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Doppelpass der Mitbestimmung Böckler Impuls

Aufsichtsrat und Betriebsrat: Doppelpass der Mitbestimmung

Ausgabe 13/2023

Unternehmen mit mitbestimmtem Aufsichtsrat informieren ihre Betriebsräte besser und treten seltener aus der Tarifbindung aus.

Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat mitbestimmen, profitiert davon auch die betriebliche Mitbestimmung. „Die Unternehmensmitbestimmung hat eine stabilisierende Funktion, die eine Versachlichung der Arbeitsbeziehungen unterstützt und die tarifliche Ebene stärkt“, schreibt Martin Behrens vom WSI. Der Wissenschaftler hat das Verhältnis von Mitbestimmung durch Betriebsräte und Unternehmensmitbestimmung anhand von Daten der WSI-Betriebsrätebefragung 2018 untersucht. Das Ergebnis: Unternehmen mit einem mitbestimmten Aufsichtsrat scheren seltener aus der Tarifbindung aus, führen häufiger Gefährdungsbeurteilungen durch und informieren ihre Betriebsräte besser.

Die Aufgaben scheinen klar verteilt zu sein: Auf überbetrieblicher Ebene handeln Gewerkschaften und Arbeitgeber zentrale Standards wie Einkommen und Arbeitszeiten aus. Auf der betrieblichen Ebene regeln Betriebsrat und Geschäftsleitung die Anwendung von Tarifverträgen und die betrieblichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Weitgehend unbeantwortet blieb bislang aber die Frage, wo in diesem System die Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu verorten ist. Behrens weist in seiner Untersuchung nach, dass Arbeitnehmervertreter und -vertreterinnen im Aufsichtsrat nicht in Konkurrenz zu Betriebsräten oder Gewerkschaften stehen, sondern deren Einfluss stärken. 

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Insgesamt zeigt sich eine hohe inhaltliche Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen. Mit dem mitbestimmten Aufsichtsrat gibt es eine zusätzliche Vertretungsebene, die schon von Amts wegen einen besonderen Fokus auf die Durchsetzung von Beschäftigtenrechten legt. Das Gremium überwacht die Einhaltung einschlägiger Gesetze und Vorschriften zu Themen wie Kartellrecht, Datenschutz, aber auch Arbeitssicherheit und Arbeitsrecht.

Neben den gemeinsamen Interessen sind auch die personellen Überschneidungen groß: Laut der I.M.U.-Aufsichtsratsbefragung 2019, bei der die Förderinnen und Förderer der Hans-Böckler-Stiftung befragt wurden, waren 87 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder auf der Arbeitnehmerbank lokale Betriebsratsmitglieder. Knapp 70 Prozent waren gleichzeitig Mitglied im Gesamt- oder Konzernbetriebsrat sowie knapp 22 Prozent im Europäischen Betriebsrat und rund 54 Prozent im Wirtschaftsausschuss. Kein weiteres betriebliches Mandat hatten lediglich 14 Prozent der befragten Aufsichtsratsmitglieder.

Zum einen könne die Präsenz von Betriebsräten die Qualität der im Aufsichtsrat getroffenen Entscheidungen verbessern und die spätere Umsetzung erleichtern, schreibt Behrens. Zum anderen könne die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat die Verhandlungsposition des Betriebsrats stärken. Einige Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigtenseite würden sogar eine dynamische Verbindung der beiden Verhandlungsebenen zum Programm erheben, indem sie quasi „Doppelpass“ zwischen betrieblicher Ebene und Aufsichtsrat spielen. Es gebe aber auch diejenigen, die es ablehnen, als „verlängerte Werkbank“ des Betriebsrats zu fungieren. Die von einigen Expertinnen und Experten geäußerte Vermutung, dass die enge Verzahnung von Betriebsrat und Aufsichtsrat zu „betrieblichen Egoismen“ führt, lasse sich anhand der Daten nicht bestätigen, so der Wissenschaftler. 

Wie die WSI-Betriebsrätebefragung zeigt, bringen Betriebsratsmitglieder in Doppelfunktion deutliche Vorteile für die Beschäftigten: Sind im Aufsichtsrat Beschäftigte vertreten, die auch Mitglieder des örtlichen Betriebsrats sind, kommt es nur in 6 Prozent der Fälle zu einer Auflösung der Tarifbindung. In Betrieben ohne jegliche Mitbestimmung im Aufsichtsrat sind es 20 Prozent. Gefährdungsbeurteilungen, die dem Arbeitsschutz dienen, gibt es in fast 95 Prozent der Betriebe mit einem mitbestimmten Aufsichtsrat, in dem auch Betriebsräte vertreten sind. Von den Betrieben ohne Unternehmensmitbestimmung führen nach Angaben der befragten Betriebsräte lediglich rund 82 Prozent eine solche Beurteilung durch. Dass den Betriebsräten notwendige Informationen vorenthalten werden, berichten die Befragten in rund 13 Prozent der Betriebe mit einem Aufsichtsrat, in dem auch Betriebsräte mitbestimmen. In Betrieben ohne Mitbestimmung sind es 20 Prozent.

Zudem kann ein mitbestimmter Aufsichtsrat davor schützen, dass sich Arbeitgeber der betrieblichen Mitbestimmung entziehen. Eine verbreitete Strategie der Arbeitgeberseite besteht darin, relevante Entscheidungen auf eine übergeordnete Ebene zu verlagern, zum Beispiel bei internationalen Unternehmen auf die Ebene der ausländischen Muttergesellschaft. Damit verliert der Betriebsrat seinen Ansprechpartner vor Ort. In solchen Fällen könne die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat eine Brücke schlagen und die Umgehung der betrieblichen Mitbestimmung abwenden, so Behrens.

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