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Deutschland kann mithalten Böckler Impuls

Ökostrom: Deutschland kann mithalten

Ausgabe 13/2023

Die Erzeugung von grünem Strom ist in Deutschland nicht viel teurer als in den USA. Dennoch sollte Deutschland Unternehmen beim Umstieg vorübergehend unter die Arme greifen. Auch um Wettbewerbsverzerrungen durch US-Subventionen zu begegnen.

Bei den Erzeugungskosten für Strom aus erneuerbaren Quellen liegen Europa und die USA näher beieinander als häufig angenommen. Das gilt besonders für europäische Länder mit sehr guten Bedingungen für Wind- und Sonnenenergie, aber auch für Deutschland. Grund dafür ist einerseits, dass die natürlichen Voraussetzungen in der Bundesrepublik bei Onshore-Windkraft und Photovoltaik zwar schlechter sind als in den USA, für Windparks auf See aber tendenziell besser. Zweitens fallen die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen der grünen Energiebranche in Westeuropa und insbesondere in Deutschland strukturell günstiger als in den USA aus, was den US-Vorteil reduziert. Das ergibt eine neue Studie des IMK. Die sogenannten Gestehungskosten pro Megawattstunde Strom lagen 2021 in Deutschland beispielsweise bei Onshore-Windkraft je nach Standort in einem Korridor zwischen 37 und 66 Euro. In den USA sind es 29 bis 51 Euro. Für Offshore-Wind reichen die Gestehungskosten in Deutschland von 63 bis 102 Euro, in den USA von 69 bis 112 Euro.

Deutschland sei bei der Wirtschaftlichkeit einer nachhaltigen Stromerzeugung den USA also keineswegs stark unterlegen und zur Deindustrialisierung verurteilt, lautet das Fazit des IMK-Experten Tom Bauermann – schon gar nicht, wenn der europäische Energieverbund weiter ausgebaut werde. Denn sonnenreiche Länder wie Spanien oder windreiche wie Dänemark haben laut der Untersuchung bei den Gestehungskosten kaum Nachteile im Vergleich zu Amerika.

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Die massive Förderung des grünen Stroms in den USA durch Programme wie den Inflation Reduction Act (IRA) sei ein Grund, die Transformation der Industrie auch diesseits des Atlantiks zu forcieren, so Bauermann. Das ginge etwa durch einen Brücken- beziehungsweise Transformationsstrompreis.

Die Effekte des amerikanischen IRA dürften in den 2030er-Jahren auslaufen. Damit gleichen sich die – durch technischen Fortschritt insgesamt fallenden – Gestehungskosten auf beiden Seiten des Atlantiks an, erwartet der Forscher. Damit bestehe auch in Deutschland kein Bedarf für eine zeitlich unbegrenzte Förderung, insofern sei das Risiko gering, dass aus einem Brückenstrompreis eine Dauersubvention für Unternehmen werde. Als interessant für Europa stuft der IMK-Experte die in den US-Programmen enthaltene Kopplung zwischen Fördersätzen für Unternehmen und sozialen Anforderungen ein, etwa zu besserer Bezahlung und Arbeitsbedingungen. 

Nordsee schlägt Pazifik

Bauermann hat die Gestehungskosten für Strom aus Windkraft an Land und auf See sowie aus Freiflächen-Photovoltaikanlagen für Deutschland, die USA und für einige weitere europäische Beispielländer kalkuliert. Sie umfassen die Kosten sowohl für die Errichtung als auch für den langfristigen Betrieb der Erzeugungsanlagen und der ergänzenden Infrastruktur. Diese werden umgelegt auf eine erzeugte Megawattstunde Strom. Anhand von Daten zu technischem Fortschritt und Effizienzgewinnen, die sich in der Vergangenheit bei der Erzeugung von erneuerbaren Energien ergeben haben, prognostiziert der Forscher die realen Kosten in den Jahren 2030 und 2040. Dabei wird auch berücksichtigt, dass die Zinsen seit dem Basisjahr 2021 deutlich gestiegen sind, was aufgrund der hohen Kapitalkosten bei der Erzeugung von Strom aus Wind- und Solaranlagen zu höheren Gestehungskosten führt. Zudem hat er für die USA zwei Varianten berechnet, von denen eine zeigt, wie sich der IRA und weitere US-Subventionsprogramme auswirken. Die Effekte des IRA sind dabei im Jahr 2030 sehr groß und drücken die Gestehungskosten je nach Energieform um 34 bis 55 Prozent. Bis 2040 nimmt dieser Effekt aber wieder deutlich ab. 

In fünf Punkten fasst der Wissenschaftler seine Ergebnisse zusammen:

  • Neben dem Angebot an Wind und Sonne sind auch die Finanzierungsbedingungen für die Gestehungskosten entscheidend. West- und Nordeuropa, insbesondere Deutschland, hatten in den letzten Jahren sehr günstige Finanzierungsbedingungen, was die Kosten für grünen Strom gedrückt hat und die teils besseren natürlichen Bedingungen in den USA zum Teil kompensiert. Ein wichtiger Grund sind staatliche Unterstützungsmaßnahmen. So mindern stabile, gesetzlich geregelte Vergütungssysteme Risiken für Investoren und damit auch Zinsen. Eine weitere wichtige Rolle nimmt in Deutschland die Förderbank KfW mithilfe zinsgünstiger Kreditprogramme oder als Investor für risikoreiche Projekte ein. Der Vorteil der Europäer wird sich voraussichtlich nicht so schnell reduzieren, argumentiert Bauermann: „Es ist nach aktuellem Stand nicht ersichtlich, dass der IRA dauerhaft zu einer Angleichung der Finanzierungskonditionen führen wird.“ 
  • Europa sollte sich noch stärker für günstige Finanzierungsbedingungen einsetzen. Kreditprogramme können die Fremdkapitalzinsen senken und damit mehr Projekte ermöglichen. Dies kann ein entscheidender Standortvorteil für Europa werden.
  • Europäische Standorte mit guten natürlichen Voraussetzungen kommen sehr nahe an die US-amerikanischen Gestehungskosten heran oder produzieren bei der Offshore-Windenergie sogar günstiger. Das liegt unter anderem an den geringeren Wassertiefen und den konstanten, hohen Windgeschwindigkeiten in Nord- und Ostsee, die Errichtung und Betrieb von Windparks auf See günstiger machen. Davon profitiert auch Deutschland. 
  • Zwar haben US-Subventionsprogramme, allen voran der IRA, in den kommenden Jahren einen erheblichen Einfluss. Dieser ist jedoch zeitlich begrenzt. US-Unternehmen, die sich an die in den Förderprogrammen vorgesehenen Sozialklauseln halten und staatliche Unterstützung bekommen, können ihre Gestehungskosten für Onshore-Windenergie, Offshore-Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik in den 2020er- und frühen 2030er-Jahren um rund ein Drittel bis gut die Hälfte drücken. Voraussichtlich ab den 2030er-Jahren werden die Gestehungskosten in den USA aber wieder steigen, wodurch die Wettbewerbsvorteile gegenüber Europa zurückgehen. 
  • Folglich gehe es also zunächst darum, den relativ kurzen Zeitraum zu überbrücken, in dem die US-Subventionen einen starken Anreiz für Unternehmen setzen, in den USA statt in Europa zu investieren. Dazu könne etwa ein Brücken- oder Transformationsstrompreis dienen, dessen Höhe sich wie in den USA ebenfalls an Klauseln im öffentlichen Interesse koppeln ließe.

Um die Gestehungskosten in Deutschland und Europa möglichst schnell und dauerhaft zu senken, sollten parallel Maßnahmen ergriffen werden, um den Ausbau erneuerbarer Energien und ihrer Netze voranzubringen, empfiehlt IMK-Experte Bauermann. Beispielsweise durch direkte öffentliche Investitionen oder durch günstige Finanzierungsbedingungen. Zudem sei eine aktive Industriepolitik nötig, um die Versorgung mit grünem Strom für strategisch wichtige und international wettbewerbsfähige Wirtschaftsbereiche sicherzustellen.

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