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Bundesadler Magazin Mitbestimmung

Wahlprogramme: Darf‘s etwas mehr sein?

Ausgabe 04/2021

Wir analysieren die Pläne aller im Bundestag vertretenen Parteien für die Mitbestimmung in Aufsichts- und Betriebsräten. Von Kay Meiners und Andreas Molitor – Illustrationen Anna Diechtirow

  • Armin Laschet

Aus dem Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wurde ein konstruktives Miteinander. Ohne Mitbestimmung wäre der Strukturwandel nicht in dieser sozialverträglichen Form zu gestalten gewesen.“

Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU/CSU

CDU/CSU: Weiter so!

Es war ein Novum in der Geschichte der an Konflikten durchaus nicht armen Beziehung zwischen Christdemokraten und Gewerkschaften: Kürzlich verfassten CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann für das Handelsblatt gemeinsam ein Loblied auf 70 Jahre Montanmitbestimmung und das „kon­struktive Miteinander von Arbeit und Kapital“.

Die Aussagen zur Mitbestimmung im Wahlprogramm tragen deutlich die Handschrift der Unions-Sozialpolitiker, die im Frühjahr auch verhinderten, dass der CDU-Wirtschaftsflügel den Entwurf des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil allzu sehr verwässerte. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen „auf eine verlässliche Mitbestimmung setzen können“ und „möglichst viele Beschäftigte durch Betriebs- und Personalräte vertreten werden“, so das Programm. Außerdem werde eine unionsgeführte Regierung auch „in einer digitalen Arbeitswelt unsere Mitbestimmungskultur erhalten und Mitbestimmungsrechte sichern“.

Wie das geschehen soll, verrät das Programm allerdings nicht. Genauso wenig finden sich konkrete Vorschläge zur Eindämmung der immer mehr grassierenden Mitbestimmungsvermeidung und -aushöhlung durch die Gründung von Stiftungskonstruktionen oder Kapitalgesellschaften europäischen Rechts. Die Union scheint zufrieden, wenn alles so bleibt, wie es ist, sagt aber nicht, wie das gelingen soll.

Auch der Kanzlerkandidat selbst bleibt vage. „Die Unternehmer können dankbar dafür sein, dass es die Mitbestimmung gibt“, verkündet Armin Laschet auf Gewerkschaftskonferenzen. In dem gemeinsam mit DGB-Chef Hoffmann verfassten Zeitungsbeitrag erklärt er, „dass wir dringend eine Debatte darüber benötigen, wie wir das Potenzial der Unternehmensmitbestimmung für die anstehende Transformation unserer Wirtschaft nutzen können“. Er selbst hat sich an der Debatte bislang aber nicht beteiligt.

  • Olaf Scholz

Die Mitbestimmung ist kein Auslaufmodell, sondern etwas, das für die Zukunft unseres Landes von allergrößter Bedeutung ist und gestärkt werden muss.“

Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD

SPD: Ernste Absichten

Die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten Olaf Scholz legen in ihrem Wahlprogramm ein klares Bekenntnis zu mehr Teilhabe der Arbeitnehmerschaft ab: „Der Erfolg der Unternehmen wird von ihren Beschäftigten erarbeitet“ heißt es. „Deshalb verbessern wir deren Mitbestimmung.“

Für die Aufsichtsräte bedeutet das: Die Schwellenwerte der Unternehmensgrößen sollen abgesenkt, der Geltungsbereich der Mitbestimmung erweitert werden. Stiftungen sollen in den Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes und des Drittelbeteiligungsgesetzes aufgenommen werden. Mitbestimmungsignorierer sollen konsequent sanktioniert werden.

Die Mitbestimmung würde zudem auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform ausgeweitet. Daneben setzt sich die Partei für eine EU-Richtlinie zu Mindeststandards für die Arbeitnehmermitbestimmung in den Aufsichts- und Verwaltungsräten aller nach europäischem Gesellschaftsrecht organisierten Unternehmen ein.

Zudem soll die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat mehr Einfluss bekommen: „Entscheidungen zur Verlagerung oder Schließungen von Betriebsstandorten sollen nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg getroffen werden. Darum stärken wir durch eine echte Parität in den Aufsichtsräten den Einfluss der Arbeitnehmer.“ Wie bei der Montanmitbestimmung soll nach den Vorstellungen der SPD im Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes die Position des Personalvorstands nicht gegen den Willen der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat bestellt werden. Die Sozialdemokraten wollen auch die Betriebsräte stärken – durch Mitbestimmungsrechte bei der Beschäftigungssicherung und Betriebsschließungen oder Verlagerungen, beim Einsatz von Leiharbeit und bei Werkverträgen, beim Einsatz neuer Technik wie der künstlichen Intelligenz, bei der Personalplanung und bei der betrieblichen Weiterbildung. Der Kündigungsschutz für Betriebsräte soll ausgeweitet, Union Busting mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften bekämpft werden. Auch die Europäischen Betriebsräte will die SPD stärken.

Die Gewerkschaften sollen ein digitales Zugangsrecht zum „virtuellen“ Betrieb erhalten. Die SPD will, dass der Arbeitnehmerstatus einfacher geklärt werden kann, und plant, ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften einzuführen. Dass die Sozialdemokraten es ernst meinen, zeigen Initiativen der Vergangenheit für die Frauen­quote im Aufsichtsrat oder die Jastimmen für das Betriebsrätemodernisierungsgesetz.

  • Susanne Henning-Wellsow

Am besten machen wir den sozialökologischen Transformationsprozess zusammen. Das bedeutet: die Rechte der Beschäftigten aus-zubauen und sie an Unternehmensentscheidungen zu beteiligen.“

Susanne Henning-Wellsow, Bundesvorsitzende der Linken

Die Linke: Maximissimo

Die Partei, die sich wie keine andere durch den Konflikt von Kapital und Arbeit definiert, macht auch die wortreichsten Vorschläge. Mitbestimmung, insbesondere in wirtschaftlichen Angelegenheiten, ist für die Linke direkt mit der Eigentums- und Klassenfrage verknüpft.

Für den Aufsichtsrat fordert die Linke in allen privaten, öffentlichen und gemeinwirtschaftlichen Unternehmen ab 500 Beschäftigten eine echte paritätische Mitbestimmung. Den Vorsitz soll eine weitere Person übernehmen, auf die sich beide Seiten verständigen müssen.

Betriebsräte sollen zwingende Mitbestimmungsrechte bei Betriebsschließungen und Verlagerungen, Standortänderungen und Entlassungen sowie beim Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz bekommen, aber auch bei den Arbeitsbedingungen und der Arbeitsintensität. Belegschaften sollen zwei Stunden Beratungszeit monatlich erhalten, unter anderem, um „Initiativen zur Mitbestimmung“ entwickeln zu können.

Die Linke will Betriebsratswahlen erleichtern und ein zentrales Melderegister für diese Wahlen einrichten. Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Straftatbestände aus dem Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsrecht sollen eingerichtet, die Sanktionen verschärft werden. Die Partei will den juristischen Betriebs- und Arbeitnehmerbegriff ausweiten, beispielsweise auf Crowdworker. Zusätzlich hat die Partei die Kirche im Visier: Mitbestimmungsrechte und das Streikrecht sollen auch für die Beschäftigten in Kirche, Diakonie und Caritas uneingeschränkt gelten.

Die Gewerkschaften sollen gestärkt werden – unter anderem mit einem digitalen Zugangsrecht. Darüber hinaus sollen regionale Wirtschafts- und Transformationsräte, in denen „neben der Politik und den Unternehmen auch Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände gleichberechtigt Stimmrecht haben“, über öffentliche Fördergelder entscheiden. Die Arbeitnehmer haben vom Maximalprogramm der Oppositionspartei jedoch nicht immer etwas: Bei der Abstimmung um das von Arbeitsminister Hubertus Heil ausgearbeitete Betriebsrätemodernisierungsgesetz enthielt sich die Linke – mit der Begründung, die Pläne gingen nicht weit genug.

  • Beate Müller-Gemmeke

Egal ob Stiftung oder Europäische Aktiengesellschaft – die Mitbestimmung muss überall gewährleistet sein.“

Beate Müller-Gemmeke, Mitbestimmungsexpertin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen

Grüne: Fremdeln war früher

Gewerkschaften und Grüne – das war jahrzehnte­lang alles andere als ein Traumpaar. Für Arbeitnehmervertreter war die Öko-Partei eine Heimstatt weltfremder Maschinenstürmer, umgekehrt fanden viele Grüne, dass Gewerkschafter und Betriebsräte beim geplanten ökologischen Totalumbau der Wirtschaft nur im Weg standen.

Ein Blick ins Wahlprogramm zeigt: Die Mitbestimmung fristet bei den Grünen kein Schattendasein mehr. Starke Mitbestimmung soll „wieder für mehr anstatt für immer weniger Beschäftigte und Betriebe gelten“. Und dann wird es konkret: Bereits ab 1000 Beschäftigten soll der Aufsichtsrat paritätisch besetzt sein. Wirken sich Entscheidungen des Gremiums „besonders stark auf die Beschäftigten aus“, soll bei einem Abstimmungspatt ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden.

Auch mehr Schutz und mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte, etwa bei Standortverlagerungen und bei der Personalentwicklung, sowie Online-Betriebsratswahlen stehen auf der Agenda. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock plädiert außerdem für ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften – seit Jahren eine gewerkschaftliche Forderung –, „weil es oft schwierig ist, sich als einzelner Arbeitnehmer zu wehren“. Dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz stimmten die Grünen zu, obwohl es ihnen nicht weit genug ging.

Beharrlich hat die grüne Bundestagsfraktion in der abgelaufenen Legislaturperiode mit parlamentarischen Initiativen versucht, der schleichenden Erosion der Unternehmensmitbestimmung Einhalt zu gebieten. Nach den Vorstellungen der Grünen soll die Mitbestimmung im Aufsichtsrat künftig auch für unternehmerisch arbeitende Stiftungen sowie für Unternehmen mit ausländischen Rechtsformen uneingeschränkt gelten.

Außerdem will eine grün geführte Bundesregierung das Schlupfloch schließen, mit dem Unternehmen wie Tönnies, Dussmann oder Zalando die Mitbestimmung aushebeln: Eine Aufspaltung großer Unternehmen in eine Holding und Töchter mit jeweils unter 500 Beschäftigten, die nicht über formale „Beherrschungsverträge“ verbunden sind, soll nicht mehr erlaubt sein.

  • Johannes Vogel

Mitbestimmung, Tarifautonomie und unternehmerische Freiheit müssen Teil unserer erfolgreichen Wirtschaft bleiben und kooperativ weiterentwickelt werden.“

Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP

FDP: Kaum der Rede wert

Es gibt vermutlich kaum ein Thema, das den Liberalen so wenig am Herzen liegt wie die Mitbestimmung. Kein Wunder, ein guter Teil der potenziellen Wählerschaft ist traditionell im Arbeitgeberlager verortet. „Nie gab es mehr zu tun“ lautet der Leitspruch des Wahlprogramms. Die Mitbestimmung kann damit nicht gemeint sein. Wie schon 2013 und 2017 taucht das Wort in dem liberalen Papier nicht ein einziges Mal auf. Gleiches gilt für „Betriebsräte“. Allerdings erspart man sich auf der anderen Seite auch Attacken auf die Unternehmensmitbestimmung, ehedem ein beliebtes Spielfeld der Liberalen.

Immerhin rang die Partei sich im Mai bei den Beratungen zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz das Bekenntnis ab, die betriebliche Mitbestimmung sei „seit 100 Jahren eine der tragenden Säulen der Arbeitsmarktordnung in Deutschland“. Die FDP lehnte den von CDU/CSU, SPD und Grünen getragenen Gesetzentwurf ab und brachte einen eigenen Antrag zur Abstimmung: „Betriebsrat 4.0 – Potenziale der Digitalisierung nutzen“. In dem – von der Parlamentsmehrheit abgelehnten – Antrag sprechen die Liberalen von einer „Entfremdung zwischen traditionellen Instrumenten der betrieblichen Mitbestimmung und der gelebten betrieblichen Realität“ und fordern eine Stärkung der „digitalen Mitbestimmung“. Insbesondere von Online-Betriebsratswahlen versprechen sie sich eine höhere Wahlbeteiligung und eine „stärkere demokratische Legitimierung“. Auch sollten Betriebsratssitzungen künftig per Videokonferenz stattfinden dürfen.

  • Hoecke

Die alten Kräfte, (…) auch die Gewerkschaften (…), lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl.“

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag

AfD: Falscher Frieden

Konfliktminimierung durch Burgfrieden – so ungefähr lässt sich das Rezept der Rechtspopulisten zusammenfassen. „Zu unserem Verständnis von sozialer Marktwirtschaft gehört ein gedeihliches Zusammenwirken von Unternehmern und Beschäftigten“, so heißt es im Wahlprogramm der AfD. Sie sind keine Gegner, sondern kooperieren im Geiste der Sozialpartnerschaft, um betriebliche Ziele zu erreichen und Interessengegensätze ins Gleichgewicht zu bringen.“ Das klingt harmlos, doch es ist eine Chiffre für einen korporatistischen Kurs, bei dem Konflikte im Betrieb eher zugekleistert als bearbeitet ­werden.

 An einer Stelle im Programm bekennt sich die Partei zwar „zur Mitwirkung und Mitbestimmung der Beschäftigten in den Betrieben und zu allgemeinverbindlichen Tarifverträgen“, zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat macht die AfD aber keinerlei konkrete Vorschläge. Aber auch das Wort Betriebsrat sucht man im Wahlprogramm vergeblich. Ausdrücklich gewarnt wird hingegen vor „sozialistischen Gleichheitsvorstellungen“.

Die im DGB organisierten Gewerkschaften werden von der AfD als „Teil des Systems“ oder „Arbeitnehmerverräter“ diffamiert. Sie wirbt für „alternative“ Arbeitnehmervertretungen. Eine Stelle im Wahlprogramm zeigt deutlich die Verachtung für alles, was links oder emanzipatorisch ist: „Forderungen nach Enteignungen, Abschaffung von Privateigentum und Vertragsfreiheit, hetzerische Klassenkampfrhetorik oder vorsätzlich herbeigeführte Konflikte durch Vertreter linker Parteien lehnen wir (…) entschieden ab. “

In der parlamentarischen Praxis führt diese Gesinnung zu einer antigewerkschaftlichen Haltung. Beispielsweise stimmte die AfD gegen das Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Der Abgeordnete Uwe Witt erklärte in der Debatte, das Gesetz sei „ein massiver Eingriff in Weisungsrecht, Vertragsfreiheit und unternehmerische Freiheit“. Ein Statement, das man sich merken muss, denn Witt ist zugleich Bundesvorsitzender der Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmer zur „aktiven Mitarbeit in der AfD“ gewinnen soll.

 


Als Quellen haben wir die aktuellen Wahlprogramme und andere öffentlich zugängliche Informationen aller im Bundestag vertretenen Parteien benutzt – erstmals inklusive der AfD, die seit 2017 im Bundestag sitzt. Uns ist bewusst, dass die DGB-Gewerkschaften sie nicht als normale demokratische Partei ansehen. Für unsere Übersicht haben wir uns dennoch gegen eine Sonderlösung im Layout entschieden, weil wir glauben, dass die Positionen der AfD für sich selbst sprechen.

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