Arbeit. Andererseits sehen sie Spielräume für eine Regulierung dieser Entwicklung. Diese würden begünstigt durch eine starke gewerkschaftliche Interessenvertretung ebenso wie durch eine auch bei Führungskräften immer noch beobachtbare Sozialorientierung.

Zwischen 1993 und 2007 sank die Zahl der Bahn-Beschäftigten massiv. Auf Druck der Gewerkschaften richtete der Konzern ein Vermittlungsunternehmen (DB Jobservice) ein, in dem Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren, weiter beschäftigt und in andere Bereiche des Konzerns vermittelt werden. Im Jahre 2001 wurde außerdem ein Leiharbeitsunternehmen (DB Zeitarbeit GmbH) gegründet. Über diese Beschäftigungsvereinbarungen hinaus wurden Abfindungsprogramme, Vorruhestand und Altersteilzeit genutzt und einzelne Unternehmensteile ausgegliedert. Für die verbliebenen Mitarbeiter bedeutete der Stellenabbau eine "enorme Arbeitsverdichtung", so die Wissenschaftler, die oft "zu Lasten des Qualitätsanspruches der Beschäftigten an ihre eigene 'gute' Arbeit" gehe.

Den Beschäftigten attestieren die Wissenschaftler "eine außerordentlich hohe Identifikation" mit dem Unternehmen. Zugleich sorgten aber Stellenabbau, häufige Strukturveränderungen, interne Versetzungen und Lohneinbußen für starke Verunsicherung. Diese Unsicherheit relativiere sich nur wenig durch das Wissen um das 'Beschäftigungsbündnis'". Die Möglichkeit eines großen Unternehmens, Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz wegfällt, mit einer anderen Tätigkeit weiterzubeschäftigen, wird somit ambivalent wahrgenommen.

Frauen und Männer: Immer mehr Bahn-Beschäftigte haben flexible Arbeitszeiten,  beobachten die Forscher. Das löst gemischte Gefühle aus: Größere Freiräume werden begrüßt, doch insbesondere weibliche Befragte haben Schwierigkeiten, Berufstätigkeit und Familienarbeit unter einen Hut zu bringen.
Insgesamt sind nach der Untersuchung rund 20 Prozent der Bahn-Beschäftigten Frauen. Der Frauenanteil unter den Führungskräften liege noch deutlich niedriger. In seiner "Geschlechterpolitik" orientiere sich der Verkehrskonzern am Trend in großen Dienstleistungsunternehmen: Im Vordergrund steht die Anforderung, dass ein intelligentes "Personalressourcenmanagement" im Unternehmensinteresse die Potenziale von Frauen fördert. Daraus, dass im Personalbereich der Bahn vergleichsweise viele Frauen verantwortliche Positionen haben, leiten die Wissenschaftler aber auch Chancen für eine gerechtigkeitsorientierte Geschlechterpolitik ab. Weibliche Führungskräfte sähen die "gegenwärtig herrschende männlich orientierte Arbeitszeitkultur im Unternehmen" kritisch.

Führungskräfte: Die Führungskräfte und insbesondere die Personalverantwortlichen wissen, dass Unsicherheit die Beschäftigten hemmt. Allerdings sehen sie ihre Möglichkeiten, das zu ändern, oft als begrenzt an. Die starke Marktorientierung sei zwar mit einer Aufwertung der Personalarbeit verbunden: Sie soll "als aktiver und gleichwertiger Beitrag zum wirtschaftlichen Unternehmenserfolg verstanden werden." Die dafür erforderliche Beteiligung an strategischen Entscheidungsprozessen bleibe den Führungskräften aber zum Teil versagt.

Betriebsräte: Die befragten Betriebsräte sind mit der hohen Arbeitsbelastung und Verunsicherung der Belegschaft täglich konfrontiert. Die Vertretung und Betreuung sei "intensiver geworden, weil immer mehr Leute Probleme damit haben", sagt ein Arbeitnehmervertreter. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen stünden die Arbeitnehmervertreter dem angestrebten Börsengang der DB AG "deutlich kritisch" gegenüber, schreiben die Forscher.  

  • Bahn auf Börsenkurs: Seit 1993 ist der Beschäftigtenstamm der Deutschen Bahn massiv geschrumpft – von 374 .000 auf 231.000 Personen. Zur Grafik

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